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Nackte Tatsachen im Museum Barberini: Zwei Aktgemälde Modiglianis messen sich selbstbewusst mit einem Werk von Pablo Picasso (r.)
Foto: David von BeckerNackte Tatsachen im Museum Barberini: Zwei Aktgemälde Modiglianis messen sich selbstbewusst mit einem Werk von Pablo Picasso (r.)

Kunst

Schöpfer eines neuen Menschenbildes

Über den Maler Amedeo Modigliani gibt es viele Vorurteile, wie eine Ausstellung im Potsdamer Museum Barberini zeigt – Sicher ist, dass ihm einzigartige Einblicke in die Seele gelangen

Silvia Friedrich
23.05.2024

Amedeo Modigliani sei „einer der weltweit meistgefragten Künstler“. Diese Feststellung traf Christiane Lange, Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, deren Haus sich glücklich schätzt, zwei Gemälde und eine Papierarbeit des italienischen Künstlers zu besitzen. Diese Werke sind neben Leihgaben aus zwölf Ländern, darunter von etlichen Privatleihgebern, nun auch im Potsdamer Kunstmuseum Barberini zu betrachten.

Die in Zusammenarbeit mit den Stuttgartern entstandene Schau „Moderne Blicke“ distanziert sich vom Image des drogenabhängigen Lebemanns und richtet einen neuen Blick auf den Ausnahmekünstler. Jede Präsentation seiner Werke, so auch in der Bundeskunsthalle in Bonn 2009, befasste sich mit dem Pariser Umfeld des Malers. Die Kuratoren Ortrud Westheider, Direktorin des Barberini, und Lange wollten dieses ändern und sein Œuvre im Kontext der Kunstentwicklung in ganz Europa zeigen. Für Lange war es anfangs nur ein Gefühl, was sich aber bei näherer Betrachtung als richtig herausstellte. Modigliani ist keineswegs isoliert in seinen Arbeiten, sondern Teil des Zeitgeistes eines neuen Menschenbildes während des Ersten Weltkriegs und danach, der viele Künstler der Ära verbindet.

In der Gegenüberstellung mit Werken anderer zeitgenössischer Maler spüre man diesen Zeitgeist, sagt Lange. So sind neben den 56 Porträts und Aktbildern, die Modigliani in Paris in der Zeit von 1907 bis 1919 erschaffen hat, 33 Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen von Paula Modersohn-Becker, Egon Schiele, Gustav Klimt, Wilhelm Lehmbruck, Jeanne Mammen, Pablo Picasso, Natalja Gontscharowa und Ernst Ludwig Kirchner aus­-gestellt.

Das Œuvre Modiglianis ist aufgrund seines frühen Todes mit 35 Jahren sehr schmal, jedoch werden die Bilder dauernd angefragt. Wie so viele seiner Zunft, war Modigliani zu Lebzeiten verarmt. 2015 wurde sein Aktgemälde „Nu couché“, (1917) beim Auktionshaus Christie's in New York für die damalige Rekordsumme von 170,4 Millionen US-Dollar versteigert.

Die auf zwei Etagen platzierte Ausstellung empfängt die Besucher im ersten Saal mit einem fast lebensgroßen Foto des Malers in seinem Atelier in Paris. Es erscheint so lebendig, als ob er die Besucher gleich selbst begleiten würde.

Der allenthalben als äußerst gut aussehend beschriebene Maler wurde 1884 in eine liberale, jüdische Familie in Livorno/Toskana geboren. Schon als Kind sehr kränklich, unterstützte ihn seine Mutter in dem Wunsch, Maler zu werden. Er ließ sich in Florenz und Venedig in klassischer Malerei ausbilden und ging 1906 nach Paris, ins Zentrum der damaligen Avantgarde-Kunst, wo er in Kontakt geriet mit Pablo Picasso und dem Bildhauer Constantin Brâncuși, der seine Begeisterung für Skulpturen hervorrief. Von 1909 bis 1914 widmete er sich hauptsächlich der Bildhauerei, in der er auch Motive aus der afrikanischen Kunst aufgriff. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes kam er danach zur Malerei zurück.

Langgestreckte Körper, lange Hälse und Mandelaugen, zumeist ohne Pupillen – er behauptete, dass immer ein Auge des Menschen nach innen und eines nach außen schaue – sind sein Markenzeichen. Die Ausstellung zeigt zunächst die vielen Porträts der Menschen, die ihn umgaben. Diese Werke machen neben den Aktbildern den Hauptteil seines Werkes aus.

Der Italiener interessierte sich für den Menschen, nicht für das Drumherum. So sind die Werke hart angeschnittene Nahaufnahmen, ohne Ansehen von Herkunft oder Stand, wie es in der späteren neuen Sachlichkeit wichtig wurde. Auch malte hier kein Mann mit voyeuristischem Blick, sondern ein Künstler, der seinen Modellen auf Augenhöhe begegnete, auch bei den Akten.

Skandalöse Freizügigkeit
Als Erster nahm Modigliani Frauen mit Kurzhaarschnitt, Hosen und Krawatte wahr, die „femmes garçonnes“, die „Mannsweiber“, die sich mit ungewohntem Selbstbewusstsein durch Paris bewegten. Porträts dieser Frauen, die man eher in den 1920er Jahren angesiedelt hätte, sind in der Schau zu sehen, wie das der Buchhändlerin Elena Povolozky von 1917.

Die geheimnisvollen Augen machen seine Werke populär. Sein Stil vereint Elemente von Expressionismus, Kubismus, Fauvismus und Abstrakter Kunst. Er verstand es, zeitlose Schönheit zu erschaffen, ganz nach dem Vorbild der alten Meister der Renaissance.

Seine einzige Einzelausstellung in Paris 1917 schloss die Polizei wegen der ausgestellten weiblichen Akte. Doch schockierten nicht sie als solche, sondern die Tatsache, dass Modigliani hier keine überhöhten Figuren präsentierte, sondern „echte“ Menschen mit Schambehaarung, aber vor allem mit ungewohnt selbstbewusstem Blick.

Erstmals sind nun auch Briefe von ihm ausgestellt und ein Faltblatt der Skandalschau von 1917, das damals als „Ausstellungskatalog“ fungierte.

1917 lernte Modigliani die junge Jeanne Hébuterne kennen, die er häufig malte wie in dem im Barberini gezeigten Gemälde „Jeanne Hébuterne im gelben Pullover“ (1919). Beide gingen 1918 aufgrund der Gefahr herannahender deutscher Truppen nach Südfrankreich, wo ebenfalls etliche Werke entstanden. Zurück in Paris konnte der Künstler sich an Ausstellungen in London und New York beteiligen. Er starb am 24. Januar 1920 an Tuberkulose, seine Verlobte Jeanne sprang zwei Tage später hochschwanger aus dem fünften Stockwerk eines Hauses in den Tod.

Man sollte sich Zeit nehmen, Modiglianis Werke zu betrachten, um sich von den allgegenwärtigen Blicken, die von den Bildern auf die Besucher gerichtet sind, fesseln zu lassen. Seine Werke lassen niemanden unberührt. Hier arbeitete ein bahnbrechender Schöpfer akribisch an zukunftsweisenden Meisterwerken. „Wenn ich deine Seele kenne, male ich deine Augen“, soll sein Leitspruch gewesen sein.

„Modigliani. Moderne Blicke“ läuft bis 18. August, geöffnet täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr. Der Ausstellungs­katalog (Prestel Verlag, München 2023, 256 Seiten) kostet im Museum 39,90 Euro und im Buchhandel 45 Euro www.museum-barberini.de


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