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Analyse

Sachsen und Thüringen zeigen, was in und mit Deutschland im Argen liegt

Die Landtagswahlen vom Wochenende erschüttern die Republik – und geben auf verschiedene Weise allen Parteien auf, ihren bisherigen Weg zu überdenken

Werner J. Patzelt
04.09.2024

Offiziell fanden am Wochen-ende in Sachsen und Thüringen nur Regionalwahlen statt. Gleichwohl sind ihre Ergebnisse – nicht zuletzt aufgrund ihrer Deutlichkeit – auch bundesweit von Bedeutung. So zeigen die Wahlen, zu welchen Folgen das jahrelange Ignorieren und Treibenlassen gravierender Probleme geführt hat und wohin es noch führen wird. Die wichtigsten Erkenntnisse lassen sich in zehn Punkten zusammenfassen:

Erstens wurde bestätigt, dass die „Ampel“ klar an den Wünschen des Volkes vorbei regiert. In beiden Ländern erreichten SPD, Grüne und FDP zusammen weniger als die Hälfte jener Stimmen, die AfD und CDU je für sich allein errangen. So dramatisch wird es im Westen bei kommenden Wahlen zwar nicht kommen. Doch zeigt sich seit Jahren im viel weniger stabilen Osten der Republik, was an Wandel auch auf den Westen zukommen dürfte.

Zweitens ist nun offensichtlich, wie nachteilig es sich für die Union auswirkt, dass sie durch die Migrationspolitik der eigenen Kanzlerin Merkel die AfD so groß werden ließ. In der Hoffnung, man könne durch Verleumdung jener Partei Wähler vom Stimmkreuz für die AfD abhalten, wurde viel zu wenig zur Lösung des Migrationsproblems getan. Bemühungen, ehemalige Unionswähler zurückzugewinnen, gab es erst recht nicht. Nun ist die Union fast überall zu schwach für Koalitionen mit nur einer einzigen anderen Partei – und wird so in Bündnisse gezwungen, die vor fünf, sechs Jahren noch als undenkbar gegolten hätten.

Die „Mutter aller Probleme“
Drittens wird die unkontrollierte Zuwanderung nun endlich als „Mutter aller innenpolitischen Probleme“ erkannt. Seit immer neue Untaten durch Migranten sich nicht mehr als „Einzelfälle“ abtun lassen, werden Korrekturen – wenn auch in unterschiedlicher Konsequenz – von fast allen Parteien verlangt. Damit dürfte die nächste Bundestagswahl zu einer Art Volksabstimmung über Deutschlands Migrationspolitik werden.

Viertens könnte auch die AfD erkennen, dass sie ihre Stärke allein ihren populären politischen Positionen verdankt, nicht aber jenen radikalen Tonfällen, mit denen so viele AfDler ihre Sache vertreten. Auch als Wahlsiegerin bleibt die AfD ohne Regierungsmacht, weil sie selbst allzu viele Gründe dafür geliefert hat, dass niemand mit ihr ein Bündnis einzugehen gedenkt. Solange die AfD ihren bisherigen Kurs fortsetzt, wird sich daran nichts ändern.

Fünftens erweist sich für die CDU, dass die von ihr zum Schutz vor linken Angriffen hochgezogenen „Brandmauern“ gegen rechts zu Gefängnismauern geworden sind, in denen Deutschlands Linke die Union noch lange einschließen kann. Mit dem Ergebnis, dass die Union nur noch mit Parteien links von sich koalieren kann. Die breite Bevölkerungsmehrheit wird so auch weiterhin nicht durch eine entsprechende Regierung repräsentiert werden, was den Riss zwischen Volk und Politik weiter vergrößert.
Sechstens beginnen die Grünen zu ahnen, dass ihre Politikziele zunächst an der Wirklichkeit und sodann an den Wählerwünschen zerschellen, sobald sie von unverbindlichen Visionen zu konkreten Rechtsvorschriften werden. Vielleicht kommen deshalb nun grüne Wandlungsprozesse in Gang wie in den 1950er Jahren bei der SPD, als diese immer wieder gegen die Union verlor, bis sie mit dem Godesberger Parteitag von 1959 mehr Realismus wagte. Gehen die Grünen keinen solchen Reformweg, werden sie verkümmern wie die FDP.

Verzweifelte Wähler
Siebtens zeigt das rasche Wachstum des BSW, wie verzweifelt ein Großteil der Wähler mit den etablierten Parteien ist. Ganz untypisch für deutsche Parteistrukturen konnte in kurzer Zeit eine um eine charismatische Einzelperson herum errichtete Kraft entstehen. Die Migrations- und die Friedenspolitik waren jene Themen, um die herum in linken Gefilden eine Repräsentationslücke aufriss, die es zuvor nur auf der rechten Seite des Parteienspektrums gegeben hatte. Dass man offenbar sowohl als Linker wie auch als Rechter eine vernunftgeleitete Migrationspolitik wünschen kann, mag dazu beitragen, dass diese Thematik nicht länger tabuisiert, sondern als zu lösende Herausforderung erkannt wird.

Achtens ist die Zeit vorbei, in der „jung“ und „links/grün“ als zusammengehörig galten. Wie schon bei der Europawahl schnitten unter den jungen Wählern AfD und CDU am besten ab. Offensichtlich bekommen junge Leute in ihrem Alltag die harten Realitäten der multikulturellen Gesellschaft genauer mit als jene Minderheit in der linksgrünen Echokammer sozial- und geisteswissenschaftlicher Universitätsfächer. Büßt ein Komplex politischer Visionen aber erst einmal seine Attraktivität bei jungen Leuten ein, so gehen die Zeiten kultureller Hegemonie immer schneller vorbei.

Neuntens dürften sich die grundlegenden politischen Meinungsunterschiede bei der Wirtschafts-, Sozial-, Renten-, Energie-, Umwelt- und Militärpolitik so schnell nicht auflösen. Womöglich gelingt einem künftigen Kanzler eine Befreiungsaktion wie einst Gerhard Schröder mit den Agenda 2010-Reformen. Diese machten Deutschland vor gut zwanzig Jahren vom „kranken Mann“ Europas zum wirtschaftlichen und politischen Kraftwerk des Kontinents. Doch auf allzu vielen Gebieten befindet sich unser Land in einem üblen Zustand, weshalb es wohl eher am Beginn einer erst noch zu bewältigenden Krise als an einem Übergang zu neuer Normalität steht.

Zehntens sind das alles keine guten Nachrichten für unsere Partner in Europa. Somit wird eine umsichtige deutsche Führungsrolle – wo es sie überhaupt noch gibt – nicht durch gute Politik im eigenen Land beglaubigt. Daran sind deutsche Regionalwahlen zwar nicht schuld. Doch sind deren Ergebnisse deutliche Alarmsignale für vieles, was in und mit Deutschland im Argen liegt.


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Kommentare

Valentina Selge am 06.09.24, 14:44 Uhr

Tatsächlich hat mir eine Grüne bestätigt, dass sie das, was die RAF-Terroristen gemacht hatten, wirklich gut findet.
Ich fragte, ob sie die Toten auch gut findet? Nein, die Toten nicht aber die Idee.
Die Idee, die Demokratie anzugreifen, wird also gut gefunden.
Die Ostdeutschen hatten sich die Demokratie erkämpft, das steht im krassen Widerspruch zur "grünen Idee".
Ich halte diese Regierung für eine Psychogruppe, die einer Ideologie von vorgestern folgt.
VW zieht sich zurück, die Meyerwerft wird verstaatlicht.
Die Trecker waren schon ein Alarmsignal an die Regierung, aber sie haben das beharrlich ignoriert.
Dann folgte ein Anschlag auf Tesla, Tesla zog sich zurück.
Jetzt werden die Ostdeutschen pauschal ignoriert, weil sie nicht der Ideologie von Vorgestern folgen wollen.
Es scheint sich bei dieser Regierung um eine Psychogruppe zu handeln. Die ziehen ihre wahnsinnige Idee von Vorgestern durch. Nun zieht sich auch VW zurück.
Sie sitzen da und ignorieren das.

Ulrich Bohl am 04.09.24, 13:04 Uhr

Die gewollte Begriffsstutzigkeit der Politiker ergänzt dass immer stärker zu Tage tretende niedrige Niveau dass zum Standard der deutschen Politikerklasse geworden ist. Es wurde von der einzigen wahren Oppositionspartei im Bundestagso deutlich vorgetragen, dass jeder auch noch so geistig Unterpreviligierte es verstehen mußte. Dass
lässt den Schluß zu, man will nicht den Bürgerwillen er-
füllen sondern eigene irreale Vorstellungen von einer
s.g. bunten Gesellschaft durchsetzen. Die Quittung
für diese Politik ist noch nicht hart genug damit sogar Politiker sie verstehen. Man will Koalitionen bilden
die überhaupt nicht zusammen passen. Also weiter
so. Ein zweites 1989 diesmal für ganz Deutschland
rückt immer näher. Die Brandmauer wird auch in 50
oder 100 Jahren noch bestehen wenn es die etablierten
Parteien dann noch geben sollte. Das Ende nach der
legenderen Aussage Honeckers ist bekannt. Es ging sehr schnell

Max Müller am 04.09.24, 09:00 Uhr

>Diese machten Deutschland vor gut zwanzig Jahren vom >„kranken Mann“ Europas zum wirtschaftlichen und >politischen Kraftwerk des Kontinents.

Dies mag der Wirtschaft gedient haben, und Jobs "geschaffen" allerdings auf sehr niedrigem finanziellem Niveau.
In Sachen Wohlstand stehen die Deutschen in Europa im unteren Mittelfeld. Der Euro tat sein Übriges dazu.

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