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In Russland macht ein falscher Dichter von sich reden – Seine als „Heldengedichte“ getarnte Antikriegskunst stammt aus der NS-Zeit
Der Dichter Gennadi Rakitin wird sogar mit einem Eintrag auf Wikipedia geehrt. Allerdings existiert er überhaupt nicht. Er ist, wie es im Englischen heißt, ein „hoax“, ein Scherz, ein Jux. Ausgedacht hat ihn sich eine Gruppe russischer Antikriegs-Aktivisten, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen seines Ukrainekriegs eine Zeit lang an der Nase herumgeführt hat.
Die patriotische Helden-Poesie dieses „Fake-Dichters“ hatte ihm in Russland eine große Anhängerschaft eingebracht. Seine Oden an Putin fanden in den sozialen Medien großen Anklang und wurden gelegentlich bei russischen Lyrikpreisen mit einer Auszeichnung bedacht. Der „Dichter“ wurde sogar zu öffentlichen Lesungen eingeladen, konnte dort aufgrund seiner Nicht-Existenz aber nicht auftreten. Eine Adresse hatte er auch nicht.
Was Rakitins Bewunderer jedoch nicht wussten: Bei den 18 Gedichten, die unter seinem Namen veröffentlicht wurden, handelte es sich in Wirklichkeit um russische Übersetzungen von NS-Gedichten aus den 1930er und 1940er Jahren. Alle patriotischen Gedichte haben die gleichen Topoi: Land, Blut, Freiheit, Ehre.
Ein Gedicht mit dem russischen Titel „Führer“, das zusammen mit einem Foto von Putin veröffentlicht wurde, hieß ursprünglich auch „Führer“ und wurde von dem NS-Schriftsteller Eberhard Wolfgang Möller in den späten 1930er Jahren geschrieben. Ein anderes, eine heroische Ode an die SS, wurde ins Russische übersetzt und zu einer Hommage an die Kämpfer der paramilitärischen Gruppe Wagner umfunktioniert.
Rakitin wurde von einer Gruppe anonymer Antikriegsaktivisten im Internet erfunden, die zeigen wollten, dass die „Z“-Propaganda, benannt nach dem Z-Symbol für Russlands Krieg in der Ukraine und der dominierenden Kraft in der russischen Kulturszene, mehr als nur ein schwaches Echo der NS-Ideologie sei. Darin ließen sich angeblich Hitler und Putin nicht mehr unterscheiden.
Im populären russischen sozialen Netzwerk vk.com war eine Seite nach Gennadi Rakitin benannt, bis sie von den Behörden gesperrt wurde. Tatsächlich entpuppte sich das ganze Werk des falschen 49-jährigen Absolventen der philologischen Fakultät der Moskauer Staatsuniversität als eine Antikriegs-Performance. Zwei veröffentlichte Fotos von Rakitin, die ihn mit zerknitterten Augenbrauen, silbrigem Haar und einem struppigen Spitzbart zeigen, seien von Künstlicher Intelligenz (KI) generiert worden, behaupten die Autoren.
Die anonymen Autoren erklärten, dass fast alle von ihnen entdeckten NS-Gedichte perfekt in den aktuellen russischen Kontext passten, abgesehen von ein paar offensichtlichen Anachronismen. Aus „Deutschland“ wurde „Russland“, aber ansonsten wurden die Gedichte in exakten Übersetzungen veröffentlicht.
Russland = Drittes Reich?
„Politisch gesehen zeigt dies, dass die Ideen des nationalsozialistischen Deutschlands den Ideen des modernen Russlands sehr ähnlich sind, auch wenn Russland behauptet, den Faschismus zu bekämpfen. In kultureller Hinsicht zeigt es, dass es keine Renaissance der russischen Kultur gibt, wie die Behörden behaupten, sondern nur ihre Degradierung“, so die Autoren.
Der Journalist Andrej Sacharow – ihn gibt es wirklich –, der als Erster öffentlich machte, dass es sich bei Rakitin um eine Fälschung handelte, zählte, dass fast 100 russische Abgeordnete dem Konto auf vk.com folgten, ebenso wie etwa 30 Senatoren und mehrere bekannte patriotische Kulturschaffende. Viele Gedichte wurden von Rakitins vk.com-Seite kopiert und von anderen Kriegsbefürwortern geteilt, was darauf hindeutet, dass ihr Ton und ihre Botschaft mit der aktuellen ultrapatriotischen Stimmung übereinstimmen, die von den russischen Behörden gefördert wird.
Die Hintermänner der Rakitin-Gedichte erklärten, man habe immer vorgehabt, an einem bestimmten Punkt reinen Tisch zu machen, um den Anhängern Putins und des Krieges die Widerwärtigkeit ihrer Ideologie vor Augen zu führen. Mit ihren Fake-Gedichten hätten sie die Nähe der Putin-Ideologie zu jener der NS-Zeit aufzeigen wollen. Das Ziel sei nun erreicht. Einige Antikriegsaktivisten kritisierten sogar, dass die Autoren schon nach wenigen Gedichten aufgaben. Was nur konsequent ist, denn wenn sie auffliegen, droht ihnen das Arbeitslager.
Inzwischen hat sich der falsche Rakitin mit dem einzigen echten Gedicht verabschiedet, das nicht aus der NS-Propaganda stammt: „Gennadi verspottete lange / Z-Gedichte in seinem Feed / Am Ende war seine Botschaft / Scheiß auf den Krieg.“