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Bevor die große Hitze Einzug hält und man sich Heiz-Luxus gönnen musste – In einem spanischen Bergdorf kann es nachts frisch sein
Ein Häuschen zur Miete in den andalusischen Bergen bei Ronda – das klingt verlockend. Nach zwei Jahren Pandemie, nach Monaten voller Eintönigkeit endlich wieder den Blick weiten und die Gegenwart vergessen. Also nichts wie weg, vielleicht hat die Welt doch etwas Besseres als den Alltag in Deutschland zu bieten. „In den Bergen kann es nachts stark abkühlen“, warnt die Hausbesitzerin und bittet gleichzeitig um den sparsamen Einsatz der neu installierten Heizung. Das Heizöl! Mittlerweile so teuer wie Gold!
Frieren in Spanien? Wer glaubt denn sowas? Zuletzt stöhnte man auch hier über Hitzetage im 40-Grad-Bereich. Doch unsere Reise begann, bevor über halb Europa eine Hitzeglocke lag.
In Málaga, Zielflughafen und Zwischenstopp, knallt verlässlich die Sonne auf die gefliesten Avenidas, Marmor in allen Schattierungen versiegelt die Einkaufszonen. Auf der Plaza de la Merced thront auf einer Bank ein Bronzeabguss von Pablo Picasso, dem berühmtesten Sohn der Stadt. Überall finden sich Hinweise auf Museen, das Centre Pompidou, Museum Carmen Thyssen, Fondacion Picasso – auf dem Weg liegt das CAC mit zeitgenössischer Kunst, der Eintritt zu den großformatigen Arbeiten von Julian Schnabel ist frei.
Abends summt die Stadt vor Leben. Über den Außentischen des Restaurants nahe der Kathedrale hängen rotglühende Heizstrahler, über die sich hier kein Umweltschützer mokiert. Die sparsam verstreuten Garnelen in der trockenen Paella kommen garantiert nicht aus frischem Fang, aber gut gelaunte junge Kellner umtänzeln die Gäste und übersehen nonchalant die alte Bettlerin, die mit krummem Rücken von Tisch zu Tisch hinkt und nach ein paar Euros fragt. Leben und leben lassen. Darauf verstehen sie sich hier.
Nach der Stippvisite in der Stadt am Meer geht es quer durch die Berge in das gepriesene weiße Dorf. Wie ein Adlernest kleben die Häuser an den Hängen der Sierra de las Nieves. Im Zentrum des Marktplatzes plätschert eine ambitionierte Installation aus beleuchteten Wasserstrahlen, umrahmt von Kübeln aus Waschbeton. Steil führt die Gasse hinab zