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Sah das Grauen kommen: Joseph Conrad
Foto: IMAGO/Gemini CollectionSah das Grauen kommen: Joseph Conrad

Literatur

Scharfer Blick ins Herz der Finsternis

In der Ukraine geboren, hasste er die Russen – Vor 100 Jahren starb der Autor Joseph Conrad

Harald Tews
02.08.2024

Noch hört man nichts davon, dass die Ukraine Joseph Conrad hoch in Ehren hält. Dabei hasste der 1857 als Józef Teodor Nałęcz Konrad Korzeniowski im ukrainischen Teil des Zarenreichs geborene Autor die Russen, als wäre er im Krieg mit ihnen gewesen. Zur Bildung eines ukrainischen Nationalbewusstseins taugt die kulturelle Vereinnahmung dieses Schwergewichts der Literatur jedoch kaum.

Conrad, wie er sich als Autor später nennen sollte, besaß viele Nationalitäten. Die ukrainische war die wenigste davon, denn er gehörte der polnischen Minderheit an, die seit der zweiten Teilung Polens unter russische Herrschaft kam und dort unterdrückt wurde. Sein Vater, ein polnischer Patriot, und seine Mutter bekamen das zu spüren. Sie starben an den Folgen einer Verbannung in den Norden Russlands.

Mit elf war Conrad Vollwaise, mit16 Seemann und mit 37 Schriftsteller. Russischen respektive ukrainischen Boden betrat er nie wieder. Er wurde Brite und brachte ähnlich wie später Vladimir Nabokov das Kunststück fertig, in einer anderen als seiner Muttersprache literarische Klassiker zu erschaffen: in Englisch.

Seine Erzählung „Herz der Finsternis“ ist fest im Kanon der englischen Literatur verankert. Die Fahrt eines kleinen Dampfers im labyrinthischen System eines afrikanischen Stroms von der Mündung bis nahe der Quelle erleben die Leser wie die Reise zu den eigenen Dämonen. Denn das Ziel ist eine abgelegene Handelsmission, in der ein Elfenbeinhändler auf tyrannische Weise über einen afrikanischen Stamm herrscht. Die Kolonialismuskritik ist nicht zu übersehen. Ganz Europa, so heißt es bei Conrad, trug zur Entstehung des brutalen Händlers bei, der englische und französische Wurzeln hat. Dass er mit Kurtz einen deutschen Namen trägt, tut ein Übriges. Tatsächlich könnte Kurtz von Carl Peters, dem Begründer von Deutsch-Ostafrika, inspiriert worden sein, der auf grausame Weise gegen Aufstände vorgegangen sein soll.

Die Erzählung hat auch Filmemacher wie Francis Ford Coppola inspiriert, der 1979 in „Apocalypse Now“ den Stoff in den vietnamesischen Dschungel verlegte und die Kritik an die westlichen Eroberer geschickt mit dem Vietnamkrieg verknüpfte. Im Film ist es Marlon Brando, der als US-Colonel Walter E. Kurtz die legendären Schlusswörter der Erzählung spricht: „The horror! The horror!“ (Das Grauen! Das Grauen!).

Den Horror fataler Fehlentscheidungen hat Conrad später auch in seinem bekanntesten Roman „Lord Jim“ geschildert, in dem ein Seemann mit dem Trauma leben muss, ein Schiff und dessen Passagiere bei einer Havarie im Stich gelassen zu haben. Ein durchaus aktuelles Thema verarbeitete Conrad im Roman „Der Geheimagent“, in dem ein russischer Spion einen kleinen Londoner Ladeninhaber dazu verleitet, Anarchie im Westen zu verbreiten. Es ist, als hätte Putin seine Spione schon lange vor dem Ukrainekrieg losgeschickt. Doch so prophetisch konnte Conrad gar nicht gewesen sein: Er starb am 3. August 1924 nahe Canterbury im englischen Bishopsbourn.

Buchneuerscheinungen: Conrad, Herz der Finsternis, Diogenes, Zürich 2024, gebunden, 256 Seiten, 15 Euro; Conrad, Nostrodomo. Roman, Manesse, München 2024, gebunden, 560 Seiten, 38 Euro


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