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Polens besondere Streitmacht

Welchen völkerrechtlichen Status hatte die Armia Krajowa, die den Warschauer Aufstand unternahm? Ist der AK der Kompatantenstatus zuzubilligen?

Björn Schumacher
02.01.2020

Polen wurde am 1. September 1939 von der Wehrmacht und am 17. September 1939 von der Roten Armee attackiert. Am 28. September kapitulierte das heftig bombardierte Warschau vor den deutschen Belagerern. Ein deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag bestätigte das (geheime) Zusatzprotokoll des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages vom 24. August 1939. Die Gebiete östlich der von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs am 8. Dezember 1919 als Ostgrenze der neugeschaffenen Republik Polen festgelegten Curzon-Linie wurden mit einigen angrenzenden Bezirken von der Sowjetunion, der Rest von Deutschland okkupiert.

Nationalsozialisten und Kommunisten agierten äußerst brutal. Die von der Wehrmacht besetzten Gebiete wurden teils annektiert, darunter die vorher reichsdeutschen Gebiete Westpreußen/Pommerellen, Provinz Posen, Ostoberschlesien und die 1919 unter Völkerbundmandat gestellte „Freie Stadt Danzig“, teils zum „Generalgouvernement“ für die besetzten polnischen Gebiete erklärt. Unter deutscher Besatzung starben nach polnischen Recherchen etwa 5,5 Millionen Menschen, darunter drei Millionen Juden.

Zweifellos befanden sich das Deutsche Reich und die Republik Polen von Anfang an in einer brisanten völkerrechtlichen Gemengelage. Dessen ungeachtet hat Deutschland mit dem Angriff auf Polen mehrere Verträge gebrochen. Dazu gehört das I. Haager Abkommen zur friedlichen Erledigung von Streitfällen vom 18. Oktober 1907. Dazu gehören ferner ein im schweizerischen Locarno geschlossener deutsch-polnischer Schiedsvertrag vom 16. Oktober 1925 und ein Nichtangriffspakt vom 26. Januar 1935, der sogenannte Piłsudski-Hitler-Pakt. Die Annexion der Freien Stadt Danzig verstieß gegen den Versailler Vertrag, den das Deutsche Reich nach massiven alliierten Drohungen am 28. Juni 1919 unterzeichnet hatte. Vor allem aber verletzte der Polenfeldzug ein Schlüsseldokument des modernen Friedensvölkerrechts, den Briand-Kellogg-Pakt vom 27. August 1928, in dem sich Deutschland mit anderen Vertragsstaaten auf die Ächtung von Angriffskriegen verständigt hatte. Erlaubt war nur die Teilnahme an Sanktionen des Völkerbunds. Der Briand-Kellogg-Pakt stützte Anklagepunkte im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess von 1945/46.

Kein Untergang 1939

Hitlers Angriffskrieg lässt sich auch nicht mit Demokratiedefiziten der Republik Polen rechtfertigen. Nichtsdestoweniger waren dort Minderheiten, vor allem Deutsche, Russen und Ukrainer, markanten Repressalien ausgesetzt. Unter Marschall und Machthaber Józef Piłsudski entwickelte sich Polen zu einem Militärstaat, dessen Gebietsgewinne auf Waffengängen gegen Litauen und die Sowjetunion beruhten. In Oberschlesien kam es ab 1919 zu Aufständen paramilitärischer Verbände, die in eine umstrittene Aufteilung des Gebiets mündeten. Ostoberschlesien mit seiner Montanindustrie fiel an Polen. Auch das Verhalten der polnischen Regierung in der hektischen Diplomatie des Jahres 1939 beschäftigt die Geschichtsforschung. Eine Mitschuld des Landes am Zweiten Weltkrieg ist Gegenstand kontroverser Debatten (siehe Gerd Schultze-Rhonhof, „Der Krieg, der viele Väter hatte“, und Stefan Scheil, „Fünf plus Zwei“).

