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Euromajdan

Regime Change in der Ukraine

Vor zehn Jahren wurde der demokratisch gewählte, aber russlandfreundliche Staatspräsident Wiktor Janukowytsch gestürzt

Wolfgang Kaufmann
17.11.2023

Am 30. März 2012 gaben die Europäische Union und die Regierung der Ukraine den erfolgreichen Abschluss von Verhandlungen über ein weitreichendes Assoziierungsabkommen bekannt. Allerdings weigerte sich der ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch danach, diese Abmachung zu unterzeichnen, weil er sein Land aus der Europäischen Union wie dem Nordatlantikpakt heraushalten wollte. Und dann stoppte auch das Kabinett unter Ministerpräsident Mykola Asarow das Verfahren rund um das Abkommen per Regierungserlass. Grund hierfür waren die drohenden wirtschaftlichen Probleme für die Ukraine infolge der geplanten Annäherung an die EU in Verbindung mit einer gleichzeitigen Distanzierung von der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft unter der Führung Russlands.

Nach Bekanntwerden des Regierungsbeschlusses versammelten sich am Abend des 21. November 2013 einige tausend Menschen auf dem Majdan Nesaleschnosti (Unabhängigkeitsplatz), einem Platz im Zentrum von Kiew, um gegen die Aussetzung des Abkommens zu protestieren. Dazu aufgerufen hatte unter anderem der afghanischstämmige Journalist Mustafa Najjem. Dieser ersten Demonstration folgten bald weitere mit immer mehr Teilnehmern, die dann ab dem 29. November auch zur friedlichen Revolution aufriefen und die Amtsenthebung von Janukowytsch forderten. Die Regierung entsandte daraufhin die Miliz-Spezialeinheit Berkut zur Zerstreuung der Demonstranten auf dem Majdan. In Reaktion hierauf entstanden „Selbstverteidigungseinheiten“ der Opposition mit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Akteuren, darunter etliche Mitglieder der gewaltbereiten rechtsextremen Szene. Das führte zur stufenweisen Eskalation der Situation.

Sturm auf das Rathaus
Im Anschluss an eine Großdemonstration mit bis zu 800.000 Teilnehmern kam es am 1. Dezember zur Besetzung des Kiewer Rathauses durch Demonstranten sowie zu heftigen Attacken mit Pflastersteinen, Metallketten und Baufahrzeugen gegen die Polizei. Acht Tage später schwoll die Zahl der Demonstranten bis auf rund eine Million an. Daraufhin begannen die militärischen Spezialeinheiten „Tiger“ und „Leopard“ mit der Räumung der vielen Protestcamps rund um den Majdan.

Angesichts der anhaltenden Unruhen beschloss das ukrainische Parlament am 16. Januar 2014 mehrere Gesetze zur Einschränkung des Demonstrationsrechts. Deswegen versuchten die Oppositionskräfte, deren Führer zuvor Gespräche mit Victoria Nuland, damals Assistant Secretary of State für Europa und Eurasien und heute heute geschäftsführende Vizeaußenministerin der USA, sowie Catherine Ashton, seinerzeit Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Erste Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, geführt hatten, am 19. Januar das Parlamentsgebäude zu stürmen. Wenig später gab es die ersten Todesopfer im Zuge des auch „Revolution der Würde“ genannten sogenannten Euromajdan.

Unter dem Druck der Krawalle in Kiew sowie Lemberg und fünf weiteren ukrainischen Städten trat die Regierung Asarow am 28. Januar zurück, und das Parlament kassierte seine eigenen Demonstrationsgesetze. Anschließend herrschte Anarchie im Land, die zwischen dem 18. und 20. Februar 2014 ihren Höhepunkt erreichte. Bei den Zusammenstößen zwischen der Polizei und Regierungsgegnern kamen nun vielfach auch Schusswaffen zum Einsatz. Dadurch starben weit über 100 Menschen, darunter mindestens 20 Angehörige der Sicherheitskräfte.

