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Vor allem beliebt für das Heitere, kannte der erfolgreiche Schriftsteller auch nachdenkliche Töne und thematisierte immer wieder Schlesien. Vor 50 Jahren starb er in seiner Wahlheimat München
Dass der Leser „heitere“ Erzählungen oder einen „heiteren“ Roman vor sich habe – darauf wies der Schriftsteller Hugo Hartung in einer Reihe seiner Werke durch einen Untertitel eigens hin. Bekannt wurde er mit „Ich denke oft an Piroschka“. In diesem 1954 erschienenen Roman verarbeitete Hartung eigene Eindrücke, die er 1923 in einem ungarischen Pusztadorf gesammelt hatte und dichtete reichlich hinzu.
Sein Alter Ego im Buch, der Student Andreas, denkt nach der Ankunft im Dorf vor allem an die Reisebekanntschaft Gerda. So hat es die 17-jährige, liebenswert-direkte Piroschka, die Tochter des Bahnhofsvorstehers, mit ihren Avancen zunächst schwer. Allerdings ist sie äußerst hartnäckig. Man findet sich, natürlich. Den unromantischen Andreas muss die junge Ungarin ab und zu in die Spur bringen, etwa wenn sie ihn fragt, ob er auch das – nicht gespielte – Lied des Hirten höre. Auf sein „Nein“ reagiert sie mit dem sie selbst gut charakterisierenden Vorwurf: „Weil du immer nur hörst, was wirklich ist ...“
Das Ganze währt aber nur kurz. Hartung hat sich, wie schon am Anfang angekündigt, dafür entschieden, die leichte Sommererzählung abgeschlossen stehen zu lassen. Andreas sollte „seine“ Piroschka nach der Abreise nicht wiedersehen. Wehmütig jedoch erinnert er sich zeitlebens an sie, etwa, wenn er träumt, wie sie ihn immer bat, das Signal für die Züge zu setzen: „Kérem Andi! Mach Signal!“
Spiel mit Ungarn-Klischees
Beim Publikum kam die etwas dick aufgetragene Liebesgeschichte gut an. Hartung ließ kaum ein Ungarn-Klischee aus, angefangen mit dem für Fremde unaussprechbaren, tatsächlich existenten Ort der Handlung – Hódmezővásárhelykutasipuszta – über die Gastfreundschaft bis hin zur Wiedergabe von Piroschkas akzentgefärbtem und sympathisch-fehlerhaftem Deutsch. Ein Roman aus einer anderen Zeit, in unserer politisch korrekten Gegenwart unvorstellbar. Das Buch erlebte zahlreiche Auflagen, bis zu Hartungs Tod wurden allein in Deutschland 1,6 Millionen Exemplare gedruckt. Wiederholt hat er den Stoff verwendet, so bereits 1949 für eine Kurzgeschichte, ein Jahr später für ein Hörspiel und 1958 noch einmal für ein Theaterstück. Auch am Drehbuch der 1955 realisierten Verfilmung wirkte er mit, in der die Schweizer Schauspielerin Liselotte Pulver die Rolle der Piroschka übernahm.
Der als Schriftsteller äußerst produktive und viel gelesene, von der Literaturwissenschaft aber bis heute weitgehend übersehene Hartung, der auch unter dem Pseudonym N. Dymion veröffentlichte, wurde am 17. September 1902 als Sohn eines Gaswerksdirektors im vogtländischen Netzschkau geboren. Im Anschluss an seine Promotion über den Dichter Friedrich Huch war er ab 1928 Dramaturg und Schauspieler in München. Er schrieb unter anderem für die Satirezeitschrift „Simplicissimus“ und war Hörspielautor. 1936 erging ein Schreibverbot. Dennoch war es ihm möglich, weiter als Dramaturg zu arbeiten, zunächst am Staatstheater Oldenburg, ab 1940 an den Städtischen Bühnen Breslau.
Als – unausgebildeter – Soldat wurde Hartung am Ende des Krieges bei der Verteidigung der „Festung Breslau“ eingesetzt. Seine Erlebnisse hat er mehrfach verarbeitet. 1956 erschien „Schlesien 1944/45. Aufzeichnungen und Tagebücher“. Einleitend heißt es, 1944 sei das Leben in Schlesien „verhältnismäßig friedlich“, gewesen. „Um so spukhafter mag sich davon das Bild des Untergangs abheben.“ Bereits 1951 war der Roman „Der Himmel war unten“ erschienen, später mit der Titelerweiterung „Vom Kampf und Untergang Breslaus“. Traumatische Kriegserfahrungen thematisierte er auch in der Novelle „Die große belmontische Musik“.
Anpassung und Opportunismus
Nach sowjetischer Gefangenschaft kam Hartung über Thüringen und Potsdam nach West-Berlin, wo er ab 1950 lebte, 1960 siedelte er nach München über. Auf Schlesien, das ihm ein halbes Jahrzehnt Heimat war, kam der Schriftsteller immer wieder zurück, auch weit abseits des Krieges. Davon zeugen Bücher wie „Der Witz der Schlesier“ oder „Deutschland deine Schlesier. Rübezahls unruhige Kinder“. Hier zeichnete er, so die werbende Ankündigung, „die kulturelle und geschichtliche Topographie dieses Landes nach, in dem die Weite des Ostens, barocke Lebensfülle und preußische Strenge eine glückliche Verbindung eingegangen sind“.
So manch einen Seitenhieb konnte sich Hartung nicht verkneifen. Etwa gegen die vielen im Unterschied zu ihm in der NS-Zeit angepassten Schriftstellerkollegen, wenn er zu Friedrich dem Großen und Adolf Hitler schrieb: „Propagandakompanien aus Dichtern hatte der Preußenkönig nicht, wie später jener Mann, der Schlesien wieder verspielte.“
Anpassung und Opportunismus sollte das große Thema seines neben „Piroschka“ bekanntesten Romans werden. In „Wir Wunderkinder. Der dennoch heitere Roman unseres Lebens“ von 1957 bekommt der Ich-Erzähler, der als Journalist arbeitet, den Auftrag, für eine Illustrierte „möglichst frei“ die Tagebuchnotizen seines ehemaligen, nun verstorbenen Klassenkameraden Bruno Tiches zu veröffentlichen. Hartung zeichnet damit vom ausgehenden Kaiserreich bis in die 1950er Jahre hinein die Lebenswege der beiden Männer nach. Auf der einen Seite der unangepasste, aber keineswegs heldenhafte Ich-Erzähler, der nach 1933 unter Repressalien zu leiden hat, auf der anderen Seite Tiches, der prinzipienlos unter jedem System immer wieder nach vorn kommt. Als dieser nach dem Zweiten Weltkrieg, im letzten Teil des Buches, überlegt, „wieder politisch aktiv“ zu werden, notiert er: „Vor allem weiß ich noch nicht, in welcher Richtung.“
Hartung betrieb keine moralinsaure „Vergangenheitsbewältigung“, sondern führte, als überzeichnete Karikatur, einen Typus vor und fragte, ob „nicht aus der Sicht der Weltgeschichte“ am Ende „schließlich alles nur noch ein närrisches, belachenswertes Spiel“ sei. Die Tonlage wurde dankbar aufgenommen. Wie „Piroschka“, so wurde auch „Wir Wunderkinder“ verfilmt, allerdings vergleichsweise frei. Einprägsam war hier die von Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller vorgetragene Musik mit Ohrwurmpotential wie das „Lied vom Wirtschaftswunder“.
Hartung, der neben vielem anderen noch eine Art Fortsetzung zu den „Wunderkindern“ vorlegte, „Wir Meisegeiers“, starb am 2. Mai 1972 in München. 1982 gab seine Frau eine achtbändige Gesamtausgabe seiner Werke heraus.