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Literatur

Poetische Stimme eines Volks von Freiheitskämpfern

Am Neujahrstag vor 200 Jahren kam der ungarische Nationaldichter Sándor Petőfi zur Welt

Tamás Fonay
01.01.2023

Vor genau 200 Jahren, am 1. Januar 1823, wurde der wohl berühmteste ungarische Dichter geboren. Wie kein anderer prägt Sándor Petőfi die ungarische Poesie bis zum heutigen Tag so maßgebend, dass sein Name mit der Dichtkunst annähernd eins wurde: Wenn man in Ungarn nach Gedichten gefragt wird oder an Lyrik, Poesie, ja, sogar Literatur im Allgemeinen denkt, kommt den meisten sofort der Name Petőfi in den Sinn. Jedoch war er nicht nur ein Dichter. Petőfi war vielmehr ein Freiheitskämpfer, ein Träumer und hat sich in seinen bloß 26 Lebensjahren als Volksheld verewigt.

Trotz seiner über (Dichter-)Generationen andauernden Berühmtheit wurde und wird über ihn und sein Lebenswerk viel diskutiert. Petőfi ist eine solch kon­troverse Persönlichkeit der ungarischen Kulturgeschichte geworden, über die man alles Mögliche sagen kann, und gleichzeitig auch alles Gegenteilige. In den Augen einiger war er egoistisch, aufgeblasen und schrieb volkstümliche Gedichte, in den Augen anderer gab er sich bescheiden, zurückhaltend, schweigsam und vertrat republikanische Ansichten. 

Daher stellt sich angesichts seines Geburtstags die Frage, wer dieser Mann war, nach dem in Ungarn in nahezu allen Gemeinden ein Platz oder eine Straße benannt wird, was er tat und warum er in Ungarn, im „Land der zehn Millionen Freiheitskämpfer“ so bedeutend wurde, dass sein Name sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. 

Petöfis Werdegang und Poesie 

Sándor Petőfi (geboren als Sándor Petrovics) entstammte einer in Ungarn lebenden slowakischen Familie, betrachtete und bezeichnete sich jedoch immer als Ungar. Nachdem er die Schule im Alter von 18 Jahren abgebrochen hatte, arbeitete er am Ungarischen Nationaltheater als Hilfskraft und wirkte teilweise in Statistenrollen mit. Später schloss er sich einer wandernden Theatergruppe an und spielte in verschiedenen Rollen. 

In den Jahren von 1839 bis 1841 war er Soldat und anschließend wieder als wandernder Schauspieler tätig. In dieser Zeit (um 1842) erschien sein erstes Gedicht und wurde vom damals bedeutenden Redakteur und Dichter József Bajza, dem Herausgeber der Literaturzeitschrift „Athenaeum“, veröffentlicht. Aufgrund seiner andauernden prekären finanziellen Lage, hielt er sich bis 1844 mit Übersetzungen über Wasser. 

Im Februar 1844 fasste er seine Gedichte in einer Sammlung zusammen und bat den damals bedeutendsten Dichter Ungarns, Mihály Vörösmarty, der Petőfis Talent erkannte, um Hilfe. Vörösmarty setzte sich für ihn bei der Vereinigung „Nationaler Kreis“ (ungarisch Nemzeti Kör) – bestehend aus Intellektuellen und wohlhabenden Pester Bürgern – ein, die letztendlich die erste Ausgabe von Petőfis Gedichtsammlung finanzierte, die zu einem riesigen Erfolg bei der Leserschaft wurde. Dank dieser Ausgabe und verschiedener Veröffentlichungen in Zeitungen stieg er in kürzester Zeit zu einem der bekanntesten Dichter Ungarns auf. 

Nichtsdestotrotz erfuhr er von einigen intellektuellen Pester Kreisen Bösartigkeit. Manche fühlten sich durch seinen Hochmut angegriffen, andere durch seine Erfolge, wieder andere durch die ungewöhnliche Originalität seiner Poesie, die sie als affektiert und ärmlich empfanden. Aus diesem Grunde wurde aus diesen Kreisen heraus eine regelrechte Kampagne gegen ihn gestartet. Das Scheitern seines plötzlichen Aufflackerns der Liebe zu verschiedenen Frauen in dieser Zeit und die meist ungerechtfertigten Angriffe, die Jubiläum seinem Ruhm und seinem Glück im Wege standen, riefen die bittere Erinnerung an seine alten Leiden wach, und ein gewisser Pessimismus machte sich in ihm breit, welcher sich auf seine Werke im Jahr 1845 und am Anfang 1846 spürbar auswirkte. 

Der Herbst 1846 markiert den Beginn der wichtigsten Periode seines Lebens und Schaffens. Er lernte Júlia Szendrey, seine spätere Frau kennen, die seine Persönlichkeit weiter bereicherte und eine neue Blüte seiner Poesie bewirkte. Seine Liebe zu seinem Land wuchs mit seiner Liebe zu ihr, und die patriotischen und politischen Tendenzen seiner Poesie kamen nun in ihrer vollen Größe zum Vorschein, während seine alten Themen und Gefühle, seine kindliche Neigung zur Liebe, ihn weiterhin inspirierten. 

Die Rolle bei der 48-er Revolution 

Bis März 1848 schrieb er weiter, genoss seinen Ruhm und ließ sich mit seiner Frau nieder. Außerdem wurde er zunehmend über seine Gedichte hinaus politisch aktiv. Am 15. März 1847 war die Oppositionspartei, welche die verschiedenen Strömungen der Reformopposition in Ungarn vereinte, auf der Nationalen Oppositionskonferenz in Pest gegründet worden. Zum Abschluss von deren Eröffnungssitzung trug Petőfi sein Gedicht „Im Namen des Volkes“ vor. 

Danach spielte der Dichter, dessen Temperament ohnehin revolutionär war und dessen Werk von den Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geprägt war, eine führende Rolle in der Bewegung der Pester Jugend, die unter dem Einfluss der Beratungen der Pressburger Nationalversammlung, der Pariser Februarrevolution und der Wiener Revolution immer stärker wurde. In Vorbereitung auf die ursprünglich für den 19. März angesetzte Nationalversammlung schrieb er am 13. März das „Nationallied“ („Nemzeti Dal“). 

Die Nachricht von der 48er-Revolution vom 14. März in Wien verbreitete sich auch in Pest wie ein Lauffeuer, weshalb sich die Jugendlichen, die ihren Sitz im Pester Café Pilvax hatten, unter der Leitung von Petőfi zum Handeln entschieden. Am frühen Morgen des 15. März 1848 proklamierten er und seine Kameraden das „Zwölf-Punkte-Programm“, das am Vortag ausgearbeitet worden war und die Forderungen der Pester Jugend beinhaltete. Im gleichen Atemzug verbreiteten sie das von Petőfi verfasste „Nationallied“. 

Diese Forderungen und der unzensierte Druck des „Nationallieds“ waren ein prägender Ausdruck des Volkswillens und das erste Produkt einer freien Presse und wurden dementsprechend von der Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen. 

Petőfi selbst trug noch am selben Vormittag sein Gedicht im Café Pilvax und anschließend im Hof der Medizinischen Universität vor und löste damit eine Lawine nationaler Gefühle aus, die die Menschenmasse des Aufstandes an dem Tag vor sich trieb. 

Im Laufe der Geschehnisse der Revolution radikalisierte er sich jedoch und zeigte sich mit den Errungenschaften des ungarischen liberalen Adels und der Politik unzufrieden. Außerdem begeisterte er sich unter dem Einfluss der französischen Revolution für die Republik, rief zu einer weltweiten Freiheit auf und bekämpfte die Idee des Königtums, weshalb seine Beliebtheit sowohl in der ungarischen Bevölkerung als auch unter den nationalen Entscheidungsträgern sank. Letztlich zog er für seine Ideale im Freiheitskampf gegen die Habsburger an die Front und starb um den 31. Juli 1849 nahe Schäßburg. 

Wirkung von Leben und Werk 

In den nur sechs Jahren, in denen er als Dichter tätig war, schrieb Petőfi fast eintausend Gedichte in ungarischer Sprache, von denen etwa 850 für die Nachwelt erhalten blieben, und leistete damit einen bleibenden Beitrag zur ungarischen Literaturgeschichte. Er avancierte darüber hinaus zur bedeutendsten Figur der ungarischen Romantik und etablierte neuartige Themen in der ungarischen Dichtung, die bis zu seiner Zeit unbekannt waren. Als erster schrieb er Familienlyrik, Liebesgedichte, welche die eheliche Liebe schilderten, und Landschaftslyrik mit einer würdigen Darstellung der ungarischen Tiefebene, der Puszta. 

Durch ihn wurde ein gänzlich neuer Ton in der ungarischen Literatur hörbar. Er sprach auf eine einfache und zugängliche Weise zu allen Menschen, weil er die Sprache des Volkes in seine Schriften einbezog und den Gedanken in den Mittelpunkt seines Werkes stellte und nicht die äußere Form der Gedichte. 

Petőfi wurde außerdem als Anführer der Märzjugend und einer der Helden des 15. März sowie später als Märtyrer des Freiheitskampfes von 1848/49 ebenso zu einer zentralen Figur der nationalen Legendenbildung. Sein Leben und seine Rolle bei der Revolution wurden damit genauso zum Gegenstand des Kults wie seine Poesie. 

Rückblickend auf die letzten etwa zwei Jahrhunderte der ungarischen Geschichte lässt sich feststellen, dass Petőfi nicht zu altern scheint. Er war nicht nur der fortschrittlichste Geist und der modernste Dichter seiner Zeit, sondern lebte schon damals so modern, dass ihn seine eigene Aktualität zeitlos machte. Sein revolutionärer Geist ist auch heute noch revolutionär. Seine Flamme der Liebe brennt nach wie vor als Flamme der Liebe. Was er als Tragödie empfand, betrübt noch heute, und sein Humor strahlt noch immer Heiterkeit aus. Und nicht zu vergessen sei, dass sein Kampf für die ungarische Souveränität dem ungarischen Volk und der Politik, die derzeit die größte Freiheit der letzten Jahrhunderte genießt, als mahnendes wie inspirierendes Vorbild dienen kann. 

Dies vor allem aber ist den Ungarn bewusst: Petőfis Bedeutung für ungarische Geschichte und Gedichte spiegelt sich ebenso darin wider, dass ihm in seiner Heimat aufgrund seines runden Jahrestages ein ganzes Gedenkjahr mit den verschiedensten Programmen, Ausstellungen und Vorträgen gewidmet wird, um seine Botschaften dem ungarischen Publikum näherzubringen. So wird er auch in Zukunft als prägender ungarischer Nationaldichter und Freiheitskämpfer in Erinnerung bleiben. 

Tamás Fonay ist Projektassistent des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias-Corvinus-Collegium. 
https://magyarnemetintezet.hu

 


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