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„Kunst der Industrie“ – Dank der Industriada ist die deutsche Industriegeschichte um Kattowitz nicht wegzudiskutieren
Was die Extraschicht im Ruhrpott für die Bundesrepublik, ist die Industriada im Kattowitzer Industriebecken für die Republik Polen. Das oberschlesische Festival der Industriekultur ist die etwas jüngere Tochter des Ruhr-Festivals, das in diesem Jahr am 24. Juni stattfindet. Die Industriada beginnt eine Woche früher am 17. Juni und erstreckt sich auf die Woiwodschaft (Ober-)Schlesien. „Das ist die beste Werbung für unsere Woiwodschaft und für Ostoberschlesien. Es geht hier um die Tradition, die Geschichte dieser Region. Diese Veranstaltung ist ein identitätsstiftender Faktor, denn sie hilft, das Erbe anzunehmen, es zu pflegen und als Alleinstellungsmerkmal anzusehen“, sagt Ideengeber Jerzy Gorzelik von der Bewegung für die Autonomie Schlesiens.
Die Unterhaltung in Form von Spielen, Ausstellungen oder Konzerten, die am Tag der Industriada alle kostenfrei sind, dienen dazu, die Industriegeschichte „an den Mann zu bringen“. Die „Kunst der Indus-trie“ ist das Motto in diesem Jahr und für diese Verbindung steht die einstige Königlich-Preußische Eisengießerei zu Gleiwitz [Gliwice]. Heute ist sie eine Abteilung des Gleiwitzer Museums. „Denn mit dem 10. November 1796, an dem die Gleiwitzer Hütte nach englischem Vorbild als erste aller festländischen Hütten den Hochofenbetrieb mit Koks aufnahm, beginnt ein neuer wichtiger Zeitabschnitt in der Entwickelung dieser Industrie, und insbesondere der Oberschlesischen“, schrieb Rudolf Seidel in seiner „Denkschrift zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Königlichen Eisengießerei zu Gleiwitz“ 1896.
Zweite Hütte Preußens
Dieser von Friedrich Wilhelm Graf von Reden (1752–1815) gegründete Staatsbetrieb war die zweite Hütte Preußens nach der 1754 gegründeten Eisenhütte im ebenfalls oberschlesischen Malapane [Ozimek]. Am Bau der Königlich Preußischen Eisengießerei in Gleiwitz war der Bauingenieur und Konstrukteur John Baildon (1772–1846) beteiligt. Bauingenieur und Hüttenbaudirektor Johann Friedrich Wedding (1759–1830) erbaute in Gleiwitz einen Kokshochofen.
Die Kunst zog mit Friedrich Ludwig Beyerhaus in die Gießerei zu Gleiwitz ein. Er wurde als erster Modelleur 1816 von Berlin dorthin berufen. Unter seiner Leitung setzte man die höchste Kriegsauszeichnung, das „Eiserne Kreuz“, nach dem Entwurf Karl Friedrich Schinkels um. Zu den bedeutenden Schülern von Beyerhaus gehört der in Paprotzan [Paprocany] bei Tichau [Tychy] geborene August Kiß (1802–1865). Von ihm stammt die Amazone zu Pferde am Alten Museum zu Berlin.
Ein ebenso bedeutender Schüler von Beyerhaus war der Bildhauer Theodor Kalide (1801–1863), der sich auf Tierplastiken und Mensch-Tier-Gruppen spezialisiert hatte. Seine schlafenden oder wachenden Löwen sind noch vielerorts in Oberschlesien zu finden. Wie Kiß studierte auch Kalide Kunst in Berlin, wo er bis zu seinem Tode ein Atelier – Unter den Linden, Ecke Pariser Platz – betrieben hat. Sein einziges, lebensgroßes sakrales Werk, eine Marienfigur, blieb an seinem Ursprungsort, der Heiligkreuzkirche in Miechowitz [Miechowice], einem Stadtteil vom Beuthen [Bytom], erhalten.
Das heutige Museum zu Gleiwitz, zu dessen Abteilungen das Kunsteisengussmuseum in der ulica Bojkowska 37 gehört, ist dank einer „Schenkung“ der Gleiwitzer Fabrik für Technische Geräte im Besitz bedeutender Modelle und Gussformen. Doch allein schon das Museumsgebäude ist einen Besuch wert. Es befindet sich in den Tagesanlagen der einstigen Gleiwitzgrube. Diese wurden von 1912 bis 1914 von den Berliner Architekten Emil und Georg Zillmann entworfen. Kustodin Anna Kwiecień weist darauf hin, dass es seit 2007 eine Zusammenarbeit mit der Stiftung Stadtmuseum Berlin und dem Rheinischen Eisenkunstguss-Museum Sayn gibt. Die damals entstandene gemeinsame Schau „Europäischer Eisenkunstguss“ half dem Gleiwitzer Museum zum Durchbruch in der gesamtpolnischen Museumslandschaft.
Bedeutende Modelle und Gußformen
Während der Industriada werden Besucher in die Welt der Modelleure und Graveure eintauchen sowie anhand alter Formen Gips-Medaillen mit dem Konterfei preußischer Persönlichkeiten gießen können. Es werden Führungen mit Vorträgen zur Geschichte der Königlich-Preußischen Eisengießerei, allerdings in polnischer Sprache, angeboten, doch das Museum verfügt über deutschsprachige Publikationen zu der Gießerei.