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Der umtriebige Unternehmer und Mäzen machte Kaffee koffeinlos und die Böttcherstraße zum Kunstwerk
Ludwig Roselius passt in keine Schublade. Politisch ist er schwer zu verorten. Von seinem Bekanntenkreis auf seine politische Ausrichtung zu schließen, ist kaum möglich. Anschaulich formulierte es der sozialdemokratische Journalist Alfred Faust 1925 zu Roselius' 50. Geburtstag in der „Bremer Volkszeitung“: „Er ließ sich von verschuldeten Königen und von notleidenden Kommunisten anpumpen; er korrespondierte mit dem Hakenkreuz-Grafen Reventlow und mit dem Juden Rathenau, mit Wilson und König Ferdinand, mit Stresemann und Kakowski (als die rumänischen Delegierten vom Internationalen Hamburger Sozialistenkongreß zurückkehrten, besuchten sie nicht die Partei, sondern Roselius). Hatte er in Holland Geschäfte, so lud ihn der tennisspielende Exkronprinz zu sich, und als er in Bremen zurück war, lud er den roten Präsidenten Ebert zu Gast. Der Sozialdemokrat und Bodenreformer Emil Felden war ihm ein ebenso erwünschter Gesprächspartner wie der deutschnationale Hilfstrompeter Freiherr v. Hünefeldt.“
Ludwig Gerhard Wilhelm Roselius spiegelt die Vielfalt der Interessen und das hohe Engagement in seiner Familie wider. Sein Bruder Friedrich war Kaufmann, sein Neffe Ernst Kommunikationswissenschaftler und Autor, seine Cousine Marie Pädagogin, seine Tochter Hildegard Zeichnerin und Schriftstellerin, sein Vater Dietrich Friedrich Rennig Kaffee-Importeur. Und durch die Bank haben sie sich in ihrem Metier einen Namen gemacht.
Kaffee HAG folgte Kaba
Konventionell war an dem am 2. Juni 1874 geborenen Bremer wenigstens, dass er beruflich in die Fußstapfen seines Vaters trat. Wie in diesen Kreisen üblich, machte Roselius nach dem Besuch der Handelsschule eine Lehre bei einem Geschäftsfreund des Vaters. In diesem Falle war das Ernst Grote, der in Hannover eine Kolonialwarenhandlung und Kaffeerösterei betrieb. Nicht unbedingt typisch war, dass Roselius neun Jahre nach Aufnahme der Lehre die zweite Tochter seines Lehrherrn heiratete, Anna Grote.
Wiederum typisch war, dass er nach dem Abschluss der Lehre 1893 im väterlichen Geschäft zu arbeiten begann und nach ein paar Jahren Teilhaber wurde. Letzteres geschah 1897. Ein halbes Jahrzehnt später starb der Vater. Dessen frühen Tod mit erst 59 Jahren führten die Ärzte vor allem auf starken Koffeingenuss zurück. Der Sohn entwickelte daraufhin ein Verfahren, Kaffee zu entkoffeinieren. 1906 ließ er es sich patentieren und gründete zu dessen kommerzieller Nutzung mit anderen Bremer Großhändlern die Kaffee-Handels-Aktiengesellschaft (Kaffee HAG).
Das Namenskürzel der Gesellschaft ging auf dessen Produkt über. Roselius hatte mit dem koffeinfreien Kaffee HAG nicht nur ein modernes Produkt entwickelt, er führte mit Fließbandfertigung auch moderne Produktionsweisen und mit Kinowerbung schon zu Stummfilmzeiten auch moderne Werbemethoden ein. Für die Produktion von Werbemitteln gründete er 1921 einen eigenen Verlag, den Angelsachsen-Verlag, der sich allerdings auch Roselius' Hobby und Leidenschaft widmete, der Kunst. Es entstanden moderne Werbesprüche wie „Stahlharte Nerven durch Sport und Kaffee HAG“ oder „Immer unschädlich! Immer bekömmlich!“ Roselius' Kaffeereich expandierte enorm, und das auch international.
Einen entsprechenden Schlag ins Kontor bedeutete der verlorene Erste Weltkrieg samt der Enteignung des deutschen Auslandsvermögens durch die zahlreichen Feindstaaten. Roselius gelang jedoch der Wiederaufstieg, und sein Kaffee HAG ließ ihn in der Zwischenkriegszeit zum größten Kaffeeröster der Welt aufsteigen.
„Ein Versuch, deutsch zu denken“
1929 kam Roselius mit einem weiteren neuen Produkt auf den Markt: Kaba. Das Instant-Kakaopulver war zwar nicht so innovativ wie Kaffee HAG, doch wurde es ähnlich berühmt und existiert bis heute. Der Tausendsassa engagierte sich auch im Flugzeugbau. 1923 gründete er mit zwei weiteren Bremer Kaufleuten sowie Heinrich Focke als Konstruktionsleiter, Georg Wulf als Erprobungsleiter und Werner Naumann als kaufmännischem Leiter die Focke-Wulf-Flugzeugbau AG. Er selbst übernahm den Aufsichtsratsvorsitz.
Mit seinen Gewinnen engagierte sich der Unternehmer als Mäzen, wobei er sein kulturelles Engagement als Werbung verstanden wissen wollte. Das berühmteste Werk des Förderers von expressionistischen Künstlern wie Paula Modersohn-Becker und Bernhard Hoetger ist sicherlich der Aufbau der Böttcherstraße in seiner Heimatstadt Bremen als Kunstwerk.
Sein Kunstverständnis hatte auch Einfluss auf das Verhältnis zwischen ihm und den ab 1933 in Deutschland herrschenden Nationalsozialisten. Roselius hielt sein Kunstverständnis mit dem nationalsozialistischen für kompatibel, die Nationalsozialisten taten es nicht. „Die Wiedererrichtung der Böttcherstraße“ war für Roselius „ein Versuch, deutsch zu denken“. Für Adolf Hitler war die Böttcherstraße ein Beispiel für „entartete Kunst“. Die Nationalsozialisten verzichteten jedoch darauf, den in der Weltwirtschaft gut vernetzten und ihnen ja grundsätzlich positiv gegenüberstehenden Unternehmer zu verfolgen oder die Böttcherstraße zu vernichten. So konnte es passieren, dass 1936 Hitler auf dem Reichsparteitag erklärte, dass „der Nationalsozialismus diese Art von Böttcherstraßen-Kultur schärfstens“ ablehne, aber deren Förderer Roselius zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung im Münchner Haus der Deutschen Kunst als Ehrengast eingeladen wurde. Mitten im Zweiten Weltkrieg, am 15. Mai 1943, starb Ludwig Roselius in der Reichshauptstadt.