Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Die Flut an den Nebenflüssen des Rheins ist vorüber. Doch die Schäden sind noch lange nicht beseitigt. Noch immer helfen Freiwillige beim Aufräumen und bei der Rückkehr der Einheimischen in ein halbwegs normales Leben. Eindrücke aus einem Katastrophengebiet
Die Idee dazu hatten die Kinder. Noch während unseres Urlaubs in Ostpreußen sagten sie angesichts der Schreckensmeldungen aus dem Hochwassergebiet an Ahr, Erft und Nette, dass sie gern vor Ort helfen würden. Gleich nach unserer Rückkehr nach Hause am Berliner Stadtrand nahmen wir Kontakt zum Kreisverband Ahrweiler des Deutschen Roten Kreuzes auf und informierten uns, wo und wie im Katastrophengebiet wir am besten helfen könnten. Parallel dazu starteten wir eine kleine Sammlung im Kreise der Familie sowie unter Freunden und Kollegen. Mit dem dabei zusammengekommenen Geld fuhren wir in den Folgetagen zu einigen Bau- und Elektromärkten und besorgten das vom DRK genannte Gerät, darunter Stromaggregate, Feldduschen, Schaufeln und Wasserkanister.
Mit dieser Ausrüstung fuhren wir – neben mir Sohn Gerhard (19) und Tochter Friederike (16), während der Vater arbeitsbedingt nicht mitfahren konnte – am Montag, den 26. Juli, um fünf Uhr los. Am späten Vormittag kamen wir auf dem Parkplatz des Innovationsparks-Rheinland in der Gemeinde Grafschaft an. Schon dort spürten wir, dass auch zehn Tage nach der Flut jede helfende Hand gebraucht wurde. So kamen einem Handwerker, dem wir die Stromaggregate überreichten, die Tränen. Auch die anderen Sachspenden wurden dankbar entgegengenommen.
Doch Zeit für Sentimentalitäten hatten wir nicht. Gleich nach unserer Ankunft ging es mit privat organisierten Shuttle-Bussen hinunter in das Ahrtal nach Mayschoß – ein Ort, in den am Tag zuvor erstmals überhaupt seit den Starkregenfällen am 14./15. Juli und der anschließenden Flut Helfer hineinkonnten. Bis dato konnte Mayschoß nur aus der Luft versorgt werden.
Ankunft im Einsatzgebiet
Vor Ort wurden wir in Helfertrupps eingeteilt. Zu tun gab es an allen Ecken und Enden. Neben dem Schutt auf den Straßen galt es, Schlamm aus den Häusern zu schaufeln, zerstörte Tische, Stühle, Sofas und Elektrogeräte hinauszutragen sowie Teppiche von den Böden und Tapeten von den Wänden zu kratzen. Dass noch immer jede helfende Hand gebraucht wird und willkommen ist, zeigt das Beispiel von Lisa, die im Rollstuhl sitzend den ganzen Tag über die Arbeit der Helfer im Ort koordiniert. Auch die Kinder packten mit an, gruben sich wie die anderen Freiwilligen unermüdlich in den Schutt und den schweren Schlamm, trugen Gerümpel auf die Straße.
Das Entsetzen über den Zustand von Mayschoß war groß. Überall, wo das Wasser durchgezogen war, sah es nun aus wie in einem Kriegsgebiet. Ebenso schnell wurden die menschlichen Tragödien offenbar. In den Straßen standen Einheimische vor ihren Häusern, beziehungsweise vor dem, was davon übriggeblieben ist. Fassungslos erzählten sie von dem, was ihnen Tage zuvor widerfahren war. Diejenigen, deren Heim noch stand, zitterten vor dem Statiker, der zu entscheiden hatte, ob das Haus stehenbleiben darf oder abgerissen werden muss. Wo der Daumen nach unten zeigte, stehen die Menschen nun vor dem Nichts.
Nicht nur unerträglich stinkend, sondern auch gesundheitsgefährdend ist der Schlamm. Neben dem Erdreich spülte das Wasser Fäkalien, Heizöl, verschimmelte Gegenstände und rostiges Metall mit sich. Schon Thomas, der oben am Sammelplatz die Fahrten der Shuttle koordiniert, warnte uns deshalb vor jeder noch so kleinen Verletzung an Händen und Beinen. Überall im Einsatzgebiet bieten Ärzte und Sanitäter deshalb Auffrischungen der Tetanus-Impfungen an.
Ab 16.30 Uhr werden die Helfer allmählich wieder hinauf zum Sammelplatz gefahren. Mit dem Abzug der Shuttle rücken nun schwere Räumfahrzeuge an, um den auf die Straßen geräumten Schutt des Tages aus dem Ort zu fahren. Organisiert wird dies von Bau- und Abrissfirmen, die teilweise von weither auf eigene Kosten angereist sind. Vor allem sollen am Abend die Einheimischen wenigstens für ein paar Stunden zur Ruhe kommen.
