26.10.2024

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Vergangenheitsbewältigung

Sinnieren über das Leben in der DDR

Mit unterschiedlichen Ansätzen nähern sich fünf Autorinnen der erlebten Geschichte

Dirk Klose
26.10.2024

Ist die deutsch-deutsche Gegenwart auch anders zu begreifen als immer nur in strengen Analysen? Zwei Bücher zeigen, wie erhellend auch andere Vorgehen sein können.

Die Filmemacherinnen Sabine Michel und Dörte Grimm hatten vor vier Jahren in „Generationsgespräche Ost“ Eltern und Kinder über ihr Leben erzählen lassen. Jetzt haben sie Großeltern und Enkel zusammengebracht, erste meist 80 Jahre und älter, die Jungen um die 20. In zehn Gesprächen geht es um das Leben in der DDR und nach der friedlichen Revolution. Es sind ganz unterschiedliche Lebensläufe, die Großeltern waren Ärzte, Bibliothekare, Arbeiter, Beschäftigte in der Landwirtschaft, die Jüngeren studieren meist schon.

Es sind arbeitsreiche, oft entbehrungsreiche Lebensläufe, wie man von den Älteren erfährt. Mehrere kamen 1945 als Kleinkinder aus dem Osten und erin-nern sich an die schweren Anfänge in der neuen Umgebung. Aber alle sagen auch, dass ihnen dann eine solide Ausbildung ermöglicht wurde. Wenn die Eltern zur Nomenklatura gehörten, hatten die Kinder Vergünstigungen, fühlten sich aber zugleich eingeengt.

Sehr unterschiedliche Urteile über die DDR
So fallen im Rückblick die Urteile auch unterschiedlich aus: „Wir lebten in einer unmenschlichen Diktatur“; „Die DDR war die beste Zeit meines Lebens“; „Wir wurden von der Stasi ausspioniert“; „Wir waren gewohnt, eingesperrt zu sein“; „Ich war in der SED, voll und ganz“; „Ich habe mich angepasst.“

Auch die Wende haben die Älteren ganz unterschiedlich aufgenommen: „Der Mauerfall war ein Aufatmen“ meint die eine, „Die Wende hat mir kein Glück gebracht“ der andere. Die großen Veränderungen gingen an den meisten nicht spurlos vorüber – Arbeitslosigkeit, Frühverrentung, ein Neuanfang oft in anderen Berufen – „Es war eine richtige Niederlage, nichts mehr wert zu sein.“

Die Autorinnen haben alles mit großer Sensibilität begleitet. Man mag bedauern, dass die Themen oft nur angerissen werden. Gleichwohl liest man sie mit großer Anteilnahme: Eine heute 73-jährige Frau hat schlimme Erfahrungen mit Kindesmissbrauch hinter sich: „Wenn es nicht diese wunderbare Fähigkeit gäbe, zu verdrängen, würde ich verrückt werden.“ Und ein heute fast 90-Jähriger sagt: „Ich mag nicht viel überlegen, dann kommt das immer alles hoch.“

Positive und negative Erfahrungen nach der „Wende“
Dann das zweite Buch: Ein vielleicht gar nicht so falsches Bonmot sagt, nur im Suff sei die Welt noch zu ertragen. Drei in Berlin lebende Frauen – Annett Gröschner, Schriftstellerin, geboren 1964 in Magdeburg, Peggy Mädler, Dramaturgin, geboren 1976 in Dresden, Wenke Seemann, Künstlerin, geboren 1978 in Rostock – handeln danach, bewaffnen sich mit ausreichenden Mengen aus der Spirituosenbranche („im Schrank von Annetts Büro stehen noch lauter übriggebliebene Alkoholika von der letzten Weihnachtsfeier herum. Die sollen jetzt endlich mal weg“) und debattieren in sieben Nächten an verschiedenen Orten stundenlang über Gott und die Welt.

Gott kommt dabei seltener vor. Doch unversehens werden die launigen Gespräche zu einer geistreichen Unterhaltung über Deutschland heute und zwangsläufig dann über Erhaltenswertes der DDR. Es geht um Fragen des Eigentums, um die Stellung der Frau früher und heute („wer sich nicht wehrt, kommt an die Kochinsel“), um Solidarität in der Gesellschaft, um Utopien als gesellschaftliche Antriebskraft oder um die heute teilweise bis zum Wahnsinn betriebene Körperkultur.

Ein Gespräch über Dialektik an einem See wird bei kalten Außentemperaturen durch langes Schwimmen unterbrochen. Vielleicht, weil in vielen Orten noch Erinnerungen an einstige DDR-Zeiten mit-schwingen, gehen die Gespräche gerade hier immer wieder zurück. Die Provinz im Osten, das viel zitierte „Tal der Ahnungslosen“, sagt die in Dresden geborene Mädler, kriegt man nicht aus sich raus: „Aussagen über Ostdeutsche verunsichern mich. Ich mag als Frau einigermaßen stabil sein, als Ostdeutsche bin ich es nicht.“ Aber Seemann relativiert: „Die Position der Ostdeutschen, die öffentlich sprechen, hat sich verändert. Wir dürfen jetzt reden. Das Selbstbewusstsein ist gewachsen.“

Geistreiche Unterhaltung über Erhaltenswertes der DDR
Alle drei Frauen sind im öffentlichen Raum tätig. Entsprechend schroff erleben sie die Härte der öffentlichen Auseinandersetzung, auch und gerade in den sozialen Medien. Es gebe, so Gröschner, für die, denen unterstellt wird, alles falsch gemacht zu haben, keine Gnade, bis hin, dass sich Angegriffene verbittert abwenden und wieder Sehnsucht „nach dem gepflegten Dualismus des Kalten Krieges“ haben. Darauf Mädler: „Ich sehne mich nach leiseren Tönen. Nach versöhnlichen Stimmen – mit Humor und Empathie für Perspektiven, die nicht die eigenen sind, nach suchenden, sich auch selbst befragenden Stimmen.“

Beim letzten Gespräch sitzen die drei Frauen in einem Haus im Oderbruch, das einer Cousine des westdeutschen Soziologen Niklas Luhmann gehört,was sie mit größtem Respekt erfahren. Dort resümieren sie ihr Denken: „Immer radikal, niemals konsequent. Oder meist zweifelnd, fragend, beobachtend. Manchmal zuversichtlich. Großzügig“.

Launige Gedanken über den idealen Staat
Und da sie alle drei mit Kunst und Literatur zu tun haben, nennen sie sich am Ende Autoren, die sie immer wieder gerne lesen: Uwe Johnson, Christa Wolf, Olga Tokarczuk, Christoph Hein. Mädler: „Bücher sind ein bisschen wie ein Zuhause, wo ich immer wieder ein und ausgehe.“ Auch bei diesem Buch kann man sich vorstellen, noch lange ein und aus zu gehen, auch wenn der ideale Staat vielleicht nicht ganz erreicht wurde.

Sabine Michel/Dörte Grimm: „Es ist einmal. Ostdeutsche Großeltern und ihre Enkel im Gespräch“, Bebra Verlag, Berlin 2024, 200 Seiten, broschiert, 20 Euro

Annett Gröschner/Peggy Mädler/Wenke Seemann: „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und grün-den den idealen Staat“, Hanser Verlag, München 2024, gebunden, 318 Seiten, 22 Euro


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