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Purpurbunter Untertan

Lübeck huldigt Heinrich Manns bekanntestem Roman – Die Satire auf den Untertanengeist der Kaiserzeit scheint aktueller denn je

Harald Tews
16.09.2022

Zu den bekanntesten Gebäuden der Hansestadt Lübeck zählt das Buddenbrookhaus. Wer dieser Tage das gegenüber der St.-Marien-Kirche gelegene Haus, in dem Thomas Mann seinen Jahrhundertroman „Buddenbrooks“ spielen lässt, besuchen will, findet sich vor verschlossenen Türen wieder. Das Gebäude wird für sagenhafte 34 Millionen Euro grundlegend umgebaut und soll frühestens 2025 für Besucher wieder geöffnet werden.

So ganz muss man auf die Manns bis dahin nicht verzichten. Mit dem Museum Behnhaus Drägerhaus haben die Buddenbrooks für eine Sonderausstellung ein vorläufiges Exil gefunden. Und im vorzüglichen St.-Annen-Museum mit seinen großartigen mittelalterlichen Altarbildern hat seit Kurzem Heinrich Mann ein neues „Zuhause“. Da er kein dem Buddenbookhaus ähnlicher genius loci erschaffen hat, ist er sozusagen unter die Fittiche seines jüngeren Bruders und Nobelpreisträgers Thomas Mann geraten. Als Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum erinnert das Buddenbrookhaus mit Ausstellungen eben auch an den heute unbekannteren der Schriftstellerbrüder.

Das war nicht immer so. Obwohl Thomas Mann 1901 mit seinen „Buddenbrooks“ der große Wurf gelang, war Bruder Heinrich lange Zeit der berühmtere der beiden. Das lag an Werken wie „Im Schlaraffenland“ (1900) oder „Professor Unrat“ (1904), das durch die Verfilmung als „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich einen zusätzlichen Popularitätsschub erhielt. Und schließlich ist da der Roman „Der Untertan“, um den es mit etwas Verspätung anlässlich von Heinrich Manns 150. Geburtstag im Vorjahr (die PAZ berichtete) aktuell im St-Annen-Museum, einem ehemaligen Kloster der Augustinerinnen in der Lübecker Altstadt, noch bis zum 31. März 2023 geht.

Die Ausstellung erzählt von der schwierigen Genese dieser von Kurt Tucholsky als „Herbarium des deutschen Mannes“ bezeichneten Satire über das deutsche Kaiserreich, die bis kurz vorm Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift erschien, ehe die weitere Veröffentlichung eingestellt werden musste. Bis zur ersten Buchausgabe im Jahr 1918 blieben den Lesern die letzten 50 Seiten vorenthalten.

Der Roman ist in sechs Kapitel unterteilt, die Ausstellung beschränkt sich wohl auch aus Mangel an Räumlichkeiten, Exponaten und Ideen auf drei. Viel historisches Anschauungsmaterial ist nicht zu bewundern. Einige wenige Briefe Heinrich Manns, ein paar Fotografien des Autors mal mit gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart, dann als geläuterter Antimo­narchist mit Ziegenbart. Eine Pickelhaube und eine Schreibmaschine von 1898 aus dem Bestand des St.-Annen-Museums sowie ein paar Filmfetzen aus der 1951 entstandenen DEFA-Verfilmung des Romans vervollständigen die Exponate.

Ansonsten bemüht sich die Ausstellung Aspekte wie Macht, Zensur, Ausgrenzung oder Teilhabe, Patriarchat und Gewalt in den Vordergrund zu stellen, mit denen man eine Verbindung vom Roman zur heutigen modernen Welt herzustellen bemüht ist. Dabei werden Themen wie „Über Autorität und Gehorsam“ allzu erzieherisch den Besuchern vermittelt, die im Lübecker Gendersprech „BesucherInnen“ heißen. Das ist sicherlich mit der Tatsache geschuldet, dass sich die Ausstellung auch an Schüler richtet, steht der Roman doch in Niedersachsen und Hamburg auf der Lektüreliste für das Deutsch-Abitur. Am Ausstellungs-Ende kann sich jeder eine Ausgabe der – erfundenen – „Neuen Netziger Zeitung“ abholen mit Schüleraufsätzen zu dem im fiktiven Ort Netzig spielenden Roman.

Hassreden am Stammtisch

So steht im ersten Ausstellungskapitel die Netziger Papierfabrik von des Kaisers gehorsamen Untertanen des Romans, Diederich Heßling, im Mittelpunkt, genauer die Arbeitsbedingungen der Frauen im Kaiserreich. Plakative moderne Sprüche wie „Jeden dritten Tag geschieht ein Femizid“ korrespondieren mit Heßlings frauenfeindlichen Aussagen im Roman wie die zu seiner Frau, von der er sagt, sie sei appetitlich wie ein Schweinchen. Ein Korsett, das in keinem Zusammenhang mit dem Roman steht, soll die Eingeschnürtheit von Frauen versinnbildlichen. Man merkt, dass zwei Frauen die Ausstellung kuratiert haben.

Im ähnlichen Stil geht es weiter, wenn im zweiten Ausstellungsteil ein Stammtisch für die „Partei des Kaisers“ präsentiert wird, in dem deutschnationale und antisemitische Äußerungen des autoritätsgläubigen Untertanen per Wandbeschriftungen paraphrasiert werden. Sie gleichen den Hassreden in manchen heutigen sozialen Medien.

Teil drei präsentiert neben den erwähnten Filmszenen mit Heßlings finaler Enthüllung eines von ihm initiierten Kaiserdenkmals „satirische Objekte“, die bei Schülerprojekten zum Roman entstanden sind. Wer will, kann eine sich drehende Zitrone für die „Erfindung des Rads“ halten. Satirisch soll auch die Beflaggung des Raums sein, bei dem das preußische Schwarz-Weiß mit einer Magenta-Farbe ergänzt wird. Soll wohl heißen, dass unsere purpurbunte Welt aus mehr als nur zwei Farben besteht.

Dass der Untertanengeist in unserer Gesellschaft noch fortlebt, heben auch die Ausstellungsmacher hervor. So würde die Querdenker-Bewegung den Begriff Untertan für Anhänger des linksliberalen Regierungslagers missbrauchen. „Man darf nicht vergessen, dass wir heute in einer Demokratie leben“, betont die Leiterin des Buddenbrookhauses, Birte Lipinski, das sei eben doch ein Unterschied zum Kaiserreich, als man nur einem politischen Führer untertänig folgte.

Bleibt dennoch die Frage, wie Heinrich Mann seine Untertan-Satire heute geschrieben hätte. Bestimmt hätte dann sein Romanheld Heßling bei dessen Rede zur Enthüllung des Kaiserdenkmals gehorsam die Gendersprache benutzt: „Eure Exzellenz*innen! Höchste, hohe und geehrte Herr*innen! Hundert Jahre sind es, dass der große*n KaiserIn, deren Denkmal der Enthüllung harrt durch die VertreterIn Ihrer Majestät, uns und dem Mutterlande geschenkt ward ...“

• St-Annen-Museum, St. Annen-Straße 15, Lübeck, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Eintritt: 8 Euro.
www.deruntertan.de


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Kommentare

Michael Holz am 20.09.22, 12:16 Uhr

Lasst Frauen in die Politik und sie wird nicht sanft und feminin, sondern laut und brutal.
Lepinski missbraucht die Gebrüder Mann und der Zeitgeist applaudiert. Die armen deutschen Buddenbrocks in woker Zeit.

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