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Joseph F. Glidden (o.r.): Der Mann aus Missouri kam auf die Idee, zwei kurze, spitze Drähte in eineinander zu verdrillen. Seine simple Erfindung des Stacheldrahts machte ihn zu einem schwerreichen Mann
Foto: imago/Westend61; WikimediaJoseph F. Glidden (o.r.): Der Mann aus Missouri kam auf die Idee, zwei kurze, spitze Drähte in eineinander zu verdrillen. Seine simple Erfindung des Stacheldrahts machte ihn zu einem schwerreichen Mann

Vor 150 Jahren

Patent Nr. 157.124 – eine grausam-gute Erfindung

Der US-Amerikaner Joseph Farwall Glidden erhält auf den von ihm erfundenen Stacheldraht ein Patent – der Start in eine neue Ära

Jens Eichler
23.11.2024

Freiheit und unendliche Weiten, das sind keine Attribute, die nur der Weltraum zu bieten hat. Nein, so etwas gab es wirklich. Echte Freiheit und gefühlte unendliche Weiten – das war es, was die eher karge Natur des Mittleren Westens der USA, die gewaltigen Steppen der Prärien, die sich von der Grenze Kanadas bis runter nach Texas zogen, zu bieten hatten. Allerdings vor rund 200 Jahren. Damals, als Cowboys diese Freiheitsidylle lebten, genossen und verkörperten, als sie gewaltige Viehherden der Rinderbarone durch diese weiten Prärielandschaften trieben – zu lebenswichtigen Wasserstellen, zu Viehauktionen und später auch zu Eisenbahnstationen, wo die Rinder – es waren meist Longhorns – verladen wurden.

Doch spätestens im Jahr 1852 begann die Freiheit immer mehr zu schrumpfen. Grund: Die US-Regierung in Washington erließ den „Homstead Act“. Dieser versprach jedem, der sich in den Prärien von Missouri und den angrenzenden US-Bundesstaaten wie Kansas, Nebraska, Iowa oder Texas als Farmer niederlassen würde, Land in der Größe von 65 Hektar. Ein großzügiges Angebot, denn freies Land war ja ohnehin genug vorhanden. 65 Hektar das sind gut 800 Meter Länge und ebenso die gleiche Breite. Ausreichend groß, um als Farmer oder gar Rancher durchzustarten.

Bitte nicht zum Nachbarn
Doch damit war gleich ein doppelter Konflikt programmiert. Entschieden sich die einen, Rinder oder Schafe zu züchten, mussten diese Tiere eben auch auf dem entsprechend eigenen Land zusammengehalten werden. Konnten die Herden noch zuvor frei durch die Gegend trampeln, betraten sie nun das Areal eines Nachbarn. Und der wollte alles, aber sicherlich keine verwüsteten Äcker oder fremdes Vieh auf den eigenen Weiden. Also mussten Absperrungen her. Und so begann jeder Landbesitzer mehr und mehr sein neu erhaltenes Land abzugrenzen und einzuzäunen. Eine teure Angelegenheit, da in den weiten Steppen außer Gras und Sträucher nichts weiter wuchs. Vor allem kein Holz, das man wiederum für schützende Zäune benötigt hätte.

Immer mehr Farmer und Rancher gingen daher dazu über, ihre Gebiete mit Holzpflöcken abzustecken und diese dann mit einfachem Draht zu verbinden, in der Hoffnung, die Tiere des Nachbarn abhalten und die eigenen im Zaum halten zu können. Aber für eine Herde Rinder ist ein harmloser Drahtzaun kein wirkliches Hindernis. Also musste eine andere Lösung gefunden werden.

Unabhängig davon wurden die Zäune zu einem immer größeren Ärgernis für die großen Viehbarone, egal wie stabil diese Abgrenzungen letztendlich waren. Denn die Cowboys konnten die gewaltigen Vieherden ihrer Auftraggeber immer schwieriger durch die ehemals offenen Weiten der Great Plains treiben, war das Land doch mehr und mehr durch Zäune aller Art zerschnitten und aufgeteilt. Die Folge: Es kam immer öfter zu teilweise blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Viehtreibern und den neuen Landbesitzern. Dramen, die in unzähligen Western erzählt und verfilmt wurden. Eines aber wurde dennoch immer offensichtlicher: Gegen eine wilde Herde Rinder war kein echtes Kraut gewachsen, Holz- und Drahtzäune hielten sie nicht auf.

