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89 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind Solo-Selbstständige oder Freiberufler – Mehr als eine halbe Million haben bereits aufgegeben
Die Überschriften verheißen nichts Gutes, wenn man auf die Internetseite des Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo schaut. „Selbstständige gehen mutlos ins neue Jahr“ und „Düstere Aussichten für Selbstständige“ lauteten die Schlagzeilen des „Jimdo-Ifo-Geschäftsklimaindex“. Um die Sichtbarkeit von Soloselbstständigen und Kleinstunternehmen zu erhöhen, veröffentlicht das Ifo-Institut seit Dezember 2021 die neue Forschungsreihe: Die jüngste Erhebung heißt: „Jedem zweiten Selbstständigen fehlen Aufträge.“
Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland ist düster. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnet für das laufende Jahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent. Bestätigen sich die düsteren Prognosen, wäre dies die längste Flaute seit Bestehen der Bundesrepublik. Das macht natürlich auch vor den Selbstständigen nicht halt. Fast genau jeder zweite befragte Selbstständige klagte im Januar über zu wenig Aufträge. Damit ist der Anteil deutlich über dem in der Gesamtwirtschaft, der bei gut 40 Prozent lag. „Der Auftragsmangel bleibt ein zentrales Problem“, sagte Ifo-Expertin Katrin Demmelhuber. Das Geschäftsklima für die Selbstständigen und Kleinstunternehmen hatte nach der Auswertung des Instituts bereits zu Jahresbeginn einen neuen Tiefstand erreicht. Der Index sank um mehr als sechs Punkte auf -24,9 Punkte. „Der wirtschaftliche Sinkflug setzt sich fort“, erklärt Demmelhuber. Der Index setzt sich aus der Bewertung der Geschäftslage und der Erwartungen für die Zukunft zusammen. Lediglich die Erwartungen fielen nicht ganz so pessimistisch aus wie zuletzt, sie sind aber, vorsichtig formuliert, immer noch bescheiden.
Der Vorstandsvorsitzende des Hamburger Internetdienstleisters Jimdo, der die Forschungsreihe des Instituts finanziert, Matthias Henze, formuliert es drastisch: „Die neuen Daten zeigen, wie dramatisch die Lage der Selbstständigen ist. Ähnlich wie in der Corona-Krise sind sie überproportional betroffen – nur dass es diesmal kaum jemand wahrnimmt. Während Corona haben wir 430.000 Selbstständige verloren. In der aktuellen Wirtschaftskrise dürfte die Zahl noch höher liegen. Das ist kein Weckruf mehr. Das Haus steht bereits in Flammen.“
Der Auftragsmangel ist aktuell die größte Herausforderung für Kleinstunternehmen: 50,5 Prozent der Selbstständigen berichten im ersten Quartal von fehlenden Aufträgen – so viele wie noch nie seit Beginn der Erhebungen. Auch Finanzierungsengpässe treten häufiger auf als im Vorquartal, während angebotsseitige Hindernisse wie Arbeitskräftemangel oder fehlende Kapazitäten zurückgehen.
Selbstständige als wichtige Säule
Auch im Dienstleistungssektor erreichte der Klimaindikator einen Tiefpunkt. Die Geschäftslage verschlechterte sich spürbar mit rückläufigen Umsätzen und schrumpfenden Auftragsbeständen. Positive Entwicklungen gab es bei IT-Dienstleistern, im Grundstücks- und Wohnungswesen sowie in der Reisebranche, während sich das Klima im Einzelhandel deutlich eintrübte. Andreas Lutz, Vorstand des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), forderte im Hinblick auf die anstehenden Bundestagswahlen einen massiven Kurswechsel: „Die Zahlen zeigen, wie wichtig eine Wende in der Wirtschaftspolitik ist – besonders für Solo- und Kleinstunternehmen. Wir hoffen, dass von dem Wahlergebnis ein Aufbruchssignal für die gesamte Wirtschaft ausgeht.“ Nach dem Ende der Ampel-Koalition zog er ein bitteres Fazit: „Die Ampel hat viel versprochen, aber nichts geliefert. Wir sind die Vergessenen.“
Selbstständige werden gerne als die Unterschätzten der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Kleinunternehmen, SoloSelbstständige und Freiberufler machen 89 Prozent aller Unternehmen in Deutschland aus – mit insgesamt acht Millionen Beschäftigten. Das sind zehnmal so viele wie in der Automobilindustrie. Zahlen der Industrie- und Handelskammer zeigten zuletzt aber einen besorgniserregenden Trend. Im vergangenen Jahr erreichte das Gründungsinteresse einen historischen Tiefstand. Führte sie 2013 noch mehr als 300.000 Gespräche mit potentiellen Einsteigern, waren es im abgelaufenen Jahr nur noch 150.000. „Hohe Rechtsunsicherheit, Bürokratie und ein weit verbreitetes negatives Narrativ über uns machen die Selbstständigkeit in Deutschland unattraktiv“, sagt Lutz. Mit Rechtsunsicherheit spielte er auf die sogenannte Scheinselbstständigen-Problematik an. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete kürzlich, dass tausende Selbstständige in Wahrheit abhängig beschäftigt seien, ohne es zu wissen. Auftraggebern drohen horrende Nachzahlungen an die Sozialversicherung. Für Unternehmen sei es mittlerweile ein unkalkulierbares Risiko, Freiberufler zu engagieren. Auch das dürfte die Lust auf eine selbstständige Berufsausübung nicht unbedingt erhöhen.