Ebenso spannende Fragen ranken sich um die völkerrechtliche Stellung Polens im Zweiten Weltkrieg. War die Zweite Polnische Republik mit der Zerschlagung ihrer Institutionen tatsächlich untergegangen? Lässt sich eine fortlebende polnische Staatlichkeit zumindest für das Generalgouvernement reklamieren? Die Antwort bemisst sich unter anderem nach der Drei-Elemente-Lehre des Staats- und Völkerrechtlers Georg Jellinek (1851–1911). Dieser definierte den modernen Staat als soziales Gebilde mit den Merkmalen Staatsgebiet (von Grenzen umgebenes Territorium), Staatsvolk (dort ansässige Gruppe von Menschen) und Staatsgewalt (tatsächliche Herrschaftsmacht über das Territorium). Eine maßgebende Rolle könnten insoweit die polnische Heimatarmee, der sogenannte Untergrundstaat und die polnische Exilregierung spielen.

Die polnische Heimatarmee, gegründet Ende September 1940 als Służba Zwycięstwu Polski (Dienst für den Sieg Polens), war die größte europäische Widerstandorganisation des Zweiten Weltkriegs. Sie bestand aus Soldaten der zerschlagenen polnischen Armee und weiteren Freiwilligen. Umbenannt in Armia Krajowa (AK, Landesarmee) gehörten ihr 1944 über 350 000 Partisanen an. Mit spektakulären Anschlägen und Aufständen agierte die Heimatarmee vor allem im Generalgouvernement. Sie sprengte 40 Eisenbahnbrücken, beschädigte 19 000 Waggons und 6900 Lokomotiven, zerstörte 4300 deutsche Militärfahrzeuge, verübte 25 000 Sabotageakte in Rüstungsfabriken und setzte 130 Waffen- und Ausrüstungslager sowie 1200 Tankwagen in Brand.

Bei der „Operation Gewitter“ agierte die Heimatarmee auch außerhalb des Generalgouvernements erfolgreich, etwa in Wilna. Ende Juli 1944 eroberten ihre Einheiten das im Russlandfeldzug von der Wehrmacht besetzte galizische Lemberg. Am Warschauer Aufstand im August/September 1944 beteiligten sich 45 000 nicht optimal ausgerüstete Kämpfer der Heimatarmee, die vergeblich auf Unterstützung der bis zur Weichsel vorgerückten Rotarmisten hofften, sich letztlich der Wehrmacht ergeben mussten und in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten.

Der polnische Untergrundsstaat

Im mittlerweile komplett von der Roten Armee kontrollierten Polen setzte die Heimatarmee 1945 ihren Widerstand fort − nun gegen das kommunistische Regime. Über 20 000 Partisanen wurden von den Kommunisten ermordet. Man darf sie nicht mit jenen zirka 25 000 polnischen Offizieren verwechseln, die 1940 unter anderem beim Massaker von Katyn von NKWD-Geheimdienstagenten auf Befehl Stalins ermordet wurden.

Die Heimatarmee war der militärische Arm eines sogenannten Untergrundstaats (Polskie Państwo Podziemne), der über den bewaffneten Widerstand hinaus der Republik Polen eine Art Kontinuität verschaffen sollte. Sein Schwerpunkt lag auf dem Bildungssektor, speziell auf Schul- und Hochschulaktivitäten. Konspirative Ausbildungen fanden unter anderem in Warschau und Krakau, später auch Wilna und Lemberg statt. Zudem etablierte sich ein geheimes Presse- und Sozialfürsorgewesen. Aus dem Ausland flossen Spenden, die von den Okkupanten kaum abgefangen werden konnten. Leitidee des Untergrundstaats war die Überzeugung, die Besetzung Polens mit allen daraus resultierenden institutionellen Konsequenzen sei illegal und eröffne völkerrechtlichen Spielraum für eine parallele, von autochthonen Institutionen getragene polnische Staatlichkeit.