Auftakt zu einer Erfolgsgeschichte
Die rettende Idee hatte schließlich der US-Amerikaner Joseph F. Glidden aus DeKalb in Missouri. Der Tüftler hatte bis dato schon so manche berufliche Laufbahn hinter sich gebracht. Er war als Sheriff ebenso aktiv wie als Lehrer und wurde zu guter Letzt Farmer. Ergo musste er sich ebenfalls mit dem „Zaunproblem“ ausein-andersetzen. Hatten vor ihm schon einige kluge Bastler nach einer Lösung gesucht, kombinierte Glidden einfach bisherige Ideen. Sein Prinzip war ebenso simpel wie genial: Zwei lange, ineinander verdrillte Drähte, und darin in kürzeren Abständen waren wiederum zwei kurze Drähte eingearbeitet. Die Enden angespitzt und nach außen abstehend, sodass man sich an ihnen empfindlich schmerzhaft stechen und sogar verletzten konnte – fertig war der vermeintlich perfekte Viehzaun. Der bis heute unveränderte Stacheldraht (barb wire) war erfunden worden.

Dieser Draht war billig zu produzieren, höchst effektiv und stabil genug, um drängelnde oder gar wild gewordene Rindviecher abzuschrecken. Gliddens pfiffige Erfindung sprach sich bei anderen Landbesitzern schnell herum, die nun froh waren, ihre 65 Hektar und auch noch größere Areale kostengünstig, einfach und erfolgreich einzäunen zu können. Am 24. November 1874 erhielt Glidden das Patent Nr. 157.124. Es war der Auftakt für eine ungeheure Erfolgsgeschichte und ebenso der Startschuss für gewaltigen Reichtum, den Glidden mit seinem Patent verdiente. Im Jahr 1880 war bereits mit über 100.000 Kilometern Stacheldraht Weide- und Farmland im Mittleren Westen der USA eingezäunt. Und so stieg das Vermögen des Mannes aus Missouri in solche Dimensionen, dass er im Alter von 92 Jahren, zum Zeitpunkt seines Todes 1902, zu den 20 vermögendsten Unternehmern Nordamerikas zählte.

Perversion einer Erfindung
Doch hat Gliddens Erfindung nicht nur unzählige Cowboys arbeitslos gemacht und viele von ihnen in den Ruin getrieben. Wie es leider oftmals der Fall bei per se nützlich-guten Innovationen ist – der Mensch muss immer die negative Kehrseite der Medaille entdecken und nutzen. So auch in diesem Fall, als der Stacheldraht erstmals zu einem überaus unrühmlichen und brutal-unappetitlichen Einsatz kam – gegen Menschen. Denn im südafrikanischen Burenkrieg kamen britische Soldaten auf die furchtbare Idee, was gegen wilde Rinder schützt, müsste ja auch eingesperrte Menschen von der Flucht abhalten. Und so sperrten britische Truppen ihre Feinde in mit Stacheldraht umzäunten Internierungslagern ein.

Regelrecht symbolischen Schreckenscharakter erhielt der Stacheldraht gar im Ersten Weltkrieg, als er vor den Schützengräben aufgerollt wurde und sich angreifende Soldaten, oftmals schon schwer verwundet, in den spitzen Dornen verfingen, hängen blieben und elendig verbluteten. Ein Bild des Grauens und des Jammers. Ab Herbst 1914 zog sich ein wahrer Todesstreifen aus der amerikanischen Erfindung von der Küste des Ärmelkanals bis hin zur Schweizer Grenze. Erwies sich doch Gliddens Entdeckung als das perfekte Befestigungsmaterial, das zudem auch noch billig war und massenhaft hergestellt werden konnte.

Und weil es im Krieg immer noch perfider und brutaler zugehen muss, kommt heute immer öfter der „neue Bruder des Stacheldrahts“ zum Einsatz: Nato-Draht, bei dem die Stacheln durch messerscharfe Widerhaken und eng aneinander liegende Metallklingen ersetzt werden. Alles fernab der gut gemeinten Idee von Glidden vor 150 Jahren.


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