Am nächsten Tag fuhr ich mit Gerhard in einem Shuttle nach Dernau. Je nach Bedarf rufen die Koordinatoren jeden Morgen aus, für welchen Ort noch Helfer gebraucht werden. In Dernau haben in den Tagen zuvor bereits Aufräumarbeiten stattgefunden, allerdings ist auch hier noch etliches zu tun. Nach dem Wegräumen des Schutts aus den Häusern gilt es, feuchte Fußböden, Wände und Decken wegzustemmen.
Friederike blieb diesmal (und auch an den weiteren Tagen) am Sammelplatz. Auch dort gibt es viel anzupacken, vor allem müssen Hilfsgüter sortiert und an die Einsatztrupps ausgegeben werden. Hunderte Paare Gummistiefel und tausende Paare Arbeitshandschuhe wurden gespendet, aber auch Werkzeuge und Arbeitsbekleidung. Damit die Helfer nicht stundenlang nach den für sie richtigen Größen suchen müssen, ist die Vorsortierung ungemein wichtig.
Bundeswehr, Polizei und Bauern
Ähnlich verliefen auch die Einsätze am Mittwoch und Donnerstag, an denen wir wieder in Mayschoß waren. Allmählich kommt Struktur in die zerstörten Orte, werden Straßen wieder frei und immer mehr Häuser begehbar. Dass es trotz aller Widrigkeiten vergleichsweise schnell vorangeht, ist vor allem das Verdienst der Bundeswehr, die auch in der improvisierten Lage strukturiert und planvoll vorgeht, deren Soldaten unermüdlich Trümmer beiseiteschaffen, Pontonbrücken über die Ahr legen, alte Dorfstraßen freiräumen oder gar erst wiederherstellen und dort, wo dies nicht möglich ist, neue Straßen quer durch das Gelände bauen. Ähnlich präsent und aktiv ist die Polizei, die beim Blick auf die Verkehrssituation oft „Fünfe gerade sein lässt“, etwa wenn doppelt so viele Helfer in einem Shuttle-Bus sitzen wie erlaubt. Natürlich sieht man auch die Fahrzeuge und Angehörigen von THW und Feuerwehr. Und dann sind da noch die Bauern aus nah und fern, die seit ihren Protestaktionen im Berliner Regierungsviertel vor einiger Zeit gut vernetzt sind und nun mit Traktoren und Anhängern ebenfalls den Schutt abtransportieren.
Viele Freiwillige, die mit bloßen Händen anpacken, haben extra Urlaub genommen oder ihre geplante Reise in die Ferne storniert und oft tief in die eigene Tasche gegriffen, um im Ahrtal helfen zu können. Darunter Thomas und Marc, die als Event-Unternehmer gleich nach der Flut die Initiative „Helfer Shuttle“ gründeten und über ihr persönliches Netzwerk schon am ersten Tag 300 Unterstützer hierher bewegen konnten. Sie organisieren die Shuttle-Flotte, deren Fahrzeuge allesamt von Privatpersonen gestellt werden. Manch Fahrer mietete auf eigene Kosten für mehrere Wochen einen Kleinbus, um täglich in die Einsatzgebiete fahren zu können. Rund 1600 bis 1700 Helfer werden so allein von „unserem“ Sammelpunkt aus jeden Morgen ins Ahrtal hinunter- und am Nachmittag wieder hinaufgefahren. An den Wochenenden sind es doppelt so viele.
Erfreulicherweise sind unter den Helfern auch Niederländer, die aus dem Nachbarland herübergekommen sind, sowie auch viele in Deutschland lebende Migranten und Ausländer, zum Beispiel Russen, Ukrainer, Afrikaner und Araber sowie US-Soldaten aus Ramstein. Eine im wahrsten Sinne grenzenlose Welle der Solidarität.
Ärgerlich ist hingegen, dass die Lage auch zahlreiche zwielichtige Figuren anlockt. So gibt es immer wieder Berichte von Plünderern, die aus den leerstehenden Häusern noch das letzte halbwegs brauchbare Gut stehlen. Selbst in das Zelt mit den medizinischen Hilfsgütern auf dem Sammelplatz wurde nachts eingebrochen, allerdings konnten die Täter gleich gefasst werden. Ein Influencer wiederum behinderte mit seinen Dreharbeiten für einen Videoclip den Einsatz eines Notarztwagens. Und wiederholt erzählten Einheimische von „Querdenkern“, Rechtsextremisten und Antifa-Aktivisten, die sich als Angehörige von Hilfsorganisationen ausgaben, um dann die Menschen in der Not mit ihren ideologischen Phrasen zu bedrängen.
Bewegende Schicksale
Als ob die Einheimischen nicht schon genug Sorgen hätten. Eine Frau zeigte mir die Stellen, an denen in den Stunden der Flut Leichen um ihr Haus herumgespült wurden. Eine andere erzählte, dass sie mit ihrem Mann mindestens ein Jahr lang im Dachgeschoss leben wird, bis ihr Haus wieder halbwegs bewohnbar sein wird. Wir sehen, wie der Schwiegersohn der Inhaber des „Bacchus-Kellers“ in Mayschoß im Schlamm den goldenen Zapfhahn des Lokals wiederfindet und ihm darüber die Tränen kommen. Ein Feuerwehrmann holte ein paar letzte brauchbare Gegenstände aus seinem zerstörten Haus und sagte, dass er nie wieder im Ahrtal leben will. Und ein anderer Mann erzählte von dramatischen Stunden, als er sich auf den scheinbar sicheren Balkon seines Hauses retten konnte und dann ängstlich zusehen musste, wie das Wasser immer höher stieg – bis zu seinen Zehen, bevor es langsam abebbte.
In der Bewältigung dieser Erlebnisse werden die Bewohner des Ahrtals unterstützt von helfenden Engeln wie der Ärztin Nadine aus Berlin oder dem Schmerztherapeuten Thomas aus Ulmen, dessen Frau eines der Shuttle-Fahrzeuge fährt, sowie von vielen weiteren Ärzten und Pflegern, die auf eigene Kosten hierher gekommen sind. Bis in die Nacht hinein bleiben sie als einzige Helfer im Einsatzgebiet, sitzen mit den Einheimischen beim abendlichen Buffet (das Menschen aus Nachbarorten gestiftet haben), reden mit ihnen über das erlittene Schicksal und sprechen immer wieder Mut und Hoffnung zu.
Der Dank des Ahrtals
Als wir am Donnerstag wieder aufbrechen müssen, ist die Dankbarkeit der Einheimischen beim Abschied groß. Ein Weinbauer lädt uns ein zu einem der kommenden Winzerfeste, „auch wenn dann noch nicht alles wieder so aussieht wie vorher“. Wir nehmen uns vor, auf jeden Fall wiederzukommen.
Die Eindrücke dieser wenigen Tage an der Ahr im Sommer 2021 werden bleiben. Die Bilder eines halb weggebrochenen Hauses in Mayschoß, in dessen Esszimmer noch bei unserer Abreise ein gedeckter Abendbrottisch stand. Oder der Anblick einer kleinen Puppe, die am Balken eines zerstörten Hauses hing und die niemand entfernen konnte. Oder die unterspülte Eisenbahn von Rech, deren Geleise einer Perlenschnur gleich über der Ahr hingen. Bleiben werden auch die Bilder von den unzähligen „Danke“-Schildern, die uns die Anwohner jeden Abend während der Fahrt zum Sammelplatz entgegenhielten. Und bleiben wird nicht zuletzt auch die eigene Dankbarkeit dafür, einen kleinen Beitrag geleistet haben zu können, Anderen in der Not zu helfen.
• Gunda Nehring ist Lehrerin an einer Grundschule im Havelland. Der Einsatz ihrer Familie im Ahrtal war rein privat motiviert und erfolgte nicht im Dienste oder Auftrag einer politischen oder sonstigen Organisation.
Gerald Franz am 14.08.21, 15:27 Uhr
Wie immer gibt es zwei Wahrheiten: Die wirtschaftlichen Verlierer verlieren an der Ahr alles, auch ihre Arbeiter-Vita. Die wirtschaftlichen Gewinner lassen eloquent ihre politisch korrekte Propaganda verkünden! Wer jetzt noch Geld in der Kriegskasse hat, kann schadhafte Immobilien im Ahrtal zu Schnäppchenpreisen kaufen.
Die meisten Schreiberlinge kennen das Ahrtal gar nicht und werden dorthin geleitet, wo man sie gerne hin haben möchte. Das ist wie einst in der SBZ. In den Nebenstraßen sitzen immer noch Familien ohne menschenwürdige Versorgung. Damit das niemand bemerkt, kontrolliert die Polizei die Zugänge. So sieht es jedenfalls bei meinen Bekannten aus.
Für die ganze Welt hat man Geld. Warum wurde nie eine Hochwasser-Katastrophen-Übung abgehalten? Derartiges wird tunlichst ganz bewußt vermieden, damit dem Volk das Behördendurcheinander nicht auffällt.
Michael Holz am 05.08.21, 17:39 Uhr
Danke Gunda, das haben Sie gut gemacht. Ich bin zwar nicht Betroffener, kann jedoch die Nöte der Leute nachvollziehen. Vor langer Zeit war ich auch einmal unverschuldet in Not geraten und Fremde hatten mir geholfen. Das vergesse ich nie, so wie die Menschen aus dem Ahrtal auch Sie nicht vergessen werden!