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Der Soziologe Nicolaus Sombart führte ein Leben zwischen Erotik, Literatur und Wissenschaft
Am 10. Mai wäre Nicolaus Sombart 100 Jahre alt geworden. Pünktlich zu diesem Jubiläum ist eine Biographie von Günther Erbe erschienen, die den Sohn des Soziologen und Nationalökonomen Werner Sombart als „Utopisten, Libertin und Dandy“ porträtiert.
Sombart war ein Bürger auf Abwegen mit einer ausgeprägt hedonistischen Ader. Aus einem großbürgerlichen Haushalt kommend, unterschied ihn sein Blick auf die Gesellschaft von anderen Soziologen und Publizisten seiner Zeit. Sehr ausgeprägt war sein Interesse an der Erotik. Dabei ging es ihm nicht nur um das Ausleben sexueller Bedürfnisse, sondern auch um soziologisches Erkenntnisinteresse.
Sombarts schriftstellerisches Werk fällt eher schmal aus. Zu nennen ist das frühe Stück „Capriccio Nr. 1. Des Wachsoldaten Irrungen und Untergang“, das schon 1947 erschien. Mit dieser Erzählung errang er einen Achtungserfolg bei der Gruppe 47, deren eher kleinbürgerliche Prägung dem elitären Sombart fremd blieb.
Einem größeren Publikum bekannt sein dürften die Bücher „Jugend in Berlin 1933–1945. Ein Bericht“ (erschienen 1984), „Pariser Lehrjahre 1951–1954“ (1994) und das provokante „Journal intime 1982/83“, in dem Sombart seine Zeit als Fellow an dem von dem Germanisten Peter Wapnewski geführten Wissenschaftskolleg in Berlin genauso detailreich schilderte wie seine häufigen Begegnungen mit Prostituierten. Alle drei auch beim Lesepublikum erfolgreichen Bücher bilden sozusagen seine Lebenserinnerungen.
Sombart ist weniger als Autor interessant denn als Gesamtkunstwerk und als Lebenskünstler, Dandy, Freigeist, Erotiker, Grandseigneur alter Schule und Betreiber eines intellektuellen Salons in Berlin nach seiner Pensionierung. Nach seiner nicht abgeschlossenen Habilitation fristete Sombart ab 1954 eine rund 30-jährige Beamtenlaufbahn beim Europarat in Straßburg – nach seinen eigenen Kriterien mag dies sehr bieder wirken, aber allein von Luft, Liebe und Literatur kann ja auch ein Lebenskünstler nicht leben, dem nach dem Zweiten Weltkrieg keine größeren materiellen Ressourcen mehr zur Verfügung standen.
Beamtenlaufbahn beim Europarat
Zu prägenden Figuren seiner intellektuellen Biographie gehörten der Soziologe Carl Schmitt und Ernst Jünger, von denen sich der wendige Weltbürger später abwandte. Zeit seines Lebens schwankte Sombart zwischen Literatur und Wissenschaft und war in allem ein hochbegabter Dilettant, der es nicht so genau nahm mit den Fakten. Nicht ohne Larmoyanz beklagte er sich – zum Beispiel in Briefen an seine Mutter Corina – über seine materielle Not, die sicher nicht größer war als die seiner Zeitgenossen, nur waren seine Ansprüche höhere.
Sein Vater Werner Sombart galt als einer der bedeutendsten Wissenschaftler seines Faches, und dessen wesentlich jüngere Ehefrau betrieb einen literarischen Salon, in dem sich Künstler, Wissenschaftler und Diplomaten der Weimarer Republik zum geselligen Gespräch trafen.
An diese hohen Maßstäbe konnte der Sohn nie wirklich anknüpfen, und daher flüchtete er sich in die „Lebensphilosophie des Dandyismus“, wie Erbe schreibt: „Die großbürgerlich-aristokratische Lebensführung wird prätendiert, ideologisch verklärt und spielerisch in Anschlag gebracht, wohl wissend, dass ihr die materielle Grundlage fehlt. Der Dandyismus erlaubt es, die Legitimationslücke zu überbrücken, die durch eine als Deklassierung empfundene Lage entstanden ist. Diese Philosophie ist Ausdruck einer prekär gewordenen gesellschaftlichen Stellung.“ Der Bildungsbürger und verhinderte Grandseigneur, so Erbe, präsentiere sich daher in der Maske des Provokateurs und enfant terrible.
Im Anhang sind die Publikationen von Nicolaus Sombart abgedruckt. Von den 14 Buchpublikationen dürften die meisten vergessen sein – bis auf eben die drei Bücher, die quasi seine Memoiren darstellen. Auch die Zahl seiner Aufsätze, Artikel, Vorworte und Rezensionen ist für einen Mann mit dem Anspruch und Selbstbewusstsein Sombarts nicht gerade ehrfurchtgebietend. Hier spielt zum Beispiel der Historiker des deutschen Bürgertums, Joachim Fest, wenngleich aus weniger grandiosen familiären Verhältnissen kommend, eindeutig in einer anderen Liga. Da gibt es zwar Aufsätze und Artikel im „Ruf“, in den „Frankfurter Heften“, im „Merkur“ und in sogenannten Qualitätszeitungen, doch mit etwas mehr Fleiß und Ernsthaftigkeit hätte Sombart sicher auch als Publizist eine größere Rolle spielen können.
Betreiber eines Salons in Berlin
Seine Berufung an das Berliner Wissenschaftskolleg im Grunewald stellte denn auch den Höhepunkt seiner intellektuellen Karriere dar. Doch mindestens ebenso wichtig waren ihm andere Höhepunkte, die er in exklusiven Berliner Bordellen suchte. Von der Lektüre des „Journal intime“, das Erbe der Gattung der erotischen Enthüllungsliteratur zurechnet, werden sich daher manche Leserinnen und vielleicht auch Leser – denn die Zeiten sind unzweifelhaft prüder und auch unfreier geworden – etwas pikiert abwenden. Als Pensionär und Betreiber eines Salons in Berlin war Sombart dann am Ende seines Lebens ganz bei sich selbst angekommen.