19.03.2024

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Preußens Eiland in Friesland

Norderney ist Deutschlands älteste Seebadinsel. 1797 entstand auf der ostfriesischen Insel die erste Königlich-Preußische Seebadeanstalt. Später kam sogar der Kaiser zu Besuch – Teil 1 unserer kleinen Reise zu den preußischen Seebädern

Helga Schnehagen
05.07.2020

Als britische Ärzte Mitte des 18. Jahrhundert das alte Wissen um die heilende Kraft des Meeres wiederbelebten und an der englischen Küste eine ganze Reihe von Seebädern entstand, allen voran Brighton, fragte der Göttinger Professor Georg Christoph Lichtenberg 1793 in einem Essay: „Warum hat Deutschland noch kein großes öffentliches Seebad?“ 

Den deutschen Seebäder-Gedanken ins Gespräch gebracht hatte als Erster Gerhard Otto Christoph Janus, Inselpastor von Juist. Um die schwierige Existenz der Fischer durch ein Seebad zu verbessern, hatte er 1783 eine Petition an Friedrich den Großen gerichtet, den damaligen Landesherrn – die Grafschaft Ostfriesland war 1744 an Preußen gefallen –, und darin den gesundheitlichen Nutzen der Seeluft ausführlich erklärt. Seine Eingabe blieb unbeantwortet. 

Dafür beschlossen die ostfriesischen Landstände 1797 die Errichtung eines Seebades auf Norderney. Für die Insel sprach die gute Anbindung an die Hafenstadt Norden und die Möglichkeit, sie bei Ebbe über das Watt zu erreichen. Dieses Mal ließ die Genehmigung aus Berlin nicht lange auf sich warten, vorausgesetzt, die Landstände trügen selber die Kosten. Juist dagegen wurde erst 1840 Seebad. 

Im Jahr 1800 konnte Norderney mit 250 zahlenden Gästen seine erste Saison offiziell eröffnen. 1803 kamen bereits 400 Sommerfrischler, davon 100 sogenannte Ausländer. So wurden Nicht-Preußen seinerzeit genannt und statistisch erfasst. Zu den Pionieren gehörte Blücher, der später bei Waterloo über Napoleon siegen sollte. Als Generalleutnant machte er von 1801 bis 1804 mit seiner Familie Sommerurlaub auf Norderney. 

Der Aufschwung der ersten Königlich-Preußischen Seebadeanstalt nahm ein jähes Ende, als Ostfriesland unter französische Besatzung fiel und Napoleon die Kontinentalsperre über England verhängte. Von 1813 bis 1815 war Norderney wieder preußisch und ab 1815 Teil des Königreichs Hannover. Unter den Welfen erlebte Norderney seine erste Blütezeit. Als Sommerresidenz von König Georg V. avancierte Norderney zu einem der bedeutendsten Treffpunkte Europas. 

Nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen 1866 übernahmen die Hohenzollern blitzartig wieder die Insel. Denn schon am nächsten Morgen tauchte das Kanonenboot „Blitz“ vor der Insel auf. Der Herrschaftswechsel war für Norderney ein Glücksfall. Unter den Preußen erlebte das Seebad bis 1914 seine zweite Blütezeit. Prominenter Botschafter war Bernhard von Bülow, der von 1900 bis 1914 15 Jahre lang mit Wonne die Sommermonate auf Norderney verbrachte. 

Dabei genoss der Reichskanzler (1900–1909) sichtlich die herrliche Landschaft beim Spazierritt am Strand und beim Ritt durch die Dünen. Sein Stammquartier war die Villa Fresena, eine 1870 im Tudorstil erbaute Villa am Weststrand, heute Haus Belvedere und privat genutzt. Ab 1906 hatte er dazu die benachbarte Villa Wedel, der er den Namen „Villa Edda“ gab, angemietet. 

Hier empfing er am 18. Juni 1906 Kaiser Wilhelm II., der seinen Kanzler mit einem Besuch überraschte. Nach 60 Jahren als Kinderheim (1921–1981) wurde die Villa zum Hotel Meeresburg umgebaut und erweitert. Für Wilhelm II. war die Insel eine alte Bekannte. Schon als Zehnjähriger hatte er mit Eltern und Geschwistern auf der Insel Urlaub gemacht. Als junger Ehemann und Vater hatte er im Juli 1882 mit Frau und Kind im „Haus Hohenzollern“, Friedrichstraße 19, heute Rathaus-Apotheke, gewohnt. 

Auch Bismarck hatte es schon auf die Insel gezogen: 1844 wohnte er in der Luisenstraße 23 und 1853 in der Marienstraße, wo die Nummer 5 als Haus „Bismarck“ bis heute seinen Namen trägt. In der Marienstraße suchte auch Theodor Fontane Inspiration: 1882 zuerst in der Nr. 8, 4, 3 – er war in diesem Sommer mehrfach umgezogen – und 1883 gleich in der Marienstraße 3. So richtig wohl fühlte sich der Dichter in der betuchten feinen Gesellschaft aus Adel, Politik und Geldadel jedoch nicht, wie er seiner Frau anvertraute. In seinem Erzählwerk sucht man Norderney vergebens. So erinnert nur eine Gedenktafel an den Aufenthalt von Preußens Vorzeigeliteraten. 

