14.12.2024

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Sowjetunion

Rolle rückwärts im Kreml

Vor 60 Jahren wurde an der Spitze der KPdSU der Reformer Chruschtschow durch den Apparatschik Breschnew ersetzt

Wolfgang Kaufmann
11.10.2024

Ein Grund für den Sturz des sowjetischen Partei- und Regierungschefs Nikita Chruschtschow war, dass die anderen Mitglieder der Partei- und Staatsführung die ebenso sprunghafte wie jähzornige Art des Stalin-Nachfolgers fürchteten. Darüber hinaus kritisierten sie einerseits die Annäherung an die Bundesrepublik Deutschland und die generelle Nachgiebigkeit im Umgang mit dem Westen sowie andererseits den harten Konfrontationskurs gegenüber früheren Verbündeten wie China und Albanien. Hinzu kamen die ständigen Eingriffe in die staatliche Planung, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft. Und dann stieß schließlich auch noch Chruschtschows Parteireform auf massiven Widerstand, weil sie zu einem Zuständigkeitschaos führte und die Privilegien der altgedienten Kader bedrohte.

Vor 60 Jahren, am 14. Oktober 1964, endete die Ära des gebürtigen Ukrainers, die mit der Entstalinisierung und zahlreichen, zunächst allgemein begrüßten Reformen begonnen hatte, nicht zuletzt wegen eines Reformüberdrusses in der Sowjetunion und deren Nomenklatura.

Insofern war es naheliegend, dass der Ablösung von Chruschtschow eine politische Rolle rückwärts folgte. Sie wurde maßgeblich vom bisherigen Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets und damit Staatsoberhaupt der UdSSR, Leonid Breschnew, vollzogen. 1964 wechselte der ebenfalls in der Ukraine Geborene von der Staats- an die Parteispitze. Erst trug er wie zuvor Chruschtschow den Titel Erster Sekretär. Doch zwei Jahre später wurde er zum Generalsekretär der KPdSU gekürt, ein Titel, den zuvor lediglich Stalin geführt hatte. Dieses Anknüpfen an die Tradition Stalins ist durchaus als Statement zu interpretieren.

Vergleich der beiden KPdSU-Chefs
Im Gegensatz zu seinem unberechenbaren Vorgänger avancierte Breschnew zum Garanten der Stabilität in der Kaderfrage. Der einstige Kronprinz von Chruschtschow, der am Ende eifrig mit an dessen Stuhl gesägt hatte, galt als umgänglich, ja kumpelhaft, und pflegte einen ungewohnt kollektiven Führungsstil. Dass der gemütliche „Ljonja“ für eine durchgreifende Restalinisierung in der Sowjetunion sorgte, nahm ihm kaum jemand übel, weil sie mit spürbaren Verbesserungen beim Lebensstandard einherging.

Ab Mitte der 70er Jahre erlahmte indes diese positive Entwicklung. Das „Goldene Zeitalter der Stagnation“ brach an, wie Spötter die zweite Hälfte der Ära Breschnew genannt haben. Verantwortlich hierfür waren die unablässig steigenden Rüstungsanstrengungen der UdSSR, die damit ihre Position als Supermacht festigen wollte. Diesem Zweck diente auch die von Breschnew 1968 verkündete und nach ihm benannte Doktrin über die „begrenzte Souveränität sozialistischer Länder“, der zufolge die „Interessen und die Souveränität einzelner sozialistischer Staaten ... ihre Grenzen an den Interessen und der Sicherheit des gesamten sozialistischen Systems“ finden.

Vergleich mit heute
Ein Symptom der Restalinisierung nach dem Sturz von Chruschtschow war auch der zunehmende Personenkult um Breschnew, der immer seltsamere Blüten trieb. So erhielt der von Schlafmitteln abhängige und an Gehirnverkalkung leidende Parteichef gleich viermal den Orden „Held der Sowjetunion“ und eine Beförderung zum Marschall der Sowjetunion, obwohl er 1946 als Generalmajor aus der Roten Armee ausgeschieden war. 1977 wurde er der erste in der sowjetischen Geschichte, der das Amt des Parteichefs mit dem des Staatschefs in seine Person verband. Das hatte nicht einmal Stalin getan.

Heutzutage wird gelegentlich behauptet, der Übergang von Chruschtschow zu Breschnew vor 60 Jahren sei mit dem Wechsel von Boris Jelzin zum jetzigen starken Mann im Kreml, Wladimir Putin, vom Prinzip her vergleichbar: So wie unter dem konservativen Apparatschik Breschnew der Stalinismus wiederauferstand, reanimiere der fanatische KGB-Offizier Putin die Sowjetunion. Doch dieser historische Vergleich hinkt. Putins Russland folgt keiner internationalistischen Agenda, sondern einer nationalistischen „Ideologie der russischen Zivilisation“. Vor diesem Hintergrund wahrt es ausschließlich seine eigenen Interessen. Dabei agiert das neue Russland sehr viel stärker mit einem pragmatischen Egoismus und somit flexibler als die verkrustete Sowjetunion.


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Kommentare

Gregor Scharf am 12.10.24, 10:42 Uhr

Das riesige Plakat mit dem Bruderkuss Honeckers und Breshnews spukt noch immer in meinem Kopf herum. Pfui Deibel, dabei wird mir heute noch übel. Für uns Jugendliche war klar, Kommunisten müssen warme Brüder sein. Damit kann man sich nicht identifizieren.

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