Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der zweite Teil des persönlichen Reiseberichts führt zurück in die Vergangenheit und entdeckt dabei zugleich das Heute
Der vierte Tag führte uns weiter im Kreis Labiau – zugleich war es ein vergeblicher Versuch, von Waldwinkel aus über die Waldseite nach Alt-Heidendorf zu gelangen. Die über die Jahre immer mal wieder ausgebesserte Straße hatte letztlich den Kampf gegen die Kies- und Sandlaster verloren. Mit einem Umweg von zwei Stunden gelangten wir dann entlang des idyllisch zugewachsenen Ufers des Großen Friedrichgrabens zur ehemaligen Schule von Juwendt. Dieser Treffpunkt war mit einem lieben alten Bekannten aus Alt-Heidendorf ausgemacht, der dann mit einem kleinen Boot über den Großen Friedrichsgraben zu uns herüber ruderte. Anschließend begaben wir uns auf den Weg in Richtung Tilsit mit einem Abstecher über Szargillen und Luknojen.
Angekommen in Tilsit wurden wir bei einem Spaziergang über die gepflegte neue Promenade am Memelufer vor der Königin-Luise-Brücke mit einem wundervollen Sonnenuntergang belohnt.
Emotionales Wechselbad
Am fünften Tag stand unsere Exkursion in der Elchniederung auf dem Programm. Zunächst ging es, ausgestattet mit den erforderlichen Passierscheinen, ab der Sköpener Brücke ins Sperrgebiet der Elchniederung. Auch hier überkam uns wieder ein Wechselbad der Gefühle. Durchaus noch malerisch anmutende Fischerdörfchen wie Karkeln und Schakendorf mit ihren Fischereisowchosen und auf der anderen Seite große Enttäuschung in dem ehemals schmucken Marktflecken Kuckerneese. Dort scheint die Sanierung der eingerüsteten Kirche zum Stillstand gekommen zu sein. Die Fassaden der ehemals schönen Gebäude am Marktplatz sind sichtbar weiter dem Verfall überlassen.
Ähnliches im außerhalb des Sperrgebietes gelegenem Seckenburg. Geblieben ist der weite Blick über die vorgelagerten Gilgewiesen zum Fluss hinunter, verschwunden aber das stattliche Holzhaus, das hier noch vor Jahren auf der Anhöhe zum Gilgedamm stand. Die Kirche verschlossen und mit kleinen Tannenbäumchen, die aus den Mauern lugten.
Ein kleiner Lichtblick war dann der Abstecher nach Rauterskirch, wo sich ein Verein liebevoll um die idyllische kleine Anlage um die Ruine der ehemaligen Oktagon-Kirche kümmert. Es tat einfach gut, über die Wiese zu schlendern und bei den einzelnen Gedenksteinen zu Menschen, die hier einmal gelebt haben, zu verweilen. Aber uns fiel auf, dass sehr viel weniger Storchennester als in früheren Jahren an diesem als Storchenkolonie bekannten Ort zu sehen waren.
Entlang der Memel nach Trakehnen
Von Tilsit sollte es über Ragnit nach Kraupischken – Insterburg – Gumbinnen – Angerapp und schließlich nach Trakehnen gehen. Im nahegelegenen Ragnit galt unser erster Stopp der am Memelufer gelegenen ehemaligen Ordensburg. Seit einigen Jahren findet hier im Rahmen eines Kulturprojektes eine Sanierung der weitläufigen Anlage mit einem integrierten Hotelkomplex innerhalb der mächtigen Mauern statt.
Dann stand ein sehr persönlicher Besuch auf unserem Programm. In Breitenstein statteten wir dem Direktor des Heimatmuseums Kraupischken, Juri Uzerzow, einen Besuch ab. Für einige unserer Reiseteilnehmer inzwischen schon ein guter Bekannter von früheren Begegnungen. Zum Abschluss unseres Rundgangs durch dieses sehenswerte Museum mit seinen vielen Informationen und Fundstücken noch aus urdeutscher Zeit gab es dann eine kleine Stärkung nebst den dazugehörigen „Wässerchen“.
Am Ende dieses langen Tages mit vielen Eindrücken, die uns alle sehr berührt haben, erreichten wir dann müde und erschöpft unser Domizil in Cranz [Selenogradsk]. Unser Quartier für die letzten drei Übernachtungen auf unserer Reise war hier eine moderne Ferienwohnung im achten Stock in einem der zahlreichen neueren Hochhaus-Komplexe, von wo aus wir einen grandiosen Rundblick über die neue Welt dieser Wohn-Komplexe, aber auch zur Ostsee hin genießen konnten.
Auf nach Cranz
Für diese Ortschaft lassen wir an dieser Stelle einfach einmal den jüngsten Teilnehmer unserer Reisegruppe, Marvin, sprechen: „Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Küstenstadt Cranz, etwa 20 Kilometer nördlich von Königsberg. Auf Schritt und Tritt wird man hier auf der Flaniermeile von streunenden, aber zutraulichen und gepflegten Katzen begleitet, die sogar ihre eigenen kleinen Häuschen besitzen. Aber nicht nur von der Straße, auch von den Fassaden der Häuser schauen einen hier Katzen an, was dem Städtchen zweifellos seinen eigenen Charme verleiht. Passend dazu begegnet einem beim weiteren Schlendern durch die Fußgängerzone, vorbei an Souvenirläden und Bekleidungsgeschäften, direkt vor einem Restaurant eine schneeweiße Statue Lenins, der bekannterweise ein großer Katzenliebhaber war ...“
Letzter Tag im Königsberger Gebiet
Von der Tagesfahrt entlang des Pasmar bis nach Preussisch-Eylau weiß Ute Poeppel folgendes zu berichten: „Meine Familie mütterlicherseits stammt aus Natangen, aus verschiedenen kleinen Orten am Flüßchen Pasmar (Reka Mayskaya), der sich zum frischen Haff hin schlängelt. Vorbereitet hatte ich meine Reiseziele auch mit Hilfe von Christine Bilke-Krause von der Kreisgemeinschaft Preußisch-Eylau, die mir dankenswerterweise einiges an Information sowie handgezeichnete Ortspläne von Cavern und Sollau zur Verfügung gestellt hat. Meine Ziele waren 1. Cavern (der Ort gilt als erloschen), 2. Sollau [Krasnoarmeiskoje], 3. Althof [Orechowo], Abbau außerhalb des Örtchens, 4. Preußisch-Eylau [Bagrationowsk].
Und los ging es. Unser kleines Grüppchen von drei Deutschen startete zusammen mit unserem russischen Freund und Reiseführer Eduard Politikoen in Cranz mit dem Kleinbus vom Adebar-Reiseteam und erreichte über Königsberg kommend zunächst Kreuzburg [Slawskoje]. Dort machten wir einen kleinen Stopp bei der Kirchenruine.
Weiter ging es Richtung Cavern, meinem ersten persönlichen Ziel heute. Maria Kluschke, meine Urgroßmutter großmütterlicherseits besaß in Cavern einen Hof, der Urgroßvater war früh gestorben. Noch nie hier gewesen, möchte ich schauen, ob ich noch Spuren des erloschenen Örtchens finde. Wie vermutet, neben der Landstraße nichts außer Ackerland, Brachland, Gebüsch und Bäume. Mit Google-maps-Karten und den handgezeichneten Ortsplänen ausgestattet, halten wir auf der Landstraße an einer Stelle, an der wir das ehemalige Dorf vermuten. Eduard, unser Begleiter, ist ein guter Pfadfinder. An einem Waldrand steige ich ins Feld und habe das Glück, das ein größeres Gefährt eine Schneise im hohen Gestrüpp hinterlassen hat. So kann ich einen Weg durchs vermeintliche Dorf gehen. Und tatsächlich, ich finde minimale Spuren roter Backstein-Fragmente auf meinem Weg. Hier bin ich also richtig. Ich folge dem vorgegebenen Schneisenweg und gelange nach einer Weile an eine sehr große alte Eiche umringt von bewohnten Bienenkästen sowie zu einem verwilderten Apfelbaum. Dies also sind die Reste von Cavern. Ich bin traurig und glücklich zugleich. Immerhin habe ich das Dorf gefunden und noch ein paar wenige Reliquien. Es wäre bestimmt lohnenswert, im Winter ohne Vegetation die Spurensuche noch einmal aufzunehmen. Auf meinem Rückweg kommt mir ein junger Bauer mit dem Traktor entgegen. Er hält, steigt aus und kommt verwundert auf mich zu. Er kann ein bisschen Englisch und ich erkläre ihm meinen ungewöhnlichen Aufenthalt im struppigen Niemandsland. Er erzählt mir, dass er nicht weit von hier einen Hof hat, den man in der Ferne erblicken kann. Auf dem Rückweg nehme ich etwas von dem zerborstenen roten Ziegel und etwas Erde mit auf meine weitere Reise ...
Nächste Station Sollau
Von Cavern aus geht es nach Sollau [Krasnoarmeiskoje]. Das idyllische Dörfchen liegt, von Kreuzburg aus gesehen, versteckt rechts neben der Landstraße Richtung Preußisch-Eylau. Eine alte Birkenallee führt über Pflastersteine ins Dorf. Hier ist die Zeit fast stehen geblieben. Der Hof meiner Urgroßeltern steht noch zum Teil. Das Wohnhaus ist bewohnt. Die Nebengebäude existieren als Grundmauern und Fundamente. Leider lässt uns der Russe, der nun den Hof mit seiner Familie bewohnt, nicht auf das Anwesen, welches mit vielen alten Autowracks bestückt ist. Vor Jahren erlaubte mir der Sohn dieser Familie eine Begehung und schenkte mir sogar ein altes Hufeisen, welches an der Häuserwand hing. Dies konnte ich damals meiner Mutter als heimatlichen Glücksbringer mitbringen.
Hier in Sollau machen wir ein romantisches Picknick auf der Brücke über den Pasmar mit Käse, Wurst, Brot, Tomaten und Obst. Eduard hat uns etwas ganz Besonderes mitgebracht: ein kleines Fläschchen Meschkinnes (Bärenfang). Ein Bekannter von ihm stellt diesen 50-prozentigen Trank in der Nähe von Ragnit her. Ein wirklich feiner Tropfen.
Während die anderen ausgiebig schlemmen, zieht es mich, die Gegend weiter zu erkunden. Ich folge verschiedenen Wegen beidseitig des Pasmar und suche vor allem den Sollauer Friedhof. Dank der handschriftlichen Pläne und google maps kann ich ihn gut finden, komme allerdings nicht bis an ihn heran, da private Grundstücke den Weg versperren. An einem alten Häuschen mit Garten direkt vor dem Friedhof kommt mir eine aufgeregte laut maunzende Katze entgegen. Vom Besitzer keine Spur. Wie wir später erfuhren, war der Mann am vorherigen Tag mit Schlaganfall ins Krankenhaus gekommen.
Ein Haus weiter haben wir Glück. Hinter einem neuen Gartenzaun fragt Eduard einen alten Mann, der vor seinem kleinen Häuschen hinter dem Wasserbrunnen rumwerkelt. Er lässt uns ein und begleitet uns zwischen Kartoffeln und anderen bewirtschafteten Flächen bis zum ehemaligen Friedhof. Dieser ist vollkommen zugewuchert und unbegehbar. Der Mann war vor vielen Jahren zuletzt auf dem Friedhof gewesen und hatte noch alte Grabsteine gesehen. Ich sah im Gestrüpp des Außenbereichs eine Art Eisenzaun, vielleicht die äußere Umgarnung des Friedhofes. Auch hier wäre eine Besichtigung im Winter vielleicht sinnvoll.
Der alte Mann erzählt uns, dass der Friedhof nach dem Krieg verwüstet worden sei. Es hieß damals, dort lägen alles Faschisten. Der Alte war 1948 als dreijähriges Kind mit seiner Mutter nach Sollau gekommen und wohnt seit vielen Jahren allein in dem kleinen bescheidenen Häuschen. Er berichtet, dass sie damals in das ärmste Haus des Ortes eingezogen seien, es gab sehr unterschiedliche Häuser, einfache und auch wohlhabende. Am Ende unserer Begegnung, sagt er zu mir: „Ja, wenn der Krieg nicht gewesen wäre, dann hätten Ihre Leute hier bleiben können.“ Er sagt dies verständnisvoll und ganz einfach, aber mit der Weisheit und Erfahrung eines alten Menschen, der die Wirklichkeit des Lebens neben der Propaganda und den Erzählungen der Herrschenden kennt. Das war sehr versöhnlich und eine berührende Begegnung. Wir nehmen Abschied und verlassen Sollau.
Nächste Woche: Der dritte und letzte Teil der Reise durchs heutige Ostpreußen, bei dem es nach Preußisch-Eylau geht.