Anders erging es Heinrich Heine, der von 1825 bis 1827 drei Sommerurlaube auf der Insel verbrachte und dabei Teile seines Nordseezyklus verfasste. Als man ihm aber 1983 vor dem Kurtheater ein Denkmal setzte, geschah das unter heftigstem Protest. Die Ende der 70er gegossene Figur geht auf einen Entwurf von Arno Breker von 1930 zurück. Als „Hofbildhauer der Nationalsozialisten“ ist sein Werk heute für viele untragbar geworden. 

Hier wurde Weltpolitik betrieben 

Klaglos dagegen erhebt sich seit 1899 das Kaiser-Wilhelm-Denkmal vor der Bismarckstraße zur Erinnerung an die Reichseinigung von 1871 und Kaiser Wilhelm I. Der auffällige Obelisk setzt sich aus 75 von deutschen Städten, Provinzen und Privaten gestifteten unterschiedlichen Steinen zusammen. 

Ein ganz persönliches Denkmal setzte Wilhelm I. mit der Evangelischen Inselkirche. Zusammen mit seiner Frau spendete er 50.000 Mark, um deren Neubau zu ermöglichen. Am 11. Juni 1879, bewusst am Tag der Goldenen Hochzeit des Kaiserpaares, wurde die Kirche eingeweiht. 

Nach dem Ersten Weltkrieg blieb Norderney en vogue. Die Zahl der Gäste erreichte bis 1939 über 48.000 pro Jahr. Auf die nächste große Blütezeit mussten die Insulaner, heute 6000 an der Zahl, allerdings bis zum Wirtschaftswunder der 1950er warten. 1959 wurde die Grenze von 100.000 Gästen erstmals übersprungen. Hatten früher vorwiegend die Oberschicht und die begüterte Mittelschicht das Bad besucht, konnte sich jetzt auch der Normalbürger die Reise auf die Insel leisten. Seitdem versucht die Kurverwaltung, mit einem breitgefächerten Angebot möglichst jedem Besucher gerecht zu werden. 

Doch die Zeit bleibt nicht stehen. Nicht zuletzt durch 5000 überwiegend nur privat genutzte Ferienwohnungen und steigende Immobilienpreise gewinnt die Insel ihre alte „Noblesse“ zurück. Zuletzt übernachteten jährlich etwa 520.000 Gäste auf dem 26 Quadratkilometer großen Eiland. Unterm Strich ergibt das über 3,5 Millionen Übernachtungen. Dazu kommen noch rund 230.000 Tagesgäste pro Jahr. In diesem Sommer dürfte die Insel besonders voll werden. Da sich in Corona-Zeiten kaum jemand ins Ausland wagt, werden sich die Urlauber vermehrt an deutschen Küsten sonnen. 

Dabei zieht es die Besucher auch in die Inselstadt mit ihrem historischen Flair, dessen mondäner Chic sich besonders am Kurplatz entfaltet: mit Großem Logierhaus, später Kurhotel und heute Thalasso-Hotel Nordseehaus, glanzvollem Kurtheater, stilvollem Basar, jetzt Rathaus, Badehaus, heute Thalassozentrum der Extraklasse, und allen voran dem eleganten Conversationshaus. 

Das einstige Kurhotel schrieb dabei unvermeidlich Geschichte. Denn auf Norderney wurde auch Weltpolitik betrieben. Im Juli 1904 besiegelten hier als Unterhändler der Präsident des russischen Minister-Komitees Sergej Witte und Reichskanzler von Bülow den letzten deutsch-russischen Handelsvertrag vor dem Ersten Weltkrieg. Nachdem die Verhandlungen nicht vorangekommen waren, hatte der Kaiser dem Zaren Nikolaus II. geschrieben, Witte möge nach Norderney kommen, wo der Kanzler die heißen Tage zu verbringen pflege und wo die gute Seeluft auch Sergej neue Spannkraft verleihen würde. Der Plan ging auf. 

Hauptanziehungspunkt aber ist der endlose Strand, 15 Kilometer lang und je nach Gezeiten enorm breit, mit seiner wunderbaren Promenade. Dahinter liegt eine nicht minder grandiose Dünenlandschaft, die als Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer seit 2009 zum Unesco-Weltnaturerbe gehört und den Großteil der Insel bedeckt. 26 Kilometer Radwege, 80 Kilometer Wanderwege, befestigt oder als Pfad, und 40 Kilometer Reitwege bieten viel Auslauf auf Ostfrieslands Nobelinsel. Dazu gilt der in den 1920er Jahren angelegte Golfplatz in den Dünen als die Mutter aller „Linkskurse“ – salopp gesagt Cross-Country-Kurse – in Deutschland. 

• Info Conversationshaus, Am Kurplatz 1; Bademuseum zur Geschichte des Seebades, Poppe-Folkerts-Weg 3b 11, Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 11 bis 17 Uhr, sonnabends und sonntags von 14 bis 17 Uhr. 
www.norderney-infos.de


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