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Protest auf offener Bühne

Macrons einstige Unterstützer jetzt in Opposition – In Frankreich schloss sich die Kulturszene dem Massenstreik im Lande an

Eva-Maria Michels
17.01.2020

“Allons enfants de la Patrie ...“ festlich und mit Orchestermusik unterlegt erklang die französische Nationalhymne, als der Protestzug der Gewerkschaften gegen die Rentenreform von Macrons Regierung am 17. Dezember 2019 an der Pariser Bastille-Oper vorbeizog.

Nicht nur die Pariser Metro und der landesweite Zugverkehr liegen seit dem 5. Dezember weitestgehend still, auch die Pariser Oper und die Comédie Française werden bestreikt, weil die Regierung die 42 Sonderregelungen abschaffen und durch eine Einheitsrente nach Punkten in staatlicher Hand ersetzen will. Alleine in der ersten Woche verlor die Pariser Oper durch den Streik 2,5 Millionen Euro an Einnahmen.

Denn das, was für die Regierung „Privilegien“ sind, die abgeschafft gehören, sind für die Angestellten der Pariser Oper „Rechte“. Ihr Rentensystem geht auf die Zeit Ludwigs XIV. zurück und soll das Leben der Künstler erleichtern. Es gilt nur für die Angestellten der beiden Pariser Opernhäuser Bastille und Garnier sowie für die Comédie Française. Alle anderen Angestellten im Kulturbereich, ob in Paris oder der Provinz, zahlen seit jeher in die allgemeine Rentenkasse ein, obwohl sie im Alltag ähnliche Arbeitsbedingungen haben wie an der Pariser Oper.

Ende 2017 zahlten 1900 Aktive in die Rentenkasse des Sondersystems ein, während 1800 Personen ihre Rente aus der Kasse bezogen. Der Staat finanziert diese Sonderregelungen zu 52 Prozent, während die Beitragszahlungen der Angestellten nur 45 Prozent ausmachen. Drei Prozent stammen aus weiteren Quellen. Konkret bedeutet dies, dass der Staat, der die Pariser Oper mit jährlich zirka 95 Millionen Euro subventioniert, der Institution noch jährlich weitere 14 Millionen Euro an Rentengeldern bezahlt.

Den Angestellten der Pariser Oper bringt die Sonderregelung Vorteile beim Eintritt ins Rentenalter, die jedoch zugleich der Realität der Berufsausübungsmöglichkeiten entsprechen: Die Tänzer können mit 42 Jahren in Rente gehen, die Chorsänger mit 50 (ihr Renteneintrittsalter erhöht sich jedoch progressiv bis 2029 auf 57 Jahre), das technische Personal im Falle von starker Ermüdung mit 55 Jahren (wobei sich auch ihr Renteneintrittsalter bis 2029 progressiv auf 62 Jahre erhöht), Orchestermusiker, Begleitpianisten und Vorsänger mit 60 Jahren. Alle anderen gehen schon heute mit 62 Jahren in Rente, so wie es die allgemeinen Rentenkassen vorsehen.

Mit der Rentenreform wird sich insbesondere der Beitragssatz zur Rentenkasse für die Angestellten der Pariser Oper ändern: Heute liegt er bei 18,46 Prozent, nach der Rentenreform wird er sich auf 28,12 Prozent belaufen, wenn sich der Beitragssatz von 2019 wegen der negativen demografischen Entwicklung in Frankreich nicht weiter erhöht.

Bei der Rentenreform geht es jedoch nicht nur um Geld. Sie stellt die gesamte Ausbildung einer französischen Tanzelite in Frage. Bisher fördert die Staatliche Ballettschule der Pariser Oper vielversprechende Nachwuchstänzer ab dem Alter von acht Jahren. Die Tänzerin Héloïse Jocqueviel, 23, berichtet: „Ich habe meine Familie deswegen verlassen und neun Jahre lang Sport auf höchstem Niveau mit täglich mindestens fünf Stunden Training gemacht. Seit meinem 17. Lebensjahr bin ich professionelle Tänzerin und tanze täglich von 9 bis 23 Uhr. Es war vorgesehen, dass ich mit 42 eine Pension bekommen würde, mit der ich mir etwas Neues im Leben aufbauen oder wenigstens meinen Lebensstandard halten könnte. Dieses Modell wird jetzt in Frage gestellt.“

Ihr College Alexandre Carniato, der seit 20 Jahren an der Oper tanzt, fügt hinzu: „Viele Tänzer werden die Pariser Oper verlassen, denn anderswo können sie mehr verdienen. Das Rentensystem war bisher der Hauptanreiz, um hervorragende Künstler anzuziehen. Ohne dies werden sie ausbleiben. Damit wird das Niveau an der Oper sinken und die Zuschauerzahlen zurückgehen. Gegenwärtig haben wir eine 92-prozentige Auslastung. Das ist enorm in der Branche.“ Bis zum gesetzlichen Rentenalter zu tanzen sei illusorisch: „Schon mit 17 haben viele von uns chronische Verletzungen. 20 Jahre an der Oper sind Synonym für vorzeitige Arthrose, Brüche aufgrund von Ermüdung und so weiter“, erklärt Héloise.

Auch die Musiker des Orchesters sorgen sich um ihre Zukunft: Der Schlagzeuger Jean-Yves Sebillotte berichtet dazu: „An uns werden die allerhöchsten Ansprüche gestellt. Wir versuchen ständig, uns zu perfektionieren, aber wir sind nicht in der Lage, diesen Ansprüchen sehr lange gerecht zu bleiben: Die Konzentration, die körperlichen Widerstandskräfte, die Regenerationsfähigkeiten nehmen mit dem Alter ab.“

Unterstützung erhalten die Künstler von den Intellektuellen der „kritischen Linken“. Am 4. Dezember erschien in „Le Monde“ ein Aufruf, der von der linksextremen Zeitschrift „Regards“ initiiert wurde. Mehr als 180 Intellektuelle und Künstler, darunter der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, unterzeichneten einen Text, in dem es unter anderem heißt: „Angesichts der Offensiven einer neoliberalen und autoritären Regierung sehen wir es als unsere Pflicht an, zu bekräftigen, dass unsere Gegenwart und Zukunft aus sozialen und politischen Kämpfen entstehen wird.“

So befindet sich heute die offizielle, staatsnahe Kulturwelt, die 2017 nachdrücklich dazu aufgerufen hatte, durch eine „antifaschistische“ Stimmabgabe die Präsidentschaft von Marine Le Pen zu verhindern, in Opposition zum liberalen Präsidenten Emmanuel Macron, dessen Weltbild sie in gesellschaftspolitischen Fragen aber weiterhin teilen.


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