Ranghöchstes Element polnischer Untergrundstaatlichkeit war die Exilregierung. Sie konstituierte sich 1939 in Paris als Nachfolgerin der nach der Kapitulation geflüchteten und in Rumänien internierten (regulären) Regierung. Weil diese den ersten Präsidenten der Exilregierung ernannte, blieb die Kontinuität der Amtsführung im Wesentlichen gewahrt. Im Juni 1940 verließ die Exilregierung das militärisch unterlegene Frankreich und zog in Abstimmung mit dem britischen Premierminister Winston Churchill nach London. Als „Hauptfeind“ Polens deklarierte die Exilregierung am 18. Dezember 1939 das Deutsche Reich. Dagegen suchte sie, auch auf Drängen Churchills, zeitweise den Ausgleich mit der Sowjetunion. Im Sikorski-Maiski-Abkommen vom 30. Juli 1941 vereinbarten beide Seiten einen Botschafteraustausch und die gemeinsame Fortführung des Kampfes gegen Deutschland. Der endgültige Bruch mit Stalin bahnte sich an, als dessen Urheberschaft am Massaker von Katyn kaum noch zu leugnen war. Zudem erkannte die Exilregierung, dass Stalin die Gebiete östlich der Curzon-Linie auf jeden Fall behalten und auf polnischem Territorium einen kommunistischen Vasallenstaat errichten würde. Im August 1943 schloss sie eine weitere Zusammenarbeit mit der Sowjetunion aus.

Den Kampf für ein freies, unabhängiges Polen gab die Exilregierung bis zum Fall des Eisernen Vorhangs nicht auf. Am 22. Dezember 1990 übergab ihr letzter Präsident, Ryszard Kaczorowski, die Insignien des Präsidentenamtes der Zweiten Polnischen Republik an das neue, demokratisch gewählte Staatsoberhaupt Lech Wałęsa.

Status des Generalgouvernements

Unkompliziert ist die Frage nach dem Fortbestand polnischer Staatlichkeit in den von Deutschland und der Sowjetunion annektierten Gebieten. Sie wurden in neue Herrschaftssysteme integriert, die sogleich eigene Hoheitsmacht entfalteten. Eigene polnische Staatsgewalt gab es hier nicht mehr. Dass die Annexionen gegen Artikel 10 Satz 1 der Satzung des Völkerbunds verstießen, ändert daran nichts. Staatsgewalt ist ein Faktum, das nicht an der Moralität oder Legalität von Herrschaftsstrukturen hängt.

Anders verhält es sich mit dem vom Reich durch eine Währungs- und Zollgrenze getrennten Generalgouvernement. Das völkerrechtliche Prinzip der „Gebietsausschließlichkeit“, das die Anerkennung mehrerer Staatsgewalten auf demselben Territorium verhindern soll, greift hier nicht. Auch wenn der NS-Staat dieses Gebiet zum „Reichsnebenland“ mit deutscher „Raumhoheit“ erklärte, blieb dessen Verwaltung ein Flickenteppich. Eine durchorganisierte deutsche Staatsgewalt gab es nicht. Das Generalgouvernement diente der Versorgung der Wehrmacht und der Vollstreckung des nationalsozialistischen Unterdrückungsprogramms. Das daraus resultierende Machtvakuum nutzten die Heimatarmee und der gesamte polnische Untergrundstaat für ihre Aktivitäten.

Maßgebende Restbestände polnischer Staatlichkeit sind 1939 also nicht untergegangen. Die Anerkennung der polnischen Exilregierung durch diverse Staaten war keineswegs nur ein symbolischer Akt; sie hatte eine völkerrechtliche Grundlage in Gestalt der Drei-Elemente-Lehre. Obendrein lässt sich die Duldung der Exilregierung auf britischem Boden auch damit begründen, dass das Vereinigte Königreich mit Deutschland Krieg führte.

Ebenso konsequent entzogen Großbritannien und die USA der Exilregierung am 6. Juli 1945 die Anerkennung. Der Krieg war vorüber; und in Polen hatte sich eine aus dem „Lubliner Komitee“ geformte kommunistische „Volksrepublik“ mit eigener, wenn auch von Moskau gelenkter Staatsgewalt konstituiert.


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