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Pflegerin eines Heiligtums

Kluge Verwalterin des literarischen Nachlasses Goethes – Zwei Ausstellungen in Weimar über die Großherzogin Sophie von Sachsen

Veit-Mario Thiede
09.05.2024

Als 1885 das Testament von Goethes Enkel Walther eröffnete wurde, war die Überraschung groß: Sophie, die am
8. April vor 200 Jahren geborene königliche Prinzessin der Niederlande und Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach, erbte den handschriftlichen Nachlass Johann Wolfgang von Goethes (siehe PAZ vom 12. April). Sie beschloss, dieses Privaterbe mit uns zu teilen: „Ich habe geerbt, und Deutschland und die Welt soll mit mir erben.“

Am Ufer der Ilm ließ Sophie aus eigenen Mitteln das Goethe- und Schiller-Archiv erbauen. Das älteste Literaturarchiv Deutschlands ehrt seine vor 200 Jahren geborene Stifterin mit der Sonderausstellung „Sophie. Macht. Literatur – Eine Regentin erbt Goethe“. Wer darüber hinaus die ganze Sophie kennen lernen möchte, ist in der Sonderschau des Stadtmuseums von Weimar gut aufgehoben. Sie heißt „Mit Gott und Goethe“.

Wenn man die Treppen zur Beletage des Goethe- und Schiller-Archivs hinaufsteigt, begegnet man auf dem Treppenabsatz der Büste der Großherzogin, bevor man vor denen Goethes und Schillers steht. Sie flankieren den Eingang zum Ausstellungssaal. Dem Beispiel Walther von Goethes folgten auch die letzten Nachkommen Friedrich von Schillers. Das bewog Sophie, auch seinen Namen in die Benennung des Archivs aufzunehmen. Wie ein Magnet zog es 150 weitere Nachlässe von Schriftstellern, Gelehrten, Komponisten und Philosophen an. Zu ihnen gehören Herder und Wieland, Liszt und Nietzsche.

In vier pultartigen Vitrinen, die zur historischen Ausstattung des Archivs gehören, befinden sich die Exponate: Briefe, Denkschriften und Notizen, Manuskripte, Bücher sowie Einladungen, Zusagen und Absagen zur feierlichen Eröffnung des Archivs 1896. Das Bauwerk ist eine gewichtige Erscheinung nach dem architektonischen Vorbild des frühklassizistischen Lustschlosses Petit Trianon im Park von Versailles. Seit seiner Einweihung hat das Archiv große Bedeutung für das Kulturleben im gesamten Deutschland. Aber wie Fontane blieb auch Kaiser Wilhelm II. der Eröffnungsfeier fern. In seiner eigenhändig unterzeichneten Absage teilte er der Großherzogin mit „aufrichtigem Bedauern“ mit, „verhindert zu sein“. Goethe und Schiller bezeichnet er als „unsere Geisteshelden“ und das Archiv „als deutsches Heiligthum“. Gleichwohl war dem Kaiser der Besuch der Kieler Woche wichtiger.

Ausgestellt ist auch die Abschrift des Testaments von Goethes letztem Nachkommen, dem Enkel Walther (1818–1885). Ihn und seine Geschwister Amalie und Wolfgang hatte Goethe zu seinen Alleinerben ernannt. Als Testamentsvollstrecker setzte er Kanzler Friedrich von Müller ein. Der durchstöberte zum Missfallen der Geschwister und ihrer Mutter Ottilie wiederholt den Nachlass und geriet so in den Verdacht, Papiere Goethes heimlich an sich genommen zu haben. Das führte zu ernsthaften Verstimmungen mit der Familie, die nicht zuletzt deshalb den vom Testamentsvollstrecker eingefädelten Ankauf des am Frauenplan gelegenen Goethehauses mitsamt aller Sammlungen an den Deutschen Bund 1845 ablehnte.

„Sophienausgabe“ nach ihr benannt
Und nicht nur das: Sie ließen von wenigen vorangemeldeten Besuchern abgesehen niemanden mehr ins Haus. So war Goethes Hinterlassenschaft bis zu Walthers Tod unzugänglich. Während er die Großherzogin zur Privaterbin des heute der Klassik Stiftung Weimar gehörenden schriftlichen Nachlasses machte, übereignete er das Goethehaus mit den Sammlungen dem Kleinstaat Sachsen-Weimar-Eisenach. Dessen Oberhaupt, Sophies Gatte Carl Alexander, ließ das baufällige Anwesen unverzüglich renovieren und als Goethe Nationalmuseum eröffnen.

Im 1871 gegründeten Kaiserreich war Goethe eine gesamtdeutsche Identifikationsfigur. Mit ihm machte die königliche Prinzessin der Niederlande Weimar zum geistigen Zentrum des Deutschen Reichs. Sie verkündete: „Mein Bestreben geht, so viel an mir liegt, dahin, Weimar den Vorzug zu sichern, der Mittelpunkt aller Bestrebungen zu sein, welche den großen Namen Goethe betreffen.“ Dabei hielt sie die Zügel fest in der Hand. Sie schuf die notwendigen Bedingungen für die wissenschaftliche Auswertung des Erbes und berief die Gelehrten. Unter ihnen war der preußische Ministerialrat Gustav von Loeper, der „zur Erholung“, wie er sagte, jahrzehntelang Studien zum Leben und Werk Goethes betrieben hatte, der engste Berater der Großherzogin. Wichtigste Aufgabe war in den ersten Jahrzehnten des Archivs die von Sophie initiierte und finanzierte Gesamtausgabe der Werke Goethes. Sie erfolgte von 1887 bis 1919 in 143 Bänden und ist als „Sophienausgabe“ oder „Weimarer Ausgabe“ berühmt. Erst nach Sophies Tod und gegen ihre Anweisung erschienen Gedichte Goethes, die sie als obszön oder gotteslästerlich zurückgehalten hatte.

Die „Sophienausgabe“ ist die bis heute vollständigste und wissenschaftlich genaueste Ausgabe der Werke Goethes. Der Gipsabguss der von Christian Daniel Rauch geschaffenen Büste Goethes steht in der Sonderschau neben einer Auswahl von Erstdrucken der Sophienausgabe.

Der Ausstellungstitel „Mit Gott und Goethe“ weist auf ein weiteres Betätigungsfeld hin, auf dem sich die Großherzogin große Verdienste erwarb. Sie prägte sowohl die Kulturpolitik als auch das Sozialwesen des Kleinstaats. Die reiche Erbin der Ländereien des schlesischen Guts Heinrichau förderte Liszt und Wagner. Ihren Gatten Carl Alexander unterstützte sie beim Ausbau und der künstlerischen Ausstattung der einst von der heiligen Elisabeth und später von Luther bewohnten Wartburg zum Nationaldenkmal.

Die Großherzogin war die Begründerin und Stifterin der für die Krankenpflege zuständigen Schwesternschaft des Sophienhauses Weimar. Alf Rößner, der Direktor des Stadtmuseums, erklärt: „Die bedeutende Mäzenin und überzeugte Christin wirkte wohltätig im Sinne der heiligen Elisabeth von Thüringen.“

Goethe- und Schiller-Archiv: „Sophie. Macht. Literatur – Eine Regentin erbt Goethe“, bis 15. Dezember, www.klassik-stiftung.de. Stadtmuseum Weimar: „Mit Gott und Goethe“, bis 1. September stadtmuseum.weimar.de


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