03.05.2024

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Parteienlandschaft

Projekt ohne Chance?

Die Anzeichen, dass die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht eine eigene Partei gründet, nehmen zu. Erste Umfragen bescheinigen dem Vorhaben durchaus Sympathien unter den Wählern. Dennoch dürften die Erfolgsaussichten gering sein

Reinhard Mohr
22.09.2023

Der Sommer ist vorbei, doch erst jetzt erhebt das traditionell saisonale Ungeheuer von Loch Ness, genannt „Nessie“, sein rätselhaftes Haupt. Das jedenfalls behauptet die „Neue Zürcher Zeitung“ und spielt damit auf die sich verdichtenden Gerüchte und Hinweise an, dass Sahra Wagenknecht sich bald endgültig dafür entscheiden könnte, ihre vage Ankündigung wahrzumachen und eine eigene Partei zu gründen. Ob sie nun „Wagenknecht-Partei“ heißen wird oder nicht – die 54-jährige Linke-Politikerin, die von 2015 bis 2019 Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion ihrer Partei war, glänzende Agitatorin, Bestsellerautorin und Talkshow-Dauergast, ist der schillernde Fixstern einer möglichen Parteigründung.

Alle Spekulationen, ob Hoffnungen oder Befürchtungen, drehen sich um Sahra. In politischen Beliebtheitsrankings steht sie regelmäßig weit oben, ihre intellektuellen wie rhetorischen Fähigkeiten sind unbestritten. Allerdings gilt das auch für ihr ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das sie nicht unbedingt zum Teamwork befähigt. Darin ähnelt sie ihrem Ehemann Oskar Lafontaine, dessen Selbstherrlichkeit legendär ist.

Die Ausgangslage ist günstig
Freilich kommt ihr die aktuelle politische Situation zupass. Die Ampelregierung erreicht in Umfragen nicht einmal mehr 40 Prozent der Wählerstimmen, während die AfD mit über 20 Prozent die Kanzlerpartei SPD überholt hat. In den östlichen Ländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sie in Umfragen schon zur stärksten Partei geworden. Eine historische Zäsur, eine Sensation, die die offensichtliche Wirkungslosigkeit aller „Brandmauern“ belegt und eigentlich ein Weckruf für das rotgrüne Milieu sein müsste sowie Anlass zur gründlichen Selbstkritik. Aber nichts da. Es wird einfach weiter gewurschtelt. Die Dimension dieser tektonischen Verschiebung in der Parteienlandschaft wird verdrängt, begleitet von den sich allmählich abnutzenden Alarmrufen, die zum Hintergrundrauschen der täglichen medialen Erregungskurven gehören.

So dümpeln die Grünen, der ideologische Glutkern dieser selbsternannten „Fortschrittskoalition“, knapp unterhalb ihres – angesichts vorheriger Umfragen – damals schon enttäuschenden Bundestagswahlergebnisses von 2021. Und die FDP schrumpft leise vor sich hin, obwohl sie dem linksgrünen Regierungstrend immer wieder mal entgegentritt wie bei dem planwirtschaftlich-labyrinthischen Ungetüm namens Gebäudeenergiegesetz. Sonst aber winkt sie vieles durch, was liberalen Überzeugungen widerspricht.

Die völlig zerstrittene Linkspartei, Wagenknechts alte politische Heimat, versinkt unterdessen in der Bedeutungslosigkeit und schafft so den Raum für eine neue oppositionelle Partei, die die wachsende Unzufriedenheit mit der Regierung auf ihre Mühlen lenken könnte. Genau das gelingt CDU/CSU, der größten Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag, eben nicht: Mehr als 30 Prozent scheinen für sie nicht erreichbar zu sein, obwohl die „Ampel“ jede Menge Angriffsfläche bietet, von der „woken“ Gesellschaftspolitik, die vor lauter diskriminierten Minderheiten keine Mehrheit mehr kennt, bis zur desolaten Energie- und Wirtschaftspolitik, die Deutschland zum Wachstums-Schlusslicht in Europa macht.

Die Merkel-Jahre wirken nach, und auch unter ihrem einstigen Kontrahenten Friedrich Merz findet die CDU nicht zu einem klaren Profil, und sei es dezidiert liberal-konservativ, mit dem man jene Probleme offensiv angehen könnte, die die AfD so stark machen: vor allem die Flüchtlings- und die Wirtschaftskrise, dazu der vorherrschende Drang in weiten Teilen der medial gestützten linksgrünen „Fortschrittsgesellschaft“, den Leuten tagtäglich das richtige Denken beizubringen, neudeutsch: das richtige „Narrativ“.

