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Theologie

Pfeiler im Strom

Norbert Matern
03.06.2023

Im Rahmen der „Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa“ erschienen zwölf Referate einer Tagung des Instituts für Kirchen- und Kulturgeschichte sowie der Bundeskonferenz der kirchlichen Archive in Deutschland im Herbst 2020 im Bonifatiuskloster Hünfeld. Schon das Titelbild aus der Kirche in Friedland, dem von Grethe Badenheuer gestalteten „Verlorenen Sohn“, zeigt den Kurs an: Ein Seelsorger umfängt den Nackten, der alles verloren hat und sich nun an ihn klammert. Die christlichen Kirchen als letzte Hoffnung, als letzter Pfeiler in der Katastrophe von 1945.

Die Herausgeber zitieren in der Einführung aus der Pfingstpredigt 1945 des vertriebenen ermländischen Bischofs Maximilian Kaller, in der wohl erstmals die Anregung fällt, dass die Heimatvertriebenen Brückenbauer sein sollten: „Gesucht werden Menschen, die wieder Brücken bauen können zwischen Seelen und Herzen der Menschen und Völker“.

Thomas Scharf-Wrede, Direktor des Bistumsarchivs Hildesheim, stellt in einem Beitrag Gründung und Arbeit von Diakonie, Caritas und Rotem Kreuz im Durchgangslager Friedland vor. Allein 1945 waren 542.000 Personen zu betreuen. Der Autor schließt mit der Ankunft der letzten Kriegsgefangenen aus der UdSSR. Die Deutschen aus Russland kamen mit großen Erwartungen und fanden auf ihrer ersten Station nicht einmal einen deutschen Seelsorger. Priestermangel im Bistum Hildesheim machte sich bemerkbar. Als der Katholische Flüchtlingsrat den zuständigen Bischof in Hildesheim bat, wenigstens für einen deutschsprachigen Seelsorger zu sorgen, blieb er ohne Antwort.

Auch in der von Jürgen Franz 2022 der Universität Hildesheim vorgelegten Dissertation „Morgenstern in finsterer Nacht. Das Migrationsbistum Hildesheim und die Integration der Heimatvertriebenen 1945–1956“ zeigt, dass man am Domhof trotz neuer Strukturen und Hilfen gegenüber den Heimatvertriebenen nicht immer sensibel genug war, obwohl die Flüchtlinge bald 60 Prozent der Diözesanen ausmachten. Bis 1970 wurde keiner der 170 ins Bistum gekommenen ostdeutschen Priester in eine Leitungsposition der Flüchtlingsseelsorge berufen.

Robert Pech zeichnet am Beispiel von Franz Hamm (1900–1988) den Weg der evangelischen Vertriebenen aus Jugoslawien nach. Hamm unterstützte die Idee von Reiseseelsorgern, die in Regionen, die nach 1945 viele evangelische Christen aufgenommen hatten, für Einheimische und Vertriebene Gottesdienste feierten.

Selten zu lesen ist ein Beitrag wie der von Ulrich Helbach, dem Direktor des Historischen Archivs des Erzbistums Köln: „Die Seelen der Anderen“. Es geht um die Seelsorge für 600.000 ehemaligen Nationalsozialisten, die aus der Kirche ausgetreten waren und von denen nicht wenige den Wiedereintritt erbaten. Der Papst ermunterte die Bischöfe zur pastoralen Barmherzigkeit

Rainer Bendel/Thomas Scharf-Wrede (Hrsg.): Orientierungssuche. Zur Bedeutung von Kirche und Glauben 1945–1950“, Aschendorff Verlag, Münster 2023, gebunden, 331 Seiten, 29,90 Euro


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