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Rückkehr in die Vaterstadt

In der Franz-Domscheit-Galerie in Memel findet noch bis zum 3. März eine große Ausstellung über den ostpreußischen Expressionisten Karl Eulenstein statt

Jörn Barfod
28.10.2023

In der Franz-Domscheit-Galerie in Memel (Pranas-Domsaitis galerija Klaipeda) findet noch bis zum 3. März 2024 eine große Ausstellung über den ostpreußischen Expressionisten Karl Eulenstein statt, der damit wieder einmal in seine Vaterstadt zurückkehrt. Anlass für die mit 55 Arbeiten versehene Präsentation war auch eine großzügige Schenkung von 15 Gemälde und Graphiken des Künstlers durch Ekkehard Hildebrandt, Sohn eines engen Freundes des Malers, der seinerzeit einen Teil des künstlerischen Nachlasses Eulensteins empfangen hatte.

Dieser Bestand war bereits 1992 Grundlage einer Eulenstein-Schau in Memel gewesen, der eine weitere dort 2013 folgte. Die jetzige Ausstellung ist eine Zusammenarbeit der Domscheit-Galerie, Außenstelle des Nationalen Litauischen Kunstmuseums in Wilna, mit dem Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg, das einen großen Teil an Leihgaben beisteuerte.

Die besondere Atmosphäre, die um diese Ausstellung erlebbar ist, hat auch viel mit dem Ort zu tun. Vom alten Memel ist bis heute viel zu sehen trotz des zeitlichen Abstands von 80 Jahren und den vielen Kriegszerstörungen und Veränderungen nach 1945. Wer durch das Memelland fährt, kann die Feldarbeiten nachvollziehen.

Einem Kurenkahn kann man auch heute noch auf dem Haff oder im Hafen von Memel begegnen – auch wenn er gerade bei Flaute mit einem Außenbordmotor gefahren wird. Eigenwillig wie das Werk in seiner stilistischen Entwicklung und in seiner besonderen, konzentrierten Themenwahl ist auch Eulensteins Lebensweg und Maler-Werdegang.

Jährliche Heimatbesuche bis 1944
Eulenstein ging einen eigenen, schweren Weg. Als sechstes von sieben Kindern eines Schlepperkapitäns 1892 in Memel [Klaipeda] geboren, als mittelmäßiger Schüler durchgekommen, musste er zunächst in einem Kaufmannskontor sein Geld verdienen. Der Erste Weltkrieg riss ihn aus dem Alltag.

Nach Kriegsende verwirklichte Eulenstein seinen Traum und besuchte die Königsberger Kunstakademie. Hier waren vor allem Richard Pfeiffer und der Expressionist Arthur Degner seine Lehrer. Ab 1925 stürzte sich Eulenstein in das Wagnis, als freischaffender Künstler zu leben. Er ging 1926 nach Berlin, wo er fortan mit seiner Lebensgefährtin Helene Stepath, genannt Lenka, bis zu seinem Tod 1981 verblieb. 1967 heirateten sie.

Sein malerisches Werk hatte aber zumeist Motive seiner memelländischen Heimat zum Thema. Bis 1944 besuchte er sie auch jährlich, wohnte vor allem in Nidden [Nida] bei seinem Studienfreund, dem Maler Ernst Mollenhauer, im Blodeschen Gasthof. So gehörte er zum Kern der Künstlerkolonie Nidden.

Erfolge seit Anfang der 30er Jahre
Seit Anfang der 1930er Jahre hatte Eulenstein Erfolge in Ausstellungen, nicht nur in Ostpreußen, sondern bald in vielen Teilen Deutschlands. Seine dunkelfarbigen Bilder mit der intensiven Farbigkeit, der oft melancholisch wirkenden ostpreußischen Landschaft, den Szenen aus Memel, von Fischern des Kurischen Haffs erregten Aufmerksamkeit. So hieß es in einer zeitgenössischen Beschreibung: „Die atmosphärische Dichte, in kräftigen Atemzügen herausgeholt aus den mit Finsternissen gesättigten Nebellichtern der Nehrung, umschließt wie ein Panzer die Mägde und Bauern, die Kühe, die Pferde, den Baum.“

Dem aufkommenden Kunstgeschmack im Dritten Reich entsprachen Eulensteins Werke wenig. 1937 wurden sogar einige seiner Arbeiten beschlagnahmt. Er konnte jedoch weiterhin ausstellen. Dennoch war es eine knappe Zeit für ihn. Kurz vor Kriegsende verlor er in Berlin fast sein gesamtes Werk. Er verlor auch seine Heimat. Aber seit er nicht mehr nach Memel und auf die Kurische Nehrung fahren konnte, wurde ihr Bild in ihm immer mächtiger. So begann er ab 1946 allmählich noch einmal, in 20 Jahren ein großes Lebenswerk zu schaffen.

Beschlagnahmungen 1937
Eulenstein gelang es, eine neue, eigenständige Bildsprache für „sein“ Memelland, für „sein“ Nidden, für die alten Motive zu finden. Dabei treten die Motive in ihren gegenständlichen Formen immer weiter zurück, bald beherrschen die Farben ganz das Bild. Kräftiges Blau, Rot, Gelb, manchmal auch fahles Grün oder Hellgrau faszinieren. Im Gesamteindruck bleibt aber stets etwas von der Dunkelheit und Schwere der Eulensteinschen Werke der Vorkriegszeit erhalten.

Das Schwarz der einfacheren, dennoch kräftigen Umrisse erscheint zuweilen fast flächig dominant. Wohl erkennt man, dass der Maler von Emil Nolde und Georges Rouault beeindruckt war. Aber seine Arbeiten sind keiner Richtung passend zuzuordnen. So wird die Bezeichnung Expressionist beziehungsweise Spätexpressionist nur in einer eigenwilligen Weise, eben „eulensteinisch“ auf sein Werk anzuwenden sein.

Seine Art, das Gesehene aufzufassen und zu verarbeiten, die im Spätwerk zunehmend lockerere Form und die sehr lebendig strukturierte Farbigkeit seines Pinselstrichs erklären sich auch aus einer Aussage des Malers von 1932:
„Nach Jahren wieder in der heimatlichen Landschaft – ein wunderliches Gefühl. Die Bilder, die man tief im Innern mit sich geführt hat, die ab und zu visionär emportauchen, sie stimmen nicht. Alles ist viel nüchterner. ... Platt, nichtssagend steht alles da. Man versteht sich selbst nicht.

Und doch ist alles richtig. Man hat nur übersehen, dass alles einmalig ist, auch Eindrücke einer Landschaft. In einem guten Moment hat man einen großen, tiefen Eindruck von einem Stück Natur, der haften bleibt, und verlangt nun von derselben Natur, dass sie beim wiederholten Betrachten auch den ersten Eindruck wiederhole. Das ist der Irrtum. Die Natur besteht für sich. Sie ist für den Betrachter immer das, was er aus ihr macht. ... Ja, ich glaube, die Natur gibt nur das Stichwort, den angehäuften Formungsdrang im Künstler zur Entladung zu bringen.“

Fortsetzung nach 1945
Wie nur wenige Künstler mit ihm, zu denen besonders Mollenhauer, aber auch Eduard Bischoff und einige andere ostpreußische Maler zu rechnen sind, hat Eulenstein mit seinem Schaffen nach 1945, obwohl fern von Nidden, die Tradition dieser Künstlerkolonie fortgesetzt. Das ist im europäischen Vergleich etwas Außergewöhnliches und gehört zur besonderen Bedeutung Eulensteins, die gerade auch in der Ausstellung in Memel wieder richtig entdeckt werden kann.

Entsprechend der sehr ungleichen Erhaltungssituation des Werkes von und nach 1945 zeigt die Ausstellung vor allem das spätere Werk von 1946 bis 1967. Beginnend mit einem sehr hellfarbigen, fast ein wenig zögernd gemalten Aquarell von Niddener Fischerhäusern kommen sehr bald kräftige Aquarellfarben auf und in der von Eulenstein bevorzugten Temperatechnik starke Farben und große, vereinfachende Formen. Menschen charakterisiert er in ihren Schicksalen. Zunehmend ringen Form und Farbe um die Vorherrschaft in den Bildern. Die Farbe gewinnt zuletzt. Dennoch geht Eulenstein nicht ins Abstrakte. Er bleibt den Menschen und Landschaften seiner Heimat treu, auch wenn er sie ab 1945 nicht mehr unmittelbar erleben konnte.


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