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RAF-Terror aus der Luft

Beim Angriff der Royal Air Force auf Dresden vor 75 Jahren wurden 15 Quadratkilometer bebauter Fläche zerstört oder beschädigt. Von vielen Opfern werden wir nie erfahren, dass sie dort damals den Tod fanden

Björn Schumacher
24.02.2020

In der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 griff die Royal Air Force (RAF) Dresden in zwei Wellen mit 772 viermotorigen Bombern vom Typ Avro 683 „Lancaster“ an. Sie warf 1478 Tonnen gewöhnliche Sprengbomben und Blockbuster (Wohnblockknacker, hochexplosive Minenbomben) sowie 1181 Tonnen Stabbrandbomben über dicht besiedeltem Gebiet ab: Dresden-Altstadt, angrenzende Gebiete und Südvorstadt. Das deutsche Militär war wehrlos. In Dresden stationierte Flugabwehrkanonen waren Mitte Januar an die 120 Kilometer entfernte Ostfront verlegt worden. Nur wenige Abfangjäger mit unzureichenden Treibstoffmengen stellten sich den Bombern entgegen. Ein einziges deutsches Flugzeug, wohl die Maschine eines Kuriers, wurde im Dresdner Luftraum gesichtet.

Der erste Angriff dauerte von 22.03 Uhr bis 22.28 Uhr − perfekt ausgeführt von einer RAF-Elitestaffel: der Bomber Group Five. In eingeübter Reihenfolge klinkten die Besatzungen ihre todbringende Fracht aus. Die zuerst abgeworfenen Wohnblockknacker erzeugten Druckwellen, deckten Dächer ab, zertrümmerten Fenster und ließen Brandmauern einstürzen. Danach regneten schmale Brandbomben in die „geknackten“ Häuser mit ihren kaminartigen Luftströmungen. Zuletzt kamen die Sprengbomben zum Einsatz. Sie zerstörten Wasserleitungen wie Straßenbeläge und behinderten so die Löschtrupps. Es entstanden Großbrände, die sich zu einem einzigen Flammenmeer vereinigten und einen orkanartigen Feuersturm entfachten.

683 „Lancaster“-Bomber

Beim zweiten Angriff von 1.30 Uhr bis 1.55 Uhr warfen Bomber der Gruppen Eins, Drei, Sechs und Acht weitere Spreng- und Brandbomben in das Flammeninferno und attackierten angrenzende Wohnviertel und den Hauptbahnhof mit Abertausend schlesischen Flüchtlingen sowie den Großen Garten. Dort hatten viele Dresdner Zuflucht vor der ersten Angriffswelle gesucht.

15 Quadratkilometer bebaute Fläche, mehr als bei jedem anderen Großangriff auf eine deutsche Stadt, wurden zerstört oder beschädigt. Das herrliche Elbflorenz, die fürstliche Residenzstadt mit ihrer barocken Architektur und bildenden Kunst, ging in der Feuerhölle zugrunde. Noch tagelang stürzten ausgeglühte Gebäude in sich zusammen: die Frauenkirche, ein Kronjuwel protestantischer Kirchenbaukunst, am 15. Februar 1945.

Ein militärisches Ziel, der Verschiebebahnhof Friedrichstadt, wurde dagegen erst am 14./15. Februar bei Tagesangriffen US-amerikanischer Maschinen bombardiert, noch dazu mit mäßigem Erfolg. Harsche Kritik an der RAF-Strategie kam von Generalmajor und Militärhistoriker John Frederick Charles Fuller: „Als Entschuldigung für diesen Akt von Vandalismus diente die Tatsache, dass Dresden ein Eisenbahn- und Straßenzentrum war und dass es notwendig war, die Deutschen daran zu hindern, Truppen durch die Stadt zu senden, um den russischen Vormarsch aufzuhalten. Doch alles, was nötig gewesen wäre, um diese Verbindungen zu neutralisieren, war, ihre Ausgänge unter ständigem Luftbombardement zu halten.“

Warum also wurde Elbflorenz eingeäschert? Hauptgrund war die Area Bombing Directive vom 14. Februar 1942, ausgegeben exakt drei Jahre vor dem Dresdner „Double Blow“. Mit Spreng- und Brandbomben auf Wohngebiete wollten Premierminister Winston Churchill und sein Kriegskabinett die Durchhaltemoral deutscher Zivilisten und in der Konsequenz die Kampfmoral der Wehrmacht brechen. Obwohl das nirgendwo funktionierte und erkennbar keine Kriegsverkürzung bewirkte, verständigten sich die Alliierten Anfang 1945 auf ein „Zielsystem Mitteldeutschland“ mit forcierten Demoralisierungsangriffen, den sogenannten Thunderclaps (Donner- beziehungsweise Vernichtungsschläge).

Militärische Ziele wurden verschont

Zudem bot das bislang unversehrte Dresden eine willkommene Gelegenheit, die Schlagkraft der RAF zu demonstrieren. Offenbar sollte die Vernichtung des Stadtkerns die heranrückende Rote Armee Josef Stalins beeindrucken. Dieser hatte wenige Tage vorher eine Steigerung britischer Kriegsbemühungen verlangt. Dass Churchill obendrein angedeutet hatte, die Deutschen auf ihrem Rückzug aus Breslau „braten“ zu wollen, sei nicht nur am Rande erwähnt.

Heftig umstritten sind die Frage, ob US-amerikanische Jäger vom Typ North American P-51 „Mustang“ nach dem Tagesangriff vom 14. Februar 1945 auf Zivilisten am Elbufer und im Großen Garten geschossen haben, sowie die Gesamtzahl der von den Luftschlägen getöteten Personen.

Tiefflugbeschießungen durch „Mustang“-Piloten schilderten etliche Zeitzeugen. Ihnen widersprach ein anderer Beobachter, Buchautor Götz Bergander („Dresden im Luftkrieg“). Historiker Helmut Schnatz ergänzte das mit physikalischen Argumenten: Die unruhige Thermik während und nach dem Feuersturm sowie eine dichte Wolkendecke hätten einen raschen Sinkflug der „Mustangs“ ausgeschlossen beziehungsweise für die Piloten zum inakzeptablen Risiko gemacht. Da sich zudem bei Geländeproben keine Geschossrückstände fanden, darf man vermuten, dass Tieffliegerangriffe auf Dresdner Zivilisten zumindest kein Massenphänomen gewesen sind.

Die Todesopferzahl beschreiben Politiker und Leitmedien seit dem Abschlussbericht einer „Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden“ (2010) mit „höchstens 25 000“. Allerdings hatte ihr Initiator, der Dresdner Oberbürgermeister von 2002 bis 2008 Ingolf Roßberg, keine ergebnisoffenen Forschungen, sondern argumentative Munition im Kampf gegen „rechtskonservative und neonationalistische Kreise“ verlangt. Es verblüfft daher nicht, dass ein Mitglied der Kommission, Stadtarchivar Friedrich Reichert, schon 1994 ebendiese Zahl verkündet und mit den Bestattungsmeldungen dreier Friedhöfe begründet hatte.

„Nazi-Stadt, wie alle anderen“

Die Angabe „höchstens 25 000“ ist insofern korrekt, als nach den strengen Maßstäben eines juristischen Vollbeweises (konkrete) höhere Opferzahlen schwer zu belegen sind. Aber eine Historikerkommission ist kein Strafgericht. Man hätte brauchbare Beweisziele wie die realistische Möglichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit zugrunde legen und eingestehen sollen, dass sich hinreichende Gewissheit nur bei der Mindestopferzahl erzielen lässt. Warum wurden Zeitzeugen wie Hanns Voigt oder Erich Puff, denen man offenbar mit Skepsis begegnete, ganz einfach ignoriert? Puff hatte damals mit Blick auf übermenschliche Belastungen der Bergungstrupps erklärt: Vor ihrer Verbrennung auf dem Altmarkt wurden mehrfach „unbekannte Tote, einzelne Körperteile, auch Köpfe nicht gezählt ... Zuletzt wurde überhaupt nicht mehr gezählt.“

Das Vorspiegeln von Erkenntnissicherheit und das Verschweigen von Aspekten, die nicht ins Raster niedriger Opferzahlen passen, trüben weite Teile des Abschlussberichts. Eine abwägende Prüfung aller verfügbaren Beweismittel und Opferzahl-Thesen fand nicht statt. Anhand weniger Indizien verneinte die Kommission die Existenz von „Ascheleichen“, also instabiler Aschehäufchen, die naturgemäß kaum zu zählen waren. Da die physikalische Frage, ob in Teilen des Flammenmeers zeitweise Krematoriumshitze herrschte, retrospektiv schwer zu klären ist, hätte es auch hier des Zeugenbeweises bedurft.

„Bomber Harris do it again“

Einen Kontrapunkt setzte der Publizist Wolfgang Schaarschmidt („Dresden 1945. Daten – Fakten – Opfer“). Er zog Aussagen von Männern heran, die mit der Leichenbergung und -verbrennung betraut waren, und schätzte die Opferzahl auf 130 000 bis über 150 000. Selbst wenn die Zahl mehr als halbiert würde − dies könnte ein Funkspruch der Wehrmacht nahelegen (Verwechslung von Vermissten und geborgenen Leichen?) − läge man noch bei 50 000 bis 70 000 Toten. In Reichweite rückte dann die DDR-offiziöse Marke von „35 000 oder mehr“, der Götz Bergander zustimmte: „Ich akzeptiere die Möglichkeit, dass diese Zahl der Wahrheit am nächsten kommt, mag sie auch um einige tausend höher gewesen sein.“

Haltlose Spekulationen kreisen um die Größenordnung von 200 000 und mehr. Entsprechende Urkunden waren nachweislich gefälscht und befeuerten schon die NS-Propaganda.

Zum Trauerspiel geraten die von linken wie rechten Akteuren missbrauchten Gedenkfeiern. Viele Linke weigern sich, die moralische Verwerflichkeit und kriegsrechtliche Problematik der Massentötung unschuldiger Zivilisten, darunter Abertausende Kinder, anzuerkennen oder schmähen Dresden als „Nazi-Stadt, wie alle anderen“ (Stephan Fritz, ehemaliger Pfarrer der Frauenkirche). Die Antifa grölt menschenfeindliche Parolen: „Bomber Harris do it again“. Rechtsextreme versuchen, von NS-Verbrechen abzulenken, diese zu bagatellisieren oder – mit irritierender Gleichsetzung – den „Bomben-Holocaust“ anzuprangern.

Björn Schumacher ist Jurist und Publizist mit den Schwerpunkten Völkerrecht, neuere Geschichte sowie Rechts- und Staatsphilosophie.


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