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Von Zeremonien aus alter Zeit, Wetterregeln, Nyejar-Backwerk und allerlei Gepflogenheiten zum Jahreswechsel
Zu keiner anderen Jahreszeit haben sich so viel überlieferte Bräuche erhalten wie zur Weihnachts-, Silvester- und Neujahrszeit. Es ist spannend zu lesen, wie diese sich über die Jahrhunderte erhalten haben, allerdings auch einem Wandel und dem Zeitgeschmack unterworfen waren. Dank des Stralsunders Gunnar Möller und seinem Buch „Weihnachten und Neujahr im alten Vorpommern“ können wir in die „Alte Zeit“ eintauchen, dem Vergessen entrissen.
Wetterregeln
Bei der ländlichen Bevölkerung waren natürlich die Wetterregeln bestimmend, denn dadurch wurde die kommende Ernte bestimmt. Es wurden zum Beispiel diese Wetterregeln überliefert: „Sylvesters Nachtwind un Sünnenschien verdarwt die Hoffnung up Kurn un Wien – Silvester Nachtwind und Sonnenschein verdirbt die Hoffnung auf Korn und Wein“. „Is Nijohr ahn Storm un Rägen, bliwwt Gott nich ut mit Glück un Sägen – Ist Neujahr ohne Sturm und Regen, bleibt Gott nicht aus mit Glück und Segen“. „Nijohrs Morgenrot makt oft väl Not – Neujahrs Morgenrot macht oft viel Not“. Auch in den „Zwölfnächten“ vom 25. Dezember bis 6. Januar umgab unsere Ahnen der Zauber der Weissagung, der sich im Volksglauben noch bis heute für diese Zeit erhalten hat.
Das Nyejar-Backwerk
Im alten Vorpommern glaubte man, der unheimliche sagenumwobene „Wode“ geht mit seinem Gefolge um und treibt sein Unwesen, deshalb beging man den Jahreswechsel lieber zu Hause. Der Stralsunder Bürgermeister Franz Wessel (1487–1570) hielt die vorreformatorischen Gebräuche zum Jahreswechsel fest. Es wurde berichtet, dass zusammen gebacken und geschwelgt sowie „dull unde vull“ ins neue Jahr gegangen wurde. Zur Tradition gehörte es auch, am Neujahrsabend „Neujahr“ zu backen. Das „Nyejar“ genannte Backwerk wurde zum Teil bis zur Ernte aufgehoben und dem Mäher zur Arbeit mitgegeben, damit er ohne Verdruss tätig sein konnte.
Neujahrsbacken war auf dem flachen Land noch weit bis in die Neuzeit hinein ein Muss in der Mehrheit der pommerschen Familien. „Auf Rügen sagte man, dass man zu Sylvester die Hände in Mehl halten müsse, sonst essen die Zwerge, oder der Hausgeist Puck im nächsten Jahr mit“, berichtete noch 1917 der Volkskundler Otto Lauffer. Und das Mitessen bedeutete, im kommenden Jahr keine ausreichende Ernte einzufahren.
Von Saßnitz hieß es im ausgehenden 19. Jahrhundert: „ ...wenn man nicht backt, überhaupt nicht mit Mehl an dem Tage (Silvester) zu thun macht, wird alles Mehl im nächsten Jahr zu Asche“. Das noch heute übliche Pfannkuchenessen zu Silvester ist das letzte Überbleibsel dieses vielleicht schon vorchristlichen Brauchs. Sogar die beim Backen entstandene Holzasche war wichtig, man sprach ihr besondere Kräfte zu. Besondere Kräfte, die man durch das Bestäuben des Viehs auf dieses übertragen wollte.
Geschenke zum Jahreswechsel
In früheren Zeiten wurden übrigens die Erwachsenen nicht zum Weihnachtsfest, sondern zum Jahreswechsel beschenkt. Je nach Stand des Schenkenden fielen die Gaben doch recht üppig aus. „Darüber hinaus erhalten wir eine ungefähre Vorstellung, wer in der städtischen Oberschicht einer vorpommerschen Stadt des 16. Jahrhunderts welche Gaben verschenkte. Englische Kaufleute, die sich in Stralsund aufhielten, sandten Bürgermeister Gentzkow und seiner Frau zum Neujahrstag 1559 ein paar gekräuselte und ausgeschnittene Ärmel, zwei Nasentücher und zwei gerupfte und ausgenommene Kapaunen zu einer „gratulation des nien jars“. Im selben Jahr vermachte Gentzkows Mutter ihm ein Stübchen „Clarets“ (Würzwein), im Jahr darauf einen goldenen Ring. Handwerker und Klienten, die sich für Unterstützungen bedanken oder bei einflussreichen Gönnern das Wohlwollen sichern wollten, machten mit kleinen Aufmerksamkeiten, wie einem Paar Pantoffeln, einem großen Bäckerbrot oder einer Wildschweinkeule, ihre Aufwartung.
Der pommersche Herzog Barnim X. (1540–1603), der zunächst im Amt Rügenwalde, ab 1600 in Stettin regierte, führt in einem Ausgabenbuch detailliert auch Weihnachts- und Neujahrsgeschenke an Personen seines Hofes auf. 1601 gab der Herzog seiner Gemahlin Anna Maria von Brandenburg einen Portugieser zum „Neuen Jahr“ und am 1. Januar erhielt „Steffan Trumpters seynen Sohn 1 Goltgulden zu newen Jhare verehret“.
Zwei Jahre später bekam derselbe nochmals einen Taler zum neuen Jahr. Eheleute konnten sich noch im 18. Jahrhundert mit kleinen praktischen Geschenken zu Neujahr eine Freude bereiten, wie der Stralsunder Pastor Müller berichtete. Aus dem Tagebuch des Schweizer Theologen Johann Caspar Lavater (1741–1801), der 1763/1764 beim Barther Reformtheologen Johann Joachim Spalding weilte, geht hervor, dass man sich in Spaldings Haushalt zu Weihnachten offensichtlich nichts schenkte, sondern am Silvesterabend kleine Aufmerksamkeiten verteilte. Noch bis ins 19. Jahrhundert wurden von Weihnachten bis Silvester „Julklapp“-Geschenke übergeben. Auch das Versenden von teils aufwendigen Neujahrswünschen war üblich, von denen es eine Sammlung im Stralsunder Stadtarchiv gibt. Der älteste stammt aus dem Jahr 1596.
Das gemeinsame Feiern in größeren Gemeinschaften wurde populärer. Für das 18. Jahrhundert überlieferte der an der Greifswalder Universität als Bibliothekar tätige schwedische Theologe Jacob Wallenius (1761–1819), wie man in den gehobenen Kreisen seinerzeit in Schwedisch-Pommern den Jahresausklang und den Beginn des neuen Jahres beging. Am Neujahrstag 1799 erhielt Wallenius Besuch von der gesamten schwedischen Landsmannschaft der Universität, die ihm ihre Grüße übermittelte. Es wurde jetzt üblich, nach üppigem Festmahl mit lautem Gejohle durch die Stadt zu ziehen.
Bengalische Feuer
In Greifswald zogen Studenten zu Neujahrsumzügen mit Fackeln durch die Stadt zum Marktplatz, um dort Pechtonnen und Tannenbäume anzustecken. Diese erstmals für 1735 bezeugte Tradition wurde auch noch bis ins 19. Jahrhundert gepflegt, wie der Greifswalder Kaufmann und Schriftsteller Otto Wobbe in seinen Lebenserinnerungen wiedergibt: Von dem flachen Dache der „Rat=Apotheke“ ließ der Apotheker Ende des 19. Jahrhunderts bei allerhand festlichen Gelegenheiten bengalische Flammen auf dem Markt erstrahlen. Regelmäßig geschah das in der Neujahrsnacht, die damals noch ganz anders gefeiert wurde als in jüngerer Zeit. Auch hat er hat eine gute Beschreibung der singenden und beglückwünschenden Silvesterheischeumzüge der Greifswalder Jugend hinterlassen und bedauerte es schon 1919, dass diese nicht mehr stattfinden.
In Kamp bei Anklam am Peenestrom wurde noch bis in die 1930er Jahre zu Silvester eine Teertonne mit Heu gefüllt und auf das Eis oder die Wiese gestellt. Um Mitternacht zündete man die Tonne im Beisein der Bewohner des Dorfes an und wünschte einander alles Gute im neuen Jahr. Anschließend feierte man im Dorfkrug.
Fontane in Swinemünde
Etwas gesitteter ging es nach den Schilderungen Theodor Fontanes (1819–1898), der von 1827 bis 1832 in Swinemünde lebte, bei den dortigen Silvesterfesten der Bürger zu, die in Form eines „Ressourceballs“ für die städtischen Honoratioren stattfanden. Um Mitternacht kam dann der Nachtwächter in den Saal, blies in sein Horn und wünschte laut mit einem gereimten Spruch ein fröhliches Neujahr. Silvesterbälle waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert gerade in den Städten allgemein üblich.
Sehr viel tanzfreudiger als wir heutzutage bewegten sich unsere Altvorderen bei verschiedenen Volkstänzen, wie dem Kegel oder der Schwedischen Quadrille, auf dem Tanzparkett und natürlich wurde auch kräftig dem Punsch, Sekt oder Wein zugesprochen. Edmund Hoefer, Schwiegersohn des Gutsbesitzers Christian von Rodbertus auf Gransebieth bei Grimmen, verarbeitete 1856 seine dort gewonnenen persönlichen Eindrücke der Weihnachts- und Silvesterfeierlichkeiten, in seinem Roman „Schwanwiek“, und er schrieb zum Silvesterfest: Geschenke freilich gibt's nicht, dafür aber hat alle Lust und alle Ausgelassenheit freie Bahn. Silvesterbälle wurden jetzt veranstaltet, auf denen man sich in großer Garderobe amüsierte.
So „Neumodisch“ ging es meistens auf dem flachen Land und dort vor allem bei den einfacheren Leuten nicht zu. Die Zeitschrift „Sundine“ schilderte in ihrer Ausgabe vom 19. Januar 1832, dass alle Hausbewohner zu Silvester zu einem fröhlichen Abend mit Scherzen, Blei- oder Zinngießen und Kaffeesatzlesen zusammenkamen. Halb scherz-, halb ernsthaft erhoffte man sich aus dem Erkennen der gegossenen Metallteile oder dem Kaffeesatzdeuten Auskünfte für die Zukunft im neuen Jahr.
Herz oder Esel?
Heischeumzüge gab es auch zu Silvester. Noch im frühen 20. Jahrhundert kannte man in Vorpommern das Überbringen von Glückwünschen der jungen Leute gleich nach Mitternacht. In Gruppen zogen diese von Haus zu Haus. Mit Kreide schrieben sie an Türen und Fensterläden die neue Jahreszahl und malten, je nachdem, welche Gefühle sie der Familie des Hausherrn gegenüber hegten, ein Herz oder einen Esel dazu. Patenkinder suchten am Neujahrsmorgen ihre Paten und Großeltern auf, um ihnen alles Gute für das neue Jahr zu wünschen. Sie überreichten selbst geschriebene Glückwünsche und erhielten dafür ein kleines Geschenk. Wunsch und Gegenwunsch, Gabe und Gegengabe kennzeichneten somit den Jahreswechsel auch in Vorpommern, um das Übel hinaus- und das Glück hineinzulassen, wie Walter Bartz in seinen Aufzeichnungen über „Alte Neujahrsbräuche aus Vorpommern“ berichtete.
Heutzutage leben sporadisch einige Bräuche wieder auf, meistens in den Familien durch Erzählungen der Altvorderen erhalten. Fest steht, Traditionen zu Silvester und Neujahr haben einen eigenen Zauber, der jeden gefangen nimmt.
Die Anziehungspunkte heutzutage sind Feuerwerke, die das Neue Jahr begrüßen. Dabei sollte man sich unbedingt an den Höhenfeuerwerken der Städte erfreuen, die von Pyrotechnikern kunstvoll zusammengestellt werden – und ohne Pfannkuchen geht es auch nicht. Zudem gibt es in vielen Familien eigene Rituale.
Ein gutes, gesundes Jahr 2023!