14.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Eu-Politik

„Polexit“ aus Versehen?

Verfassungsgericht stellt polnisches über EU-Recht – Harsche Reaktionen aus Brüssel

Norman Hanert
18.10.2021

Nachdem Polens Verfassungsgericht der Europäischen Union bescheinigt hatte, die Kompetenzen zu überschreiten, spitzt sich der Konflikt zwischen Warschau und Brüssel zu.

Am 7. Oktober hatten die polnischen Verfassungsrichter entschieden, dass EU-Recht nicht prinzipiell über dem Recht des Landes steht. In ihrem Urteil werteten die Richter den „Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen“, als Verstoß gegen die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Souveränität, die auch im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibe. In Brüssel fielen die Reaktionen auf das Urteil teils drastisch aus. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, drohte Polen bereits mit finanziellen Konsequenzen.

Barley droht mit Konsequenzen
Barley sagte, die Europäische Kommission dürfe „diesen Dammbruch nicht durchgehen lassen“. Die Kommission dürfe „keine europäischen Corona-Milliarden nach Warschau geben und muss auch sonstige Fördergelder sperren“, so die SPD-Politikerin. Genau so häufig wie Sanktionsforderungen sind Warnungen zu hören, mit dem Urteil der polnischen Verfassungsrichter habe der „Polexit“ begonnen. Zumindest offiziell streben weder Brüssel noch Warschau einen Austritt des Landes an.

Regierungschef Mateusz Morawiecki schrieb nach dem Urteil auf Facebook: „Polens Platz ist und bleibt in der europäischen Völkerfamilie.“ Zuvor hatte schon der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, beteuert, seine Partei sehe die Zukunft Polens eindeutig in der EU: „Es wird keinen Polexit geben“, so Kaczynski vor dem Urteil.

Tatsächlich müsste die Regierungspartei PiS bei dem Vorhaben, Polen gezielt aus der EU zu führen, einen drastischen Zustimmungseinbruch befürchten. Mit über 80 Prozent ist die Zustimmung der Polen zur EU so hoch wie in kaum einem anderen Land. Tatsächlich haben die Polen seit dem Beitritt zur EU stark von Zahlungen aus den Brüsseler Finanztöpfen profitiert. Das Land ist mit Abstand der größte Nettoempfänger von EU-Geldern. Seit dem Beitritt im Mai 2004 bis zum Jahr 2020 sind insgesamt 127 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt nach Polen geflossen. Der Geldstrom hat starken Anteil daran, dass das Durchschnittseinkommen in Polen mittlerweile auf 75 Prozent des EU-Durchschnitts angestiegen ist. Allein aus dem Wiederaufbaufonds der EU könnten in den kommenden Jahren zusätzlich zu den Agrar- und Fördermitteln nochmals 57 Milliarden Euro nach Warschau fließen.

Bereits im Streit um Erklärungen von polnischen Kommunen und Regionen, die sich gegen die LGBT-Ideologie richten, hat die EU-Kommission die Auszahlung von Mitteln aus dem Wiederaufbaufonds an Bedingungen geknüpft und Auszahlungen teilweise auf Eis gelegt. Forderungen wie die von Barley, Polen finanziell noch stärker die Daumenschrauben anzuziehen, könnten allerdings eine Eigendynamik entwickeln, die letztendlich doch zum Polexit oder aber zu einer politischen Lähmung der EU führt.

Zustimmung Polens im EU-Rat nötig
Wie besonders auf dem Balkan zu beobachten ist, versuchen potente Geldgeber Einflussmöglichkeiten auf die EU zu bekommen. Dass Polen sich Russland zuwendet, ist nur schwer vorstellbar. Anders könnte dies aussehen, wenn Chinas Führung gegenüber Warschau Avancen macht. Bedenken müssen EU-Kommission und der auf eine harte Haltung drängende Teil der EU-Abgeordneten zudem, dass es im EU-Rat auch künftig immer wieder Entscheidungen geben wird, die Einstimmigkeit erfordern und damit auch die Zustimmung Polens.

Auch innenpolitisch könnte massiver finanzieller Druck auf Polen eine Wirkung entfalten, die Brüssel eigentlich nicht beabsichtigt. Der Wunsch nach finanzieller Bestrafung und Unterordnung Polens könnte im Land nämlich eine Trotzstimmung heranreifen lassen, die von Politikern wie etwa dem Justizminister Zbigniew Ziobro („Solidarisches Polen“) schnell aufgegriffen werden könnte. Argumente für eine EU-kritische Kampagne hat die EU-Kommission in den vergangenen Jahren selbst mehrfach geliefert. Beispielsweise, indem sie einigen Ländern Regelverstöße einfach durchgehen ließ und nicht ahndete. Als Frankreich und Italien etwa im Jahr 2014 mit ihren Haushaltsentwürfen gegen die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts verstießen, entschied der damalige Kommissionschef Jean-Claude Juncker, dies nicht zu sanktionieren: „Die Länder mögen die Lektionen nicht, die aus Brüssel kommen“, so der Luxemburger.

