14.11.2024

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Klimawandel und Tourismus

Reise-Experten sagen das Ende des Sommerurlaubs im Süden voraus

Die Urlauberströme könnten sich laut den Vorhersagen von Touristikforschern zunehmend in Richtung Norden oder auch zeitlich verschieben – Doch es gibt auch gegenteilige Ansichten

Wolfgang Kaufmann
30.09.2023

Der Sommer 2023 war angeblich der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Dabei blieb freilich unerwähnt, dass immer mehr Messstationen an falsch ausgewählten Plätzen stehen, wo ein lokaler Wärmestau herrscht. Stattdessen überschlugen sich viele deutsche Medien in hysterisch-apokalyptischer Panikmache: „Südeuropa glüht bei fieberhaften Temperaturen, bei denen selbst ein Tag am Strand oder in der historischen Altstadt zur tödlichen Gefahr wird“, barmte beispielsweise das Online-Nachrichtenportal „Watson“.

Und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beschwor ausnahmsweise einmal nicht die Corona-Gefahr, sondern meldete sich am 13. Juli mit folgenden Worten aus dem Italien-Urlaub: „Die Hitzewelle ist spektakulär hier. Wenn es so weiter geht, werden diese Urlaubsziele langfristig keine Zukunft haben. Der Klimawandel zerstört den Süden Europas. Eine Ära geht zu Ende.“ Damit gab er den Startschuss für eine auffällig konzertiert wirkende Welle von Berichten und Interviews, in denen es immer wieder hieß, dass der „Klimawandel Reiseströme verschieben“ werde.

Mit daran beteiligt war das ZDF, welches den Nachhaltigkeits- und Tourismusforscher Harald Zeiss zu Wort kommen ließ: „Wenn wir auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte schauen, wird es im Sommer immer wärmer werden ... Jeder einzelne Urlauber wird sich vorher überlegen, ob es ihm oder ihr wert ist, in diesen heißen Sommern in den Mittelmeerraum zu reisen.“

Zeiss' Fachkollege Markus Pillmayer fügte im Gespräch mit dem gleichen Sender hinzu: „Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die auch deutlich sichtbar und spürbar sind. Eine Strategie ist das ‚Degrowth', also das Zurückfahren, ein Gesundschrumpfen ... Ich bin der Meinung, dass mittlerweile alle Touristikerinnen und Touristiker verstanden haben sollten, dass der Klimawandel stattfindet und Konsequenzen für Reisegebiete und Reiseformen haben wird. Davon auszugehen, dass der Klimawandel zu keinerlei Konsequenzen führt, halte ich für fahrlässig, um es ganz deutlich zu sagen.“

Heißester Sommer seit Wetteraufzeichnungen?
Eine Möglichkeit der Veränderung skizzierte der Vorstandsvorsitzende des Reisekonzerns TUI AG, Sebastian Ebel: „Es könnte durchaus eine Verschiebung der Nachfrage von der Hauptferienzeit, also Juli und August, in die Vor- und Nachsaison geben.“ Deshalb bietet die TUI nun auch Griechenlandreisen im Herbst beziehungsweise Spätherbst an, obwohl ab Ende September die Regenwahrscheinlichkeit deutlich steigt und es zugleich unangenehm stürmisch werden kann. Dahingegen glaubt Stefan Gössling, Professor für Tourismus an der schwedischen Linné-Universität, eher an Anpassungen bei den Reisezielen, weg von den klimatisch „unsicheren“ Regionen, wie man sie beispielsweise rund ums Mittelmeer finde, hin zu sicheren Destinationen.

Der gleichen Meinung ist die European Travel Commission (ETC), die Dachorganisation der europäischen Tourismusverbände und -behörden. So wurde deren Exekutivdirektor Eduardo Santando kürzlich mit folgenden Worten auf dem Newskanal der Deutschen Presse-Agentur zitiert: „Wir gehen davon aus, dass die Reiseströme in Europa in Zukunft stärker von unvorhersehbaren Wetterbedingungen beeinflusst werden ... Dies könnte dazu führen, dass es mehr Europäer auf der Suche nach milderen Temperaturen in den Sommermonaten zu Zielen in Mittel- und Osteuropa ziehen wird.“

Die EU-Kommission legte kürzlich sogar eine spezielle Studie vor, die mit Blick auf die zu erwartenden Folgen des Klimawandels sagt: „Wir stellen bei den Veränderungen der Tourismusnachfrage ein klares Nord-Süd-Muster fest ... Die Regionen Mittel- und Nordeuropas werden voraussichtlich ganzjährig attraktiv für touristische Aktivitäten zum Nachteil der südlichen und mediterranen Gebiete.“

Allerdings gibt es auch Experten, welche das Ganze etwas differenzierter beziehungsweise gelassener sehen. Einer davon ist Samed Kizgin, Leitender Analyst für Reiserisiken beim Sicherheitsdienstleister A3M Global Monitoring mit Sitz in Tübingen. Er vertritt zwar ebenfalls die Ansicht, „dass viele Reisende vermehrt auf die Risiken und Auswirkungen des Klimawandels achten werden“.
Andererseits seien die Touristen aber nicht so leicht zu verschrecken, wie mancher glaube: „Selbst bei den Waldbränden auf den griechischen Inseln haben sich viele dennoch dazu entschieden, ihren Urlaub wie geplant fortzuführen.“

Parallel hierzu gab Norbert Fiebig, der Präsident des Deutschen Reiseverbandes, bekannt: „Aktuell zeigt sich keine Veränderung im Buchungsverhalten aufgrund der lang anhaltenden Hitzewelle im Süden Europas.“ Und tatsächlich meldeten Länder wie Italien und Spanien in diesem Sommer Rekordzahlen – nach Spanien kamen rund ein Viertel mehr Touristen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Entscheidend bleiben Wärme und Sonnenscheindauer
Einen der Gründe für die Beliebtheit von Urlaub im angeblichen „Hotspot des Klimawandels Mittelmeer“ nannte der Tourismusforscher Torsten Kirstges von der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven gegenüber der „Wirtschaftswoche“: Die Türkei, Griechenland, Tunesien und Marokko seien trotz der oft extrem hohen Temperaturen vor Ort auch und gerade im Sommer seit Jahrzehnten sehr beliebt. „Dafür sorgt ... , dass ein Sommerurlaub dort oft günstiger ist als anderswo. Da gilt quasi: Preis schlägt Hitze.“ Zugleich hält Kirstges jedoch Veränderungen für möglich, wenn weitere heiße Sommer kommen: „Dann wird Wilhelmshaven die neue Karibik und die Leute fahren an die deutsche Ostsee, aber auch nach Polen oder nach Nordfrankreich oder Irland, England, Skandinavien, Dänemark“. Das gelte indes nur, wenn es dort tatsächlich auch entsprechend wärmer werde, denn „das Urlaubsmotiv Sonnenwärme wird ... immer das Entscheidende bleiben“.

Sollte der Wilhelmshavener Tourismusexperte Recht behalten, hätte das einschneidende Folgen für die großen Pauschalreiseunternehmen und Charterfluggesellschaften. Immerhin existiert an den neuen Destinationen noch keine nennenswerte Infrastruktur für den Massentourismus, und anreisen können die Urlauber bequem mit dem eigenen Auto.


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