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Marcin Domino (Mitte) hält das Gedenken an Gerhart Hauptmann im Neustädter Zentrum der Webertradition hoch
Foto: WagnerMarcin Domino (Mitte) hält das Gedenken an Gerhart Hauptmann im Neustädter Zentrum der Webertradition hoch

Östlich von Oder und Neiße

Polen übernimmt Hauptmann kampflos

Der Nobelpreisträger wird in der Heimat entdeckt und in Deutschland abgelegt

Chris W. Wagner
16.09.2024

180 Jahre ist es her, dass im schlesischen Peterswaldau [Pieszyce] und Langenbielau [Bielawa] im Eulengebirge ein Weber-aufstand ausbrach, der vom preußischen Militär niedergeschlagen wurde. Die Weber beklagten elf Tote und 20 Verletzte. Diese „Hungerrevolte“ machte der schlesische Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann zum Thema seines Dramas „Die Weber“, dessen Uraufführung am 25. September vor 130 Jahren in Berlin stattfand und aufgrund dessen Kaiser Wilhelm II. vor Wut seine Loge im Berliner Deutschen Theater kündigte.

Beide Gedenkjahre, 1844 und 1894, macht das niederschlesische Webermuseum in Landeshut in Schlesien [Kamienna Góra] zum Thema der diesjährigen Europäischen Tage des Kulturerbes am 14. September. „Die Notlage der schlesischen Weber im 19. Jahrhundert war Gegenstand zahlreicher literarischer Werke, die heute in Vergessenheit geraten sind“, heißt es in der Projektbeschreibung des Landeshuter Webermuseums. Den Teilnehmern des „Erbetags“ werden Gedichte und Dramenfragmente präsentiert, „die an das Phänomen der Poesie zum Thema Weberei und das Elend der Weber erinnern“, versprechen die Organisatoren. So wolle man Werke schlesischer Autoren, die sich mit der Arbeit der Webereien am Ende des letzten Jahrhunderts in Schlesien beschäftigen, dem polnischen Publikum in ihrer Sprache vorstellen.

Im Zentrum der Webertradition im oberschlesischen Neustadt O.S. [Prudnik] ist das Thema Gerhart Hauptmann und die Weber bereits seit mehr als zehn Jahren präsent. Ähnlich wie in Niederschlesien wurde auch in Neustadt nach Kriegsende die Bevölkerung fast vollständig ausgetauscht, und so muss auch dort viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit die polnische Bevölkerung das deutsche Erbe verstehen und annehmen kann. Neustadt war ein wichtiges Zentrum der schlesischen Weberindustrie, dort lebte zudem Gerhart Hauptmanns Mäzen und Freund – der Textilmagnat Max Pinkus. „Was Hauptmann und Pinkus verbindet, ist ihr Interesse an den Verhältnissen der Weber. Sie taten es jedoch aus unterschiedlichen Perspektiven“, sagt Urszula Rzepiela, Autorin und Publizistin, die mehr als 20 Jahre Museumsleiterin in Neustadt war. Hauptmann beschreibe den Widerstand der Weber gegen die Mechanisierung der Weberindustrie und den Verlust ihrer Arbeitsplätze sowie Absatzmärkte, während Pinkus als ihr Arbeitgeber „diese Probleme zu minimalisieren versuchte“. Noch bevor sie in Pension ging, konnte im Neustädter „Weberzentrum“ eine Dauerausstellung eingerichtet werden, die die enge Beziehung Hauptmanns zu Pinkus dokumentiert. Der hat zusammen mit Wiktor Ludwig die erste Hauptmann-Biografie herausgegeben und Hauptmann setzte seinem Gönner Pinkus ein literarisches Denkmal. „In seinem zweiten Drama ‚Vor dem Sonnenuntergang' war der Hauptheld, ähnlich wie Pinkus, Fabrikant, Bibliophile, und er war reich. Hauptmann war sehr oft in der Pinkusvilla in Neustadt zu Gast“, berichtet Germanist Marcin Domino. Der Neustädter ist stolz, an der Dauerausstellung mitgewirkt zu haben. Darin wird unter anderem gezeigt, wie der Textilmagnat und Kunstsammler Pinkus wohnte. Anhand von Fotografien ist selbst sein Schlafzimmer nachgebaut worden. „Pinkus war begeistert vom Leben und Schaffen Hauptmanns, und weil er für ,Die Weber' den Nobelpreis erhielt, muss diese Tatsache gerade in Neustadt – der Weberstadt – auf Schritt und Tritt publik machen werden.“

Die Thematik der Werber sei heute noch relevant, so Germanist Tomasz Cel, weil auch heute Menschen ausgeschlossen oder am Rande der Gesellschaft stünden, „auch heute leben wir in Zeiten großer Umbrüche durch die Digitalisierung, die Rationalisierung der Beschäftigten, und es gibt ein starkes Bedürfnis, darüber zu sprechen“, sagt Cel. „Deutsche Studenten der Geisteswissenschaften kennen Hauptmann nur noch vom Hörensagen, und es ist schade, dass Hauptmann in Vergessenheit geriet“, bedauert er. Und dieser Zustand wird sich weiter potenzieren. Vor wenigen Tagen gab etwa das Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz und Zittau unmittelbar am Grenzfluss der Lausitzer Neiße bekannt, seinen Namen ablegen und sich nach einem Sponsor benennen zu wollen.


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