Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Vor 80 Jahren beschloss das Präsidium des Obersten Sowjets auf Josef Stalins Geheiß die Deportation der Wolgadeutschen
Der erste sozialistische deutsche Staat entstand in den Steppen links und rechts der unteren Wolga nördlich des späteren Stalingrad. Die Gründung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen erfolgte am 6. Januar 1924, nachdem das Politbüro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Russlands am 13. Dezember 1923 die Zustimmung hierfür erteilt hatte. Als Fürsprecher war damals insbesondere der Volkskommissar für Nationalitätenfragen, Josef Stalin, aufgetreten. Die bolschewistische Führung verband mit der Gewährung der Autonomie für die Wolgadeutschen vor allem zwei Erwartungen. Zum einen sollte die Wolgarepublik international als Vorbild dienen und insbesondere in Deutschland die proletarische Revolution anfachen. Zum anderen war geplant, die überdurchschnittlich reichen Getreideernten im Gebiet der Wolgadeutschen zur Sicherung der Versorgung der Revolutionszentren Moskau und Petrograd zu nutzen, und durch den Autonomiestatus ließen sich die üblichen Requisitionen seitens subalterner Parteiorgane und Truppenführer noch am ehesten verhindern.
Das hohe Niveau der Landwirtschaft an der unteren Wolga resultierte aus dem Zustrom deutscher Siedler vor allem aus Baden, Hessen, Bayern, dem Rheinland und der Pfalz, die ab 1763 nach Russland gezogen waren, nachdem Katharina die Große ihnen in einem formellen Einladungsmanifest vielfältige Privilegien versprochen hatte. Aufgrund der klimatischen Verhältnisse vor Ort und ständiger Überfälle von Steppennomaden erlebten die Zuwanderer harte Zeiten. Dazu kamen später noch staatliche Repressalien. So kassierte Zar Alexander II. 1874 die bisherigen Selbstbestimmungsrechte der Wolgadeutschen. Und nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges folgten massive Anfeindungen und Deportationen. Außerdem durchlitten die Nachkommen der Siedler 1921/22 und 1932/33 schwere Hungersnöte, weil ihre gesamte Ernte beschlagnahmt wurde und die Zwangskollektivierung zum Ruin der Dörfer führte. Ebenso fielen zahlreiche Wolgadeutsche dem Stalinschen Terror der Jahre 1937 und 1938 zum Opfer.
Trotzdem blieb die Bevölkerung der Wolgarepublik in ihrer überwältigenden Mehrheit loyal gegenüber Moskau, als im Juni 1941 der deutsch-sowjetische Krieg begann. Hohe Funktionäre der Wolgadeutschen, aber auch einfache Bauern veröffentlichten permanent Aufrufe, in denen zum Kampf gegen „Hitler und seine blutrünstige Henkerbande“ aufgerufen wurde. Gleichzeitig glorifizierte die Armeezeitung „Boewoj Natisk“ noch am 8. August 1941 den „Heldentod“ eines wolgadeutschen Rotarmisten namens Heinrich Hoffmann.
Dann allerdings trat das Führungsversagen von Stalin und dessen Paladinen immer offenkundiger zutage und damit setzte die Suche nach Sündenböcken für die Niederlagen der sowjetischen Streitkräfte ein. Und da kamen die Deutschen an der Wolga wie auch in anderen Regionen der UdSSR gerade recht, obwohl die „unzuverlässigen Elemente“ in aller Regel weit entfernt von der Frontlinie lebten. Dennoch sollten sie nun aus ihrer Heimat nach Osten deportiert werden. Den Anstoß hierzu gab eine entsprechende Nachfrage der Politbüromitglieder Andrej Schdanow, Wjatscheslaw Molotow und Georgij Malenkow an die Adresse Stalins vom 24. August 1941, auf die der Diktator im Kreml am Folgetag kurz und bündig antwortete: „Raus mit ihnen, dass die Türen knallen!“
„Gesetzlos und verbrecherisch“
Also erhielt Stalins Geheimdienstchef Lawrentij Berija stehenden Fußes den Auftrag, die „Umsiedlung“ zu organisieren. Um der ganzen Operation einen legalen Anstrich zu geben, ließ das Politbüro der Kommunistischen Allunions-Partei das Präsidium des Obersten Sowjets und damit das kollektive Staatsoberhaupt der UdSSR den Erlass „Über die Umsiedlung der Deutschen, die in den Wolga-Rajons leben“ verabschieden. Das Dokument vom 28. August 1941 trug die Unterschriften des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets, Michail Kalinin, und seines Sekretärs Alexander Gorkin. Es besagte, dass sich in der Wolgarepublik „Tausende und Zehntausende von Diversanten und Spionen“ beziehungsweise „Feinden des Sowjetvolkes und der Sowjetmacht“ verbärgen, die „nach einem aus Deutschland gegebenen Signal ... Sprenganschläge verüben sollen“. Das mache es notwendig, „die gesamte deutsche Bevölkerung, die in den Wolga-Rajons ansässig ist, in andere Rajons umzusiedeln“. Dem folgte am 6. September 1941 ein weiterer Ukas Kalinins bezüglich der Aufteilung des Territoriums der Wolgadeutschen Republik unter den Nachbargebieten.
Keine Neugründung der Republik
Bis Ende 1941 verschleppte Berijas NKWD mindestens 366.000 Deutsche von der Wolga sowie 428.000 andere Russlanddeutsche nach Sibirien und Kasachstan. Die Zahl der Todesopfer der Deportation wurde niemals statistisch erfasst. Die Deportierten vegetierten bis Anfang 1956 als entrechtete Arbeitssklaven dahin. Oftmals wurde ihnen selbst das Allernötigste zum Leben vorenthalten. Ihre Verbannung sollte nach einer Entscheidung des Kreml vom 26. November 1948 „auf ewig“ gelten.
Erst im August 1964 rehabilitierte der Oberste Sowjet die Deutschen in der Sowjetunion per Dekret. Am 26. April 1991 beschloss das russische Parlament das Gesetz „Über die Rehabilitierung der unterdrückten Völker“, in dem die früheren Repressionen gegen Russlanddeutsche und andere Nationalitäten als „gesetzlos und verbrecherisch“ gebrandmarkt sowie umfassende moralische, finanzielle, politische und territoriale Wiedergutmachungen angekündigt wurden. Der Versuch, daraufhin die 1941 aufgelöste Republik neu zu gründen, scheiterte indes am Unwillen der russischen Staatsführung wie auch dem nahezu geschlossenen Widerstand der ortsansässigen Bevölkerung und der lokalen Entscheidungsträger. Es folgte eine Ausreisewelle ohnegleichen, in deren Zuge mehr als zwei Millionen Russlanddeutsche, darunter zahlreiche Nachkommen der Siedler von der Wolga, in die Bundesrepublik kamen.
Chris Benthe am 29.08.21, 10:19 Uhr
Ich begann damals, 1990/91, meine berufliche Laufbahn und unterrichtete 3 Jahre die deutschen Spät-Aussiedler. Eine Zeit, die mir als unvergesslich und erbaulich in Erinnerung bleiben wird. Nahezu alle haben hier eine Arbeit gefunden, teils unter schwersten Zumutungen. Darüber spricht heute kaum noch jemand. Spätaussiedler sind die Pariahs unter den Migranten, obwohl sie am besten integriert sind.
Siegfried Hermann am 28.08.21, 10:01 Uhr
Das Thema Kriegsverbrechen der Siegermächte wird nur sehr selten offen und direkt, wie hier von der PAZ. publiziert.
DANKE!