Zur Beendigung der Gewalt vereinbarten Janukowytsch und die Führer der Opposition am 21. Februar ein Abkommen über eine allgemeine Amnestie und vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Das wurde jedoch von der Mehrheit der Demonstranten nicht akzeptiert. Deswegen floh der Präsident am 22. Februar aus Kiew. Daraufhin stimmte das Parlament mit 328 Ja- bei 122 Nein-Stimmen für die Absetzung von Janukowytsch mit der Begründung, dass er sich selbst seiner verfassungsmäßigen Befugnisse enthoben habe. Gemäß Artikel 108 der damaligen ukrainischen Verfassung wäre für die Amtsenthebung aber ein formelles Verfahren wegen Hochverrats oder anderer schwerer Verbrechen sowie die Einschaltung des Verfassungsgerichts nötig gewesen. Da dies nicht erfolgte, handelte es sich beim Sturz von Janukowytsch faktisch um einen lupenreinen Putsch vonseiten des Parlaments. Dennoch erkannte die EU die folgende Übergangsregierung unter Arsenij Jazenjuk umgehend an.

Jazenjuk hatte sich bereits 2008 für einen NATO-Beitritt der Ukraine ausgesprochen und war der Favorit der USA. Daher kann kaum verwundern, dass die Opposition gegen Janukowytsch und Asarow von Organisationen und Stiftungen im Ausland wie der regierungsnahen US-amerikanischen National Endowment for Democracy (NED) gesponsert wurde.

Kiew verschleppte die Ermittlungen
Der Umsturz in Kiew, auf den Moskau mit der Annexion der Krim antwortete und der darüber hinaus zum Ausbruch des Krieges in der Ostukraine führte, weil Janukowytsch den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgefordert hatte, in der Ukraine wieder für „Gesetz und Ordnung“ zu sorgen, resultierte in wesentlichem Maße aus den gewaltsamen Auseinandersetzungen auf dem Majdan. Insofern ist es bemerkenswert, dass die neuen Machthaber in Kiew in der Folgezeit alles taten, um die Ermittlungen über die Vorfälle vom Februar 2014 zu verschleppen. Deshalb blieb bis heute ungeklärt, wer die Scharf- beziehungsweise Heckenschützen waren, auf deren Konto die Mehrheit der Toten ging.

Folgt man der Argumentation der politischen Sieger der Auseinandersetzungen, kamen die Schüsse aus den Gewehren der Sicherheitskräfte der Janukowytsch-Asarow-Administration. Teilweise wird zusätzlich noch behauptet, Putin habe Killerkommandos des russischen Geheimdienstes FSB entsandt.

Dahingegen lautet eine andere Version, dass die Täter dem Lager der Opposition angehörten und das Massaker ganz gezielt anrichteten, um die Regierung zu kompromittieren. Immerhin wurde ja vielfach von den Dächern besetzter Gebäude gefeuert. Darüber hinaus kursierten 2017 Berichte über angeheuerte georgische Scharfschützen, die wiederum mit dem früheren US-amerikanischen Elitesoldaten Brian Christopher Boyenger kooperiert haben sollen.

Angesichts all dessen kann nicht ausgeschlossen werden, dass zwei Kontingente von Heckenschützen parallel auf dem Majdan operierten, um ihren jeweiligen Hintermännern politische Vorteile zu verschaffen.


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Kommentare

Gregor Scharf am 17.11.23, 06:05 Uhr

Ein weiterer Beweis dafür, dass in Umsturzphasen die Wahrheit und Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben und die Kleinen am Ende die Verlierer sind, weil die Haie sich ihre Claims lange zuvor abgesteckt haben.
Das war 1989 nicht anders. Eine Eskalation der Gewalt konnte jedoch verhindert werden, weil die Menschen eine andere Sozialisierung erfahren haben und beide politischen Lager sich zuvor hinter den Kulissen einig waren. Der Fehler hier in Deutschland bestand vor allem darin, dass die Sowjets zeitgleich den Abzug der Westalliierten hätten verlangen müssen. Dazu hatten sie nicht mehr die ausreichende Macht. Und so setzt sich das geopolitische Gezerre fort und wir werden in Dinge hineingezogen, die uns eigentlich nicht das Geringste angehen, denn Deutschland ist ein Zwergstaat ohne internationales, militärisches Gewicht und obendrein abhängig von der Gunst der Rohstoffländer.

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