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Zum Tode des Schriftstellers und Essayisten Günter de Bruyn
Ein Bestsellerautor war er selten – und dennoch ein großer Erzähler. Als am Donnerstag vergangener Woche die Nachricht vom Tode Günter de Bruyns die Runde machte, wurde in den Online-Meldungen gemeinhin von einem „DDR-Schriftsteller“ gesprochen. Das ist nicht falsch – und dennoch bei Weitem nicht alles. Tatsächlich war Günter de Bruyn ein aus der Zeit Gefallener; ein Geschichte- und Geschichtenerzähler, der sich von keinem Staat vereinnahmen ließ. Allenfalls vom alten Preußen.
Ein „DDR-Schriftsteller“ war er insofern, als es ihn, den 1926 in Berlin Geborenen, nach dem Zweiten Weltkrieg in die Mark Brandenburg verschlagen hatte. Dort lebte er zunächst als Lehrer und Bibliothekar, seit 1961 als freier Autor. Die Zustände im „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ bestimmten auch seine ersten Werke wie den Roman „Buridans Esel“, für dessen Verfilmung unter dem Titel „Glück im Hinterhaus“ Ulrich Plenzdorf das Drehbuch schrieb.
De Bruyns Haltung gegenüber dem SED-Staat war ambivalent. Ein offen Oppositioneller war er zunächst nicht; ganz im Gegenteil gehörte er zwischen 1965 und 1978 dem Zentralvorstand des Schriftstellerverbandes der DDR an und war von 1974 bis 1982 Mitglied im Präsidium des PEN-Zentrums der DDR.
Doch wie alle, denen es in 40 Jahren Sozialismus gelang, ihre innere Freiheit zu wahren, geriet auch de Bruyn zunehmend in Opposition zum Regime. 1976 unterzeichnete er den Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, 1981 kritisierte er auf einem Schriftstellerkongress offen, dass die DDR zwar christliche Anti-Kriegs-Initiativen im Ausland unterstützte, im eigenen Land jedoch bekämpfte. Im Oktober 1989 verweigerte er die Annahme des Nationalpreises der DDR. Der Roman „Neue Herrlichkeit“ wurde von der Zensur einkassiert und konnte 1984 zunächst nur im Verlag S. Fischer in Frankfurt am Main erscheinen.
Flucht in die Geschichte
Dass de Bruyns geistige Welt zunehmend eine andere war als die der DDR, zeigt auch seine Biographie „Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter“ über den fränkischen Romancier Jean Paul aus dem Jahre 1975. Der Griff in die Kulturgeschichte ermöglichte zumindest die gedankliche Flucht aus der alltäglichen Enge der sozialistischen Diktatur. Schon zu DDR-Zeiten widmete sich de Bruyn jenem Thema, das ihn nach 1990 zu einem der bedeutendsten gesamtdeutschen Autoren werden ließ: die Geschichte Preußens und seiner blühenden Kulturlandschaft um 1800.
1979 erschien „Märkische Forschungen“, eine „Erzählung für Freunde der Literaturgeschichte“. Und mit Gerhard Wolf gab er die Reihe „Märkischer Dichtergarten“ heraus, in der sie preußische Dichter und Denker wie Theodor Gottlieb von Hippel, Friedrich de la Motte Fouqué, Ludwig Tieck, Rahel Levin, Friedrich Nicolai und andere dem Vergessen entrissen.
Nach dem Ende des SED-Staats widmete sich de Bruyn ganz seiner märkisch-preußischen Heimat. Blieben Titel wie „Mein Brandenburg“ (1993) eher Liebhabern vorbehalten, so fanden sich die Bände seiner „preußischen Trilogie“ – „Die Finckensteins. Eine Familie im Dienste Preußens“ (1999), „Preußens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende“ (2001) sowie „Unter den Linden“ (2002) – auf den Bestsellerlisten wieder.
Es war jene Zeit, als Bundesregierung und Bundestag gerade ihren Sitz nach Berlin verlegt hatten – und all die Minister, Abgeordneten und Mitarbeiter, aber auch die Verbandsvertreter und Journalisten, die mit ihnen an die Spree zogen, kaum etwas von der alten Hauptstadt und deren einstiger geistigen Blüte wussten. In dieser Zeit des Umbruchs, deren Geschichte von den Historikern noch nicht erzählt ist, gab die „preußische Trilogie“ der entstehenden Berliner Republik ein Stück historische Orientierung und geistige Heimat.
Beeindruckendes Spätwerk
Großartig auch das Spätwerk de Bruyns. In „Abseits“, seiner „Liebeserklärung an eine Landschaft“ (2006), pries er mit liebevollen Worten jenen südöstlichen Teil der Mark Brandenburg, der ihm seit Jahrzehnten zur Heimat geworden war. Und er zeigte, dass – typisch für die gesamte preußische Geschichte – auch auf kargen Böden eine reiche Kultur gedeihen kann. In seinen Büchern „Als Poesie gut. Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807“ (2006) sowie „Die Zeit der schweren Not.
Schicksale aus dem Kulturleben Berlins 1807 bis 1815“ (2010) kehrte der Schriftsteller in zauberhaften Miniaturen noch einmal zur Blütezeit der Berliner Klassik zurück. Und in „Sünder und Heiliger. Das ungewöhnliche Leben des Dichters Zacharias Werner“ (2016) erzählte er von dem Lebensweg des Königsberger Priesters, Predigers und Dichters, der – 1768 geboren – während seines Studiums noch Kant hörte, um 1800 herum in Berlin weilte, später ins Rheinland und weiter nach Wien zog.
Am 4. Oktober 2020 ist Günter de Bruyn im Alter von 93 Jahren verstorben. Mit seinen Erzählungen hat er den großen und kleinen Episoden der preußischen Geschichte bleibende literarische Denkmäler gesetzt – und hat dabei gezeigt, dass das alte Preußen noch immer eine große geistige Kraft entfaltet.
Chris Benthe am 14.10.20, 10:57 Uhr
Wunderbarer Beitrag. Danke.