Das Gefühl, innerhalb der EU Bürger eines Landes zweiter Klasse zu sein, mehr noch aber der Eindruck, als Nation erneut fremdbestimmt zu sein, könnte bei vielen Polen noch immer einen sehr empfindlichen Nerv treffen.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Jan Kerzel am 23.10.21, 18:21 Uhr

Es wird keinen Polexit geben, so Kaczynski. Na also, was soll die ganze Aufregung? Sturm im Wasserglas. Polen wird in seiner Nehmer-Zeit niemals aus der EU austreten. Von daher wäre dies auch eine lächerliche Drohung gewesen. Man wird sich arrangieren und gut ist. Zumindest hat man mal gezeigt, man könnte, wenn man wöllte.

Michael Mechtel am 20.10.21, 07:17 Uhr

Es geht hier gar nicht um ein primär polnisches Problem. Die Frage, ob EU-Recht über den nationalen Verfassungen steht oder nicht und wie weit die Kompetenzen des EuGH gehen und wo sie enden, ist eine fundamentale Frage, die unmittelbar die Grundstruktur der EU und jeden einzelnen Mitgliedsstaat betrifft.

Der Standpunkt der polnischen Verfassungsrichter hat einiges für sich. Die EU besteht nämlich aus Rechtsstaaten. In einem Rechtsstaat ist jede Regierung an ihre eigenen Gesetze, insbes. ihre eigene Verfassung gebunden und steht nicht über diesen. Sie ist also gar nicht ermächtigt, die eigene Verfassung zur Disposition zu stellen oder von außen uminterpretieren zu lassen!

Und der Verfassungsgeber ist in einer Demokratie immer noch der Demos, also das (eigene) Volk. Der aktuelle Streit rührt also an die Grundsatzfrage: soll die EU ein riesiger Zentralstaat sein, in dem sich die Völker auflösen, oder ein föderaler Bund weitgehend selbständiger Einzelstaaten, in dem jedes Volk seine Identität bewahren kann?

Tom Schroeder am 18.10.21, 16:22 Uhr

Ich wünsche mir manches mal genau so was vom Bu7ndesverfassungsgericht, welches dann der EU die indirekte und direkte Staatsfinanzierung aus der Notenpresse der ECB verbieten könnte, denn das geht zu Lasten der deutschen Kleinsparer, die im inflationären Euro gefangen sind. Aus Brüssel kommt viel Unsinn und der Drang nach Zentralismus über die gesamte EU - eben wie Frankreich immer regiert wurde mit Paris als Sonne des Universums. Die EU ist super-sinnvoll, aber dann bitte wirklich mit Verstand und Subsidiaritätsprinzip überall, wo überstaatliche Interessen aufhören. Auch ist die hierarchische Sichtweise von Oben nach Unten, also von EU über die Regierungen der Staaten hin zu weiteren Regionalinstitutionen völlig falsch und wird nur schwerlich akzeptiert. Die EU als Matrixorganisation, in der die einzelnen Staaten ihre Souveraenitaet bewahren und dazu dann die gemeinsamen Interessen mit gemeinsamen Institutionen managen: Militär, Migration als echten Kompromiss und nicht als Machtprobe der reichen Moralisten gegenüber den armen Realisten, Ausssenpolitik, Umwelt, grundlegende Bürgerrechte, Geopolitik - aber bitte keine Einmischung in lokale Gepflogenheiten. Auch wäre man mit nationalen Währungen und manchmal geheim abgesprochenen und gesetzten Wechselkursen höchst schlagkräftig gegen Spekulanten, wohingegen der Euro heute für alle feindlichen Aktionen und deren Auslöser immer gut berechenbar bleibt. Die Eitelkeiten in Brüssel stehen jedem vernünftigen Realisieren einer wirklich guten EU im Wege - so hat Polen auf seine Art Recht und auch die Briten hatten auf ihre Art Recht. Gehen wir doch 2 Schritte zurueck und dann wieder einen in die richtige Richtung vor.

Siegfried Hermann am 18.10.21, 08:40 Uhr

Moin!
....127 Milliarden Euro und weitere
nochmals 57 Milliarden Euro....

wiki: Polen 2017
Staatseinnahmen ca. 90 Mrd.
Staatsausgaben 102 Mrd.
Vergleich das kleine Österreich
197 zu 201 Mrd.

Ich sach ma so:
Wenn man keine wahren Freunde hat (Bundesmutti, Flintenuschi) kauft man sich (auf Pump) eben welche. Frei nach dem Motto: Wessen Brot ich eß dessen Musik ich spiel.
Ergo:
Dieses ganze affige EU-Huldigungs-theater geht nur lange so gut, bis der Spice aufhört zu fließen.
Die spätrömische Dekadenz mit ihren Abriss des Limes (Ausbleiben der Löhne für Landsknechte) nur als mahnendes Beispiel!
Im Juli/August 22 ist es soweit.
Und das ist gut so.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS