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„Geographische Psychologie“: Ein neuer Forschungszweig fördert Erstaunliches zutage über den Zusammenhang von Heimatregion und seelischer Verfasstheit von Menschen
Berliner haben eine große Klappe und Norddeutsche bekommen den Mund nicht auf. Sachsen reisen unentwegt und Schwaben sind sparsam oder gar geizig. Für Rheinländer ist das Leben ein einziger großer Karneval und Bayern ticken in jeder Hinsicht „traditionell anders“. Die Liste solcher Stereotype ließe sich schier endlos verlängern. Und tatsächlich gibt es Unterschiede in der Mentalität der Bewohner verschiedener Regionen – in Deutschland und auch anderswo. Das zeigen die empirischen Befunde einer relativ jungen Wissenschaftsdisziplin, deren offizielle Geburtsstunde im Jahre 2013 schlug, als Peter Jason Rentfrow vom Social Dynamics Research Center der Universität Cambridge sein Buch „Geographische Psychologie. Erforschung der Wechselwirkung von Umwelt und Verhalten“ veröffentlichte.
Seither lieferte die Geographische Psychologie einiges an Erkenntnissen. So konnte Olga Stavrova von der Universität Köln 2015 anhand der Auswertung von Messungen zur langfristigen subjektiven Stimmungslage zeigen, dass Neurotizismus, also die Neigung zu Stimmungsschwankungen bei gleichzeitigem Überwiegen von negativen Affekten und dauerhafter Unzufriedenheit, im städtischen Raum stärker verbreitet ist als auf dem Lande. 2018 wiederum untermauerte Martin Obschonka von der Queensland University of Technology diesen Befund durch Erhebungen in den ehemaligen Zentren der Kohlereviere von England und Wales. Anschließend untersuchte er 2019 die Verhältnisse in der Bundesrepublik. Dabei kam folgendes zutage: Südwestlich der Linie Köln-München ist der Neurotizismus schwächer ausgeprägt als im Rest des Landes, wobei die Südwestdeutschen sich auch tendenziell offener geben.
Angleichung an den Raum
2021 analysierte eine Arbeitsgruppe um Tobias Ebert von der Universität Mannheim regionale Unterschiede im Konsumverhalten der Briten. Dabei stellten die Psychologen beispielsweise fest, dass die Bewohner Londons mehr Geld für alkoholische Getränke und Reisen ausgaben als finanziell gleichgestellte Menschen in anderen Regionen der britischen Insel. Zugleich diagnostizierten sie in den durch einen stärkeren Neurotizismus geprägten früheren Hauptstädten des Kohlebergbaus eine relativ große Zurückhaltung bei Käufen aller Art, welche sich ebenfalls nicht aus der Einkommensverteilung erklären ließ. Das korrespondiert mit den Ergebnissen weiterer Studien: Ganz offensichtlich gibt es ein ganzes Bündel von Faktoren, welche die jeweilige psychische Grundverfassung der Bewohner eines speziellen Landstriches bedingen.
Da wäre etwa die lokale Sozialstruktur. Beispielsweise sind die Menschen in Städten oder Regionen mit überdurchschnittlich junger Bevölkerung aufgeschlossener. Dahingegen dominieren Zurückhaltung oder Streitsucht, wenn die lokale Kriminalitätsrate höher liegt als im überregionalen Durchschnitt.
Darüber hinaus spielt das Phänomen der Sozialen Ansteckung eine wichtige Rolle. Einstellungen und Stimmungen sowie letztlich auch Persönlichkeitseigenschaften breiten sich innerhalb der sozialen Netzwerke vor Ort aus. Das bewirkt die allmähliche Angleichung der Charaktere in einem bestimmten geographischen Raum. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass wir alle lieber mit solchen Personen interagieren, die unsere Ansichten oder Vorlieben teilen. Daraus resultiert dann wiederum die Bildung von organisatorischen Strukturen wie Vereinen, welche die mentale Homogenisierung vorantreiben. Dabei kann die Soziale Ansteckung auch negative Folgen haben, weil sie zum gegenseitigen Hochschaukeln führt. So fanden niederländische Forscher heraus, dass sich das Burnout-Syndrom unter Lehrkräften deutlich stärker verbreitet, wenn die Betroffenen ihre Sorgen und Nöte vor allem innerhalb der Schule thematisieren.
„Glücksritter“ oder Bodenständige
Der Homo sapiens wird zudem von der Gesellschaft „erzogen“, in der er aufwächst oder lebt. In diesem Prozess der Sozialisation übernimmt der Mensch die Normen, Werte, Einstellungen, Stereotype, Eigenschaften und charakteristischen Verhaltensweisen seines Umfeldes. Wenn jemand also von Natur aus unpünktlich und liederlich ist, aber im Alltag ständig vermittelt bekommt, dass dies unerwünscht sei, dann passt er sich entweder an oder verschwindet woandershin, wo sein Manko nicht als Problem empfunden wird. So entstehen räumlich begrenzte „Cluster“ bestimmter Charakterzüge. Auch sorgten die Migrationsströme der Vergangenheit für die Vorherrschaft bestimmter Persönlichkeitseigenschaften in bestimmten Landschaften.
Üblicherweise sind früher vor allem ehrgeizige, leistungsbereite und risikofreudige Menschen aus den Regionen abgewandert, welche ökonomisch unterentwickelt waren. Damit verfestigte sich dort die Neigung zur „Bodenständigkeit“ mit all ihren positiven und negativen Aspekten, während in den Zielregionen ein ganz anderer Menschenschlag die Oberhand erlangte. Ähnlich bedeutsame Unterschiede kann man heute unter den Bewohnern derjenigen Länder finden, aus denen viele Immigranten in den Westen strömen: Die Auswanderer verkörpern eher den Typ des wurzellosen „Glücksritters“, wohingegen die Daheimgebliebenen am Vertrauten festhalten.
Dazu kommen das Klima und die Landschaft. Untersuchungen in China und den USA deuten darauf hin, dass Verträglichkeit und Offenheit öfter in Zonen mit einem milden Klima vorkommen. Im Gegenzug findet sich hier weniger Neurotizismus. Und japanische Forscher entdeckten 2015 bei Vergleichen zwischen der Mentalität von Berg- und Küstenbewohnern folgende Unterschiede: Wer im Gebirge lebt, ist introvertierter als der Durchschnitt, und wer am offenen Meer wohnt, zeigt im Verhältnis mehr Kontaktfreude und ein umgänglicheres Wesen. Allerdings ergaben Wiederholungen dieser Studie in den USA 2022 etwas andere Ergebnisse: Hier erwiesen sich die Küstenbewohner zwar ebenso als offen, aber zugleich auch relativ wenig verträglich.
Augenscheinlich bewirkt die Landschaft also nicht in jedem Kulturraum das selbe bei den Menschen. Die Beantwortung der Frage, warum das so ist, gehört zu den zentralen Zukunftsaufgaben der Geographischen Psychologie.
Peter Faethe am 25.10.23, 07:18 Uhr
Ein Phänomen gibt es in Städten, die vor 250 Jahren "Freie und des Reiches" Städte waren: Eine höhere soziale/politische Partizipation.
Emilio Pabo am 24.10.23, 21:16 Uhr
Psychologische Geographie ist nichts Neues. Mit solchen Fragen haben sich Ethnologen, Soziologen, Kulturgeographen, Historiker etc. schon lange beschäftigt.
Gut ist der Hinweis in einem vorherigen Kommentar, dass man den römisch-germanischen Limes nicht außer Acht lassen darf. Im Südwesten Deutschlands ist allerdings auch das Klima wesentlich milder und die Sonnenscheindauer höher als in anderen, nördlichen Teilen Deutschlands. Die klimatischen Bedingungen spielen auch eine Rolle, auf welche Nahrungsmittel zurückgegriffen werden kann. Die Versorgung mit wichtigen Nährstoffen hat auch Auswirkungen auf die Psyche.
Dass jetzt eine solche angeblich neue Wissenschaftsdisziplin aufkommt, mag vielleicht mit den so genannten kritischen Wissenschaften zu tun haben, die das Ziel verfolgen, Völker zu dekonstruieren und Geschichte vergessen zu machen. Dafür bietet es sich an, eine neue Unterscheidung zwischen Menschen (Spaltung) einzuführen. Später heißt es dann ggf.: Es gibt keine Völker in Europa, erst recht kein deutsches Volk, sondern es gibt nur Küsten-Menschen, Berg-Menschen, ... .
sitra achra am 24.10.23, 10:00 Uhr
Derzeit ist in Frankreich eine neue wissenschaftliche Untersuchung publiziert worden, die den politischen "Archipel" Frankreichs in seinen sozioökonomischen und kulturellen Erscheinungen, bezogen auf die Regionen, erfasst.
Der Titel heißt "La France d'après", Tableau politique" und stammt von Jérome Fourquet, u.a. Leiter des Meinungsforschungsinstituts IFOP.
Diese mit vielen Fakten, Statistiken und Grafiken gestützte Analyse verdeutlicht die unterschiedlichen urbanen und regionalen Milieus, zeigt jedoch innerhalb dieser Pattern eklatante Meinungs-und Verhaltensabweichungen auf.
Hier hat hundert Jahre nach André Siegfried jemand der französischen Nation, die nie so zersplittert war wie heute, auf den Zahn gefühlt oder in den Kopf geschaut, wie Fourquet sich äußert.
Es wäre zu wünschen, dass es auch eine derartige umfängliche und faktenbasierte Untersuchung für die BRD gäbe, damit wir endlich dazu gelangen, uns untereinander besser zu verstehen!
Kersti Wolnow am 23.10.23, 10:18 Uhr
Eine Ergänzung zu Th. Nehrenheim
Als Kind mit 9 Jahren mußte ich berufsbedingt durch meinen Vater vom Süden an die Ostseeküste ziehen. Daß da 2 verschiedene Stämme leben, wurde mir nicht erst durch die Dialekte klar, sodaß ich lange Zeit brauchte, um mich dort heimisch zu fühlen, wurde es aber nie. Erst durch unsere Flucht 1989 kam ich wieder in ein Meervolk, nach Hamburg. Die Mentalität der Leute dort war der in Stralsund wieder sehr ähnlich, und ich wußte mit der höflichen, aber kühlen Distanz umzugehen. Heute leben wir wegen der Überfremdung auf dem Lande. Da kann ich Gregor Scherf Recht geben, hier ist so gut wie keine Kriminalität. Man kennt und vertraut sich.
Sollten die Völkermischer Kriminelle sein, um in Anonymität ihre trüben Geschäfte abzuwickeln?
Th. Nehrenheim am 22.10.23, 20:42 Uhr
"Südwestlich der Linie Köln-München ist der Neurotizismus schwächer ausgeprägt als im Rest des Landes" Ich bin davon überzeugt, dass dieser Umstand gar nichts mit der Region zu tun hat. Genau südwestlich dieser Linie ist die deutsche Bevölkerung nämlich zu einem guten Teil romanischstämmig. Es ist einfach völlig falsch von einer ethnisch einheitlichen deutschen Bevölkerung auszugehen. Die Unkenntnis über den Umstand ist Ausländern vielleicht zu verzeihen, aber deutsche Wissenschaftler sollten das schon wissen. Übrigens hat das Ergebnis von Fucht und Vertreibung daran nicht sehr viel geändert!
Gregor Scharf am 22.10.23, 15:10 Uhr
Kein Hinweis auf Kulturräume und Migrantenströme mit zahlreichen Kriminellen bezeichnet man verniedlichend als risikofreudige Glücksritter.
Für mich kann es keine handfesteren Beweise dafür geben, dass Psychiater möglichst selbst einen solchen zu Rate ziehen sollten, um ihre Birne wieder gerade zu rücken. Schwere körperliche Arbeit soll auch helfen.
Wer finanziert solche pseudowissenschaftlichen Studien?
Städte waren zu allen Zeiten ein Sammelpunkt für kriminellen Abschaum, weil es sich anonymer leben lässt. Das Landleben hingegen bodenständig, ohne Flausen nah am Rhythmus der Natur und somit gesünder. Man konnte immer die Türen offen stehen lassen und Kinder spielten ohne Ängste davor, weggefangen zu werden durch die "Glücksritter", die in den ländlichen Raum drängen und denen ein paar Drogen aus der Tasche purzeln . . .
Kersti Wolnow am 22.10.23, 09:16 Uhr
Gibt es auch eine Studie, die untersucht, wie sich ein Volk bei zuviel Zuwanderung fühlt?
Was hier untersucht und beschrieben wird, ist doch sonnenklar. Das ist ersichtlich gewesen, als man als Tourist noch homogene Völker besuchen durfte. Frankreich war anders als Italien, heute leider bunt wie die bRD. Überall sind dieselben Restaurant-, Laden- und Hotelketten. Bald wird die Welt zugebaut werden wie Manhatten. Schön ist anders.