Grundlagen der Popularität
Genau hier setzt Wagenknecht an. Zum einen attackiert sie die „selbstgerechte Lifestyle-Linke“ mit ihrer wie eine Monstranz vor sich her getragenen diskriminierungsfreien, klimaneutralen und veganen Gender-Sensibilität, zum anderen aber jene soziale Ungerechtigkeit, die eher die weniger gebildeten, nicht-akademischen Schichten betrifft. Es ist die Mischung aus Kritik am privilegierten linksgrünen Milieu und dem Festhalten an ursozialistischen Überzeugungen von Gleichheit und Gerechtigkeit, die offenbar für viele Wähler – manche sprechen von einem Potential bis zu 25 Prozent – attraktiv ist, vor allem im Osten der Republik, wo sich die Ressentiments gegen die übergriffigen und belehrenden „Wessis“ hartnäckig halten.

Diese Melange könnte durchaus viele bisherige AfD-Wähler ansprechen, die darüber hinaus Wagenknechts Haltung zum Ukrainekrieg zustimmen: Verhandlungen statt Waffenlieferungen, wobei die Kriegsschuld gerne dem Westen, der NATO und Amerika in die Schuhe geschoben und der Kriegsherr Putin merkwürdig milde behandelt wird. Dass hier auch die westdeutsche Paradefeministin Alice Schwarzer mit von der Partie ist, macht den Begriff der „Querfront“ zwischen links und rechts durchaus plausibel.

Der deutsche Politikwissenschaftler Peter R. Neumann sieht Wagenknechts Parteiprojekt sogar in der Tradition des „Nationalbolschewismus“, die von dem Franzosen George Sorel (1847–1922) begründet wurde, der sich als revolutionärer Sozialist verstand und die bürgerlich-kapitalistische Ordnung westlicher Prägung ablehnte. Neumann wörtlich: „Wagenknecht ist also keine National-Sozialistin, aber ihre neue Partei würde sehr gut an die national-bolschewistische Tradition anknüpfen. Ihre Positionen in der Wirtschaftspolitik sind nach wie vor links, doch in der Gesellschaftspolitik steht sie mittlerweile rechts; Nationalismus ist für sie nicht mehr Gegner, sondern Mittel und Zweck, um Menschen für ihre Art von Sozialismus zu mobilisieren.“

Seit ihrer Jugend war Wagenknecht jedenfalls eine stramme Kommunistin. Kurz vor dem Mauerfall 1989 trat sie als 19-Jährige noch in Erich Honeckers marode „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ (SED) ein. Als die DDR-Staatspartei zerfiel und in die „Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) umgetauft wurde, wurde sie ab 1991 zur führenden Repräsentantin der vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ beobachteten „Kommunistischen Plattform“. 1995 schrieb der „Spiegel“ über sie: „Sahra Wagenknecht, 25, Ulbricht-Verehrerin und Wortführerin der 4000-köpfigen SED-Nostalgiker-Truppe, muss allen Drohungen der reformwilligen Parteiführer zum Trotz nicht mit Parteiausschluss rechnen. Pünktlich zum Parteitag legte die Jung-Stalinistin, derzeit an der Humboldt-Universität im Fachbereich Philosophie eingeschrieben, ihr Erstlingswerk vor. Die orthodoxe Linksprosa (Titel ,Antisozialistische Strategien im Zeitalter der Systemauseinandersetzung') ging selbst gutwilligen PDS-Genossen zu weit.“ Ihre These: Mit Stalins Tod habe der „politisch ideologische Verfall“ des Kommunismus begonnen.

Wandlungen und Volten
Das würde Wagenknecht heute bei „Anne Will“ oder „Sandra Maischberger“ nicht mehr behaupten – zu offensichtlich sind Sozialismus und Kommunismus an sich selbst gescheitert, zu schrecklich waren die Verbrechen der sozialistischen Staatsparteien in der Sowjetunion und ganz Osteuropa.

Aber sie ist wandlungsfähig. Mit ihrem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ wandte sie sich vor zehn Jahren plötzlich Ludwig Erhard und seiner „sozialen Marktwirtschaft“ zu, die sie freilich „zu Ende denken“ wollte – ganz so, als gäbe es im westlichen Kapitalismus der Europäischen Union, in Amerika, Australien und Japan keine Freiheit. Doch immer wieder gelingen ihr solche Volten, die einer strengen intellektuellen Prüfung zwar nicht standhalten, aber einen gewissen Zauber von Aufbruch und Alternative vermitteln.

So verschiebt sie zwar den Schwerpunkt ihrer Argumentation weg vom utopischen Endziel Kommunismus, an das kaum noch jemand glaubt, bleibt aber bei ihrer Aversion gegen das westlich-liberale Lebensmodell, obwohl es auf Millionen Flüchtlinge in aller Welt immer noch eine enorme Anziehungskraft ausübt. Kein Wunder: Die realen Alternativen heißen Saudi-Arabien und Nordkorea, Iran und China, Russland und Kuba, Somalia und Sudan, Tschetschenien und Aserbaidschan. Keine sehr verlockenden Aussichten.

Zweifelhafte Chancen
Doch wie steht es um die Erfolgsaussichten einer möglichen Wagenknecht-Partei? Gregor Gysi, langjähriger Kontrahent seiner Genossin, sieht sie äußerst skeptisch. Zu sehr hänge Wohl und Wehe von ihrer Person ab, zu widersprüchliche Wählergruppen würden angesprochen, vor allem aber: Die Neugründung einer bundesweiten Partei erfordere eine ausgefeilte und schlagkräftige Organisation mit 16 Landesverbänden, kompetenten Mitstreitern und fernsehtauglichen, also vorzeigbaren Persönlichkeiten.

Gysi, lange Zeit die Ikone der Linkspartei, kennt sich da ein bisschen aus: „Außerdem dürfen Sie eines nicht vergessen: Wer als Ausgegrenzte eine Partei gründet, für die es keine gesellschaftliche Stimmung gibt wie einst für die AfD, sammelt viele andere Ausgegrenzte ein. Herzlichen Glückwunsch, die kenne ich noch aus der Zeit, als wir die PDS in den Westen erweitern wollten.“ Will sagen: Auch Spinner und Querulanten werden sich angezogen fühlen.

Unvergessen ist das grandiose Scheitern ihrer Sammlungsbewegung „Aufstehen“, die vor ein paar Jahren schon kurze Zeit nach der spektakulären Gründungserklärung in sich zusammensackte und spurlos verschwand. Die „Neue Zürcher Zeitung“ verweist auf das womöglich entscheidende Problem einer Wagenknecht-Partei: Die AfD werde gerne als rein rechte politische Kraft beschrieben. „Aber sie spricht schon lange sehr erfolgreich auch linke Wähler an, vor allem im Osten. Bei der jüngsten Bundestagswahl etwa verlor die Partei an alle anderen, nur von der Linken liefen in der Summe rund 90.000 Wähler zu ihr über. Viele der Positionen, die Wagenknecht vertritt, von der Migrations- bis zur Identitätspolitik, vertritt auch die AfD.“

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, sagte einst Michail Gorbatschow. Das könnte nun auch für Sahra Wagenknecht zutreffen.

Doch wie immer die Sache ausgeht: Auch ihr nächstes Buch wird ein Bestseller sein.

Reinhard Mohr war bis 2004 Redakteur des „Spiegel“ und bis 2010 Autor von „Spiegel Online“. Er schreibt heute unter anderem für „Die Welt“ und „Neue Zürcher Zeitung“. Soeben erschien sein zusammen mit Henryk M. Broder verfasstes Buch „Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“ (EuropaVerlag),
www.europa-verlag.com


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Kommentare

Fifi De Hont am 22.10.23, 17:19 Uhr

Ob noch eine Partei zusätzlich unsere Demokratie wirklich stärkt, oder nicht doch eher im Gegenteil diese letztlich ad absurdum führt, wird sich zeigen. Was sich auf jeden Fall bereits gezeigt hat, ist, daß die 19 Parteien der weimarer Republik den Aufstieg Hitlers nicht aufhalten konnten! Von daher wäre es vielleicht stattdessen höchste Zeit über eine Änderung des Wahlrechts hin zu einem personalisierten Mehrheitswahlrecht nachzudenken! Als sehr erfolgreich hat sich meiner Meinung nach in dieser Kategorie das französische Wahlrecht, wo es meistens zwei Wahlgänge gibt: den ersten für das Herz und den zweiten für den Verstand! Diese Vorgehensweise hat die an und für sich sehr impulsiven Franzosen bisher vor größerem Unheil bewahrt, und das würde ich mir auch für unser Land wünschen!

Tom Prox am 01.10.23, 14:02 Uhr

S. Wagenknecht ist eine Schauspielerin erster Güte . Sie spielt eine geläuterte
Demokratin dem Publikum vor . Im Innern schlummert jedoch ihr früher lange gelebter Kommunismus stalinistischer Prägung ( s.a Artikel oben ) .

Und eine Parteigründung wird diese Frau nicht exerzieren , da bin ich mir sicher ; das wird schon ihr zuhause sitzend 80 jähriger Ehemann mit dem Promi - Ich , sowie ihre schon angeschlagene Gesundheit verhindern .

Wichtig ist für sie , dass sie ihr übergroßes Ego in der Öffentlichkeit durch Sensationsnachrichten pflegen kann , die die linken Politdiskussionen kräftig aufmischen und das hat sie mit dem Fanfarenstoß einer Parteineugründung ja schon gut erreicht .

Ralf Pöhling am 24.09.23, 18:31 Uhr

Was Wagenknecht auf der linken Seite tut, ist das, was die AfD auf der rechten Seite tut. Mehr Pragmatismus, weniger Ideologie. Das ist gut so. Ich sehe Wagenknecht nicht als Konkurrenz zur AfD. So weit nach links könnten wir als AfD gar nicht rutschen, um das linke Lager ehrlich abzudecken. Wagenknecht braucht nicht nach links zu rutschen. Sie ist ja schon dort. Im Krisenfall sind verlässliche und für das eigene Lager vertrauenswürdige Charaktere unabdingbar. Sonst droht die Anarchie. Die Altparteien haben sich ihren Ruf weitgehend versaut. Also braucht es einen Neustart. Rechts ist das schon erfolgt, nun braucht es das gleiche noch links.

sitra achra am 23.09.23, 15:34 Uhr

Bevor die von den Jubelmedien gehypte linke Ikone eine neue Parteipartei gründet, sollte sie an einem Aufbaulehrgang in Kims Nordkorea teilnehmen, um die anderen bolschewismusaffinen rotgrünen Parteien an Radikalität zu überbieten und ein neues Menschenbild, wie in NK praktiziert, zu kommunizieren. Der Osten ist rot und
Sarah sein Prophet. *in

E. Berger am 22.09.23, 18:38 Uhr

Ich glaube eher nicht, dass "Millionen Flüchtlinge in aller Welt" von dem "westlich-liberalen Lebensmodell" angezogen werden. Es werden vielmehr die üppigen Sozialleistungen sein.

Michael Holz am 22.09.23, 17:48 Uhr

Egal, was Mohr schreibt, seine Vergangenheit beim Spiegel und Spiegel online, sagt alles. Was sagte meine Großmutter früher? Bei dem würde ich nicht mein Radio reparieren lassen. (Fernseher gab es damals noch nicht und ein Auto konnte sie sich wegen der langen Wartezeit, der fehlenden Fahrerlaubnis und des fehlenden Geldes nicht leisten.)

Gregor Scharf am 22.09.23, 13:37 Uhr

Neuauflage des bolschewistischen Schwachsinns mit anderem Zugpferd ist so notwendig wie ein Kropf. Den Scheinsozialismus habe ich ebenso satt wie ein kapitalistisches System, das angeblich marktwirtschaftlich ausgerichtet ist, jedoch erst durch politischen Zwang und das Verfassen von Gesetzen im Sekundentakt Nachfragen für Produkte kreeiert, die in einer freien Gesellschaft kaum jemand kaufen würde.
Sozialisten, Kommunisten und Kapitalisten sind so tief im Materialismus verstrickt, gefangen, dass sie allesamt immer nur das Beste von den Untertanen abpressen, ihr Geld und die Ausbeutung der Arbeitskraft bis zum finalen Glockenschlag.
Was wir alle brauchen, wäre ein echter, tiefgreifender Wandel, ein Neuanfang ohne vernebelte Gehirne wie im Film "Mib", ein Blitzdings. Utopie und so setzt sich das Herumwursteln fort. Nur im privaten Bereich kann man dem Treiben "noch" ein wenig entkommen. Die Zeit dafür wird knapp. Wollt Ihr die totale Knechtschaft? Was werden die emotional gesteuerten Massen wählen?
Wer die Menschen kennt, liebt die Tiere . . .

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