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Aktuelle Schufa-Umfrage

Panik vor sozialem Abstieg: Deutsche Mittelschicht bröckelt

Selbst die Gut- und Besserverdienenden blicken ängstlich in die Zukunft. Vor allem steigende Preise und Immobilienkredite lösen große Sorgen aus

Hermann Müller
16.12.2024

Vor über 65 Jahren gab Ludwig Erhard das Versprechen ab, „Wohlstand für alle“ zu schaffen. Mit seinem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft gelang es dem Wirtschaftsminister und späteren Bundeskanzler auch tatsächlich, ein Wirtschaftswunder zu entfachen. Die Erfolge von Erhards wettbewerbsorientierter Wirtschaftspolitik ermöglichten Millionen Arbeitern und Angestellten Wohlstand und den sozialen Aufstieg. Für breite Schichten wurde der Traum von Auto, Eigenheim und Urlaubsreisen realisierbar. Garantiert schien, dass es den Kindern noch besser gehen würde als den Eltern. Der Bundesrepublik bescherte das Entstehen einer breiten Mittelschicht Jahrzehnte politischer Stabilität und sozialen Friedens. Wahlerfolge extremer Parteien waren ebenso selten wie erbittert geführte Arbeitskämpfe, unter denen in den Nachkriegsjahrzehnten etwa Großbritannien oder Italien litt.

Der Stabilitätsanker namens Mittelstand scheint Deutschland nun allerdings zunehmend verloren zu gehen. Bereits seit einigen Jahren beobachten Wissenschaftler, wie der Anteil der Mittelschicht an der Bevölkerung weiter schrumpft. Anteil an der Entwicklung hat vereinzelt der Aufstieg in noch höhere Einkommensklassen, viel häufiger allerdings der Abstieg. Die Forscher Gerhard Bosch und Thorsten Kalina von der Universität Duisburg-Essen sehen bereits seit der Deutschen Vereinigung ein stetiges Schwinden der Mittelschicht. Auch die Bertelsmann-Stiftung hat 2021 eine Studie mit dem Titel „Die Mittelschicht in Deutschland bröckelt“ vorgelegt. Demnach zählten 1995 noch 70 Prozent der Bevölkerung zur mittleren Einkommensgruppe, 2018 waren es nur noch 64 Prozent. Parallel wächst in der Mittelschicht die Angst vor sozialem Abstieg. Laut Umfragen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gaben 2020 bereits 32 Prozent in höheren Einkommensklassen der Mittelschicht an, um ihren Lebensstandard zu fürchten. Seitdem ist deren Anteil in der oberen Mittelschicht auf 47 Prozent angestiegen.

Gutsituierte mit düsterer Aussicht
Eine Verbraucherumfrage der Schufa aus dem Oktober macht deutlich, in welcher dramatischen Situation sich die Mittelschicht mittlerweile befindet. Pandemie-Lockdowns samt Einkommenseinbußen für Freiberufler und Selbstständige, hohe Inflation, jahrelange Nullzinspolitik auf Ersparnisse, steigende Mieten, die massive Verteuerung von Energie und nun auch aufkeimende Unsicherheit über den Arbeitsplatz haben offenbar selbst in der gehobenen Mittelschicht die Angst vor dem sozialen Abstieg wachsen lassen: „Haushalte mit geringem Einkommen spüren die finanzielle Belastung schon seit geraumer Zeit. Doch inzwischen erreicht diese Entwicklung auch die Besserverdienenden“, erklärt Tanja Birkholz, Vorstandsvorsitzende der Schufa.

Laut Schufa-Umfrage gaben 66 Prozent der Menschen in der mittleren Einkommensklasse im Bereich von 2000 bis 4000 Euro Monatsverdienst an, sie hätten Angst vor der Zukunft. Im Februar 2023 hatten dies 58 Prozent der Befragten gesagt. Inzwischen schaut auch schon jeder Zweite (49 Prozent) in der Gruppe derjenigen, die über 4000 Euro monatlich beziehen, ziemlich düster in die Zukunft. Insgesamt gaben sogar zwei Drittel der befragen Verbraucher an, sie würden sich sorgen.

Weitere Daten zeigen, woraus sich diese Zukunftsangst speist. Zu den dringlichsten Sorgen gehören die Preisanstiege allen voran bei Gas und Strom. Insgesamt gaben 91 Prozent der Befragten an, dass sei weiterhin versuchen, Energie zu sparen. Schon im März hatte die Schufa berichtet, dass sich die Energiearmut, die bislang überwiegend in den unteren 20 Prozent der Einkommen zu beobachten war, nun auch in der Mittelschicht bemerkbar macht. Bei der aktuellen Umfrage gaben nun 71 Prozent der mittleren und 64 Prozent der höchsten Einkommensgruppe an, sie fürchteten steigende Energiekosten.

Not, Kredite zurückzuzahlen
Auch der Anteil derer, die Schwierigkeiten haben, ihren Zahlungsverpflichtungen noch nachzukommen, ist laut Schufa weiter gestiegen. So gaben insgesamt 53 Prozent der Befragten an, es fiele ihnen sehr schwer, einen in den letzten sechs Monaten aufgenommenen Kredit zurückzuzahlen. Selbst in der mittleren Einkommensgruppe teilen 20 Prozent der Befragten diese Schwierigkeiten.

Bereits im Frühjahr warnte Peter Kenning, ein Mitglied des Schufa-Verbraucherbeirats, dass ab der zweiten Jahreshälfte 2024 für einen Teil der Immobilienbesitzer die höheren Zinsen zum Problem würden. Restkreditbeträge müssen nämlich inzwischen zum Teil zu deutlich höheren Kosten refinanziert werden. Dies kann für Eigennutzer unter Umständen bedeuten, dass sie diese Kosten nicht mehr tragen können. Anleger könnten wiederum verstärkt versuchen, die höheren Refinanzierungskosten über die Erhöhung von Mieten aufzufangen.


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