12.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Klimaforschung

Rätsel um eine Erwärmung, die nicht vom Menschen ausgelöst wurde

Neu in den Fokus geratene Forschungen aus dem 20. Jahrhundert bringen gängige Erklärungen des „Klimawandels“ ins Wanken – Etablierte Wissenschaftler geben sich verblüffend zugeknöpft

Dagmar Jestrzemski
28.07.2024

Beim Durchblättern eines Exemplars von „Westermann's Monatsheften“ Nr. 1 aus dem Jahr 1955 stößt man auf einen Artikel mit der Überschrift „Rätsel um Grönland“. Darin wird über eine kurz zuvor durchgeführte britische Expedition in den Norden der eisigen Insel berichtet, die überraschende Erkenntnisse erbracht habe: „Nachdem bereits 1951 ein britischer Seeoffizier, C.J.W. Simpson, bei einer Erkundungsfahrt im Norden Grönlands einen See gefunden hat, der später den Namen Lake Britannia erhielt, wurden in den letzten beiden Jahren (1952 bis 1954) durch eine offizielle englische Expeditionsfahrt weitere Untersuchungen angestellt, die zu einer ganz neuen Theorie geführt haben. Ein Gletscherforscher, ein Meteorologe und ein Funker hielten während der letzten zwei arktischen Winter eine Station besetzt. Ihre Beobachtungen und Messungen werden zur Zeit noch ausgewertet. Man erwartet von ihnen wichtige Anhaltspunkte für die neue Inlandeis-Theorie. Auch die sowohl von Alfred Wegener als auch von einer späteren französischen Expedition aufgestellte Behauptung, die Oberfläche des grönländischen Festlandes liege unter dem Meeresspiegel, wird zur Stützung der neuen Auffassung angeführt.“

Die Autoren des Beitrags wagen nach diesen Befunden einen überraschenden Blick in die damalige Zukunft: „Möglicherweise wird es nicht mehr lange dauern, bis die Natur das Geheimnis um die ‚Insel' Grönland selber lüftet. Spezialisten unter den Meteorologen rechnen mit einer stetigen Erwärmung des Klimas im Nördlichen Eismeer. In 25 Jahren, so behaupten sie, würden Schiffe bis in die Nähe des Nordpols vordringen können.“ Staunend rechnet man sich vor, dass, hätte sich diese Prognose bewahrheitet, der Weg bis in die Nähe des Nordpols bereits Ende der 1970er Jahre eisfrei gewesen wäre. Was ist davon zu halten, und warum ist darüber nichts Näheres bekannt?

Der kurze Bericht wirft diese Fragen auf, die unbedingt beantwortet werden müssen. Um Näheres zu erfahren, wurde 2021 eine Anfrage an das interdisziplinär ausgerichtete Forschungsinstitut Helmholtz-Zentrum Hereon in Geesthacht gestellt. Der Pressesprecher antwortete bedauernd, leider könne keiner der Fachkollegen Auskunft dazu erteilen. Erst mit einiger Verspätung traf von Hereon doch noch der Hinweis auf eine 2018 erschienene Studie von Hegerl et al. mit dem Titel „The early 20th century warming: Anomalies, causes, and consequences“ ein.

Warum es plötzlich wärmer wurde
Die Studie lieferte die verblüffende Erkenntnis, dass es sich bei dem Untersuchungszeitraum von etwa 1890 bis 1950 um den nach Aussage der Autoren „stärksten Temperaturrekord in geschichtlicher Zeit noch vor der gegenwärtigen Klimaerwärmung“ gehandelt habe. Wie ist es möglich, dass im Forschungszentrum Hereon niemand in der Lage war, Auskunft zu der tatsächlich kaum bekannten und erst neuerdings ansatzweise untersuchten Klimaanomalie während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu geben? Haben die Institutswissenschaftler die Erforschung der verblüffenden Klimaanomalie vernachlässigt, da sie nicht mit der Begründung der menschengemachten CO₂-Emissionen als Hauptursache des gegenwärtigen Klimawandels in Einklang zu bringen ist?

Nachträglich lieferte das Hereon-Zentrum den etwas hilflos wirkenden Versuch einer angemessenen Kommentierung: „Externe Einflüsse“ und eine dekadische Schwankung hätten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „zu regional unterschiedlichen und zum Teil extremen Klimaschwankungen geführt, wobei es nach den Erkenntnissen der Fachkollegen nicht eindeutig ist, welcher Prozess sich wann und wo niedergeschlagen hat“.

Gigantische Eisschilde bilden das grönländische Inlandeis. Veränderungen der Eisschilde werden durch den Gletscherfluss und durch Schneefall beeinflusst. Deutsche, dänische und britische Forscher sammeln seit Jahrzehnten im Nordosten und Südwesten Grönlands Daten, um die hochkomplexen Wechselwirkungen zwischen dem grönländischen Eisschild und dem Ozean zu erforschen.

Dürren und Hitzerekorde
Ziel ist es, Erkenntnisse über Ursachen und Folgen des seit einigen Jahrzehnten in der Arktis überproportionalen Temperaturanstiegs zu gewinnen. Doch auch die Polarwissenschaftler des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts tragen offenbar ausschließlich Beobachtungen zum derzeitigen starken Rückgang des arktischen Gletscher- und Meereises in die Öffentlichkeit. Dabei widerspricht die 1950/52 von den Briten vorgefundene Situation der gängigen Auffassung, dass der Schwund des arktischen Eisvolumens überwiegend auf einen starken Anstieg des CO₂-Ausstoßes zurückzuführen sei.

Die 2018 veröffentlichte Studie lässt nur den Rückschluss zu, dass die Serie von Dürren und Hitzerekorden seit Ende des 19. Jahrhunderts durch Rückkopplungen von extremen Naturereignissen ausgelöst wurde. Erhöhte Obertemperaturen des pazifischen Ozeans und mehrere Jahre eines schwachen indischen Monsuns vor 1900 hatten in Indien und Australien jahrelange Hungerkrisen zur Folge. In Spitzbergen wurde in den Jahren 1919 bis 1925 eine arktische Erwärmung um drei Grad Celsius gegenüber den Jahren 1913 bis 1918 gemessen. Die arktische Anomalie wirkte sich in den 1930er in Teilen der USA, Mexikos und Kanadas aus, wo es zu einer Reihe von Hitzerekorden kam.

Die „Dust Bowl“ in den Great Plains während der 1930er Jahre ist in der kulturellen Erinnerung der USA fest verankert. Durch eine umfassende Untersuchung der Ursachen des in dem kurzen Zeitraum aufgetretenen Temperatursprungs böte sich die Möglichkeit, eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart zu beantworten, nämlich ob ein Temperatursprung zwangsläufig in Zusammenhang mit einem CO₂-Anstieg in der Atmosphäre steht. In diesem Fall scheint ein Zusammenhang nicht plausibel.

In diese kurze Heißzeit fiel der Untergang der Titanic am 15. April 1912 durch Kollision mit einem Eisberg 550 Kilometer südöstlich von Neufundland auf Höhe des 42. Breitengrades. Im Unglücksjahr drifteten nach neuen Erkenntnissen mindestens 1038 Eisberge vom Rand der grönländischen Gletscher südwärts über den 48. Breitengrad hinaus. Die Meteorologen Grant Brigg und David Wilton von der University of Sheffield untersuchten die extrem ungewöhnliche Situation.

Sie rekonstruierten die wahrscheinliche Herkunft und den Driftweg des etwa 120 Meter langen Eisbergs, mit dem die Titanic kollidierte. „Wenn ein Eisberg auf dem 42. Breitengrad noch immer über 100 Meter groß ist, muss er als gewaltiger Koloss von einem grönländischen Küstengletscher gekalbt sein“, so die Wissenschaftler. 1912 sei aber in dieser Hinsicht weder das letzte noch das gefährlichste Jahr für Schiffe auf der Nordatlantikroute gewesen. Zwischen 1901 und 1920 habe es fünf weitere Jahre mit ähnlicher Größenordnung gegeben, und seit den 1990er Jahren habe die Eisbergdichte im Nordatlantik mehrmals ähnlich hohe und sogar höhere Werte als 1912 erreicht. Eine extrem hohe Anzahl wurde 2017 gemeldet.

Das Staunen der Forscher
In Wissenschaftskreisen war man daher von einem 2019 veröffentlichten Ergebnis des NASA-Projekts „Oceans melting Greenland“ (OMG) überrascht. Es zeigte sich nämlich, dass der größte und produktivste Gletscher Grönlands, der im Südwesten der arktischen Insel gelegene Jakobshavn-Gletscher, seit den 2010er Jahren durch Zufluss von kaltem Wasser wieder wächst und am Rand vorstößt. Von 2000 bis 2010 hatte der Gletscher mehr Bruchstücke aus festem Eis verloren als jeder andere des grönländischen Eisschilds. Laut dem NASA-Bericht floss eine Menge von Süßwasser ins Meer ab, die einem globalen Meeresspiegelanstieg von fast einem Millimeter entsprach. Trotz der derzeitigen Umkehr der vorherigen Entwicklung rechnen die Wissenschaftler mit einer „nur kurzen Atempause“ für den Gletscher.

Verschüttetes Wissen
Zurück zur „British North Greenland Expedition“ (BNGE). Erst die Begeisterung eines britischen Ruheständlers und „Kryosphären-Nerds“ brachte 2021 die britische Grönlandexpedition der Nachkriegszeit wieder in Erinnerung. Als Kryosphäre werden im Klimasystem der Erde alle Formen von Eis, außer dem Eis in den Wolken, und von Schnee bezeichnet. Auf dem renommierten Non-Profit-EGU-Wissenschaftsblog „Cryospheric Sciences Division“ erschien ein Artikel mit dem Titel (übersetzt) „Wiederentdeckung der britischen Nordgrönland-Expedition 1950–52“. EGU ist die Abkürzung für „European Geosciences Union“. Die Organisation gilt als die wichtigste in Europa für Erd-, Planetarische und Weltraumwissenschaften. Autor des Artikels ist Neil Ross, ein Senior-Dozent für Physikalische Geographie an der Universität Newcastle.

Er berichtet, dass er 2011 auf ein seltenes Buchexemplar aus dem Jahr 1957 mit dem Titel „High Arctic: The Story oft the British North Greenland Expedition (BNGE)“ gestoßen sei. Verfasser war ein Teilnehmer der BNGE namens Banks. Ross äußerte seine Verwunderung darüber, dass in den Kreisen der auf dem „Cryosphere-Blog“ publizierenden Wissenschaftler und Polarhistoriker niemand Kenntnis von dieser wichtigen wissenschaftlichen und militärischen britischen Expedition in den Norden Grönlands zu haben schien. Diese wurde seinerzeit aufgrund von militärstrategischen Erwägungen und geplanten Erkundungsfahrten unternommen.

Die Hauptbasis der BNGE unter Leitung von Commander James Simpson wurde 1952 am Nordufer des Lake Britannia (dänisch Britannia Sø) errichtet, gelegen am Nordrand der bergigen Region Queen Louise Land und westlich des mächtigen Storstrømmen-Gletschers. Südöstlich befindet sich in 100 Kilometer Entfernung als einziger bewohnter Ort der Region eine dänische Wetterstation. In den 1980er Jahren hatten die Dänen festgestellt, dass das Basislager der Briten wenige Jahrzehnte nach seiner Errichtung unter dem wieder vorrückenden Britannia-Gletscher verschwunden war.

Ungeachtet der weiteren Entwicklung muss die Frage beantwortet werden: Welche natürlichen Ursachen hatte der in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erfolgte, sehr rasche Temperaturanstieg in der Nordpolarregion?

Neue Ansätze müssen her
Der Bericht von 1955 und die NASA-Veröffentlichung von 2019 ergeben für die Wissenschaft den Auftrag, die komplexen Ursachen von Klimaschwankungen, Gletscherschwund und Gletscherwachstum in Vergangenheit und Gegenwart mit neuen Ansätzen zu untersuchen. Bislang wird die Öffentlichkeit ausschließlich mit einseitigen Klimaprognosen ohne Zusatzinformationen versorgt, beispielsweise auf dem Blog „Meereisportal“: „Das Meereis schwindet im Klimawandel rasant – mit Folgen für die gesamte Erde. Wir sind Experten für Meereis. Hier teilen wir unser Wissen – aktuell, wissenschaftlich fundiert und leicht verständlich. Für die beobachteten Veränderungen der Eisausdehnung und Meereisdicke kommen verschiedene Ursachen in Frage. Sie können sowohl thermischer wie dynamischer Natur, natürlich oder anthropogen bedingt sein. Man nimmt an, dass um 2100 selbst in dem Monat mit der stärksten Eisbedeckung fast nur noch einjähriges und dünnes Eis den Arktischen Ozean bedecken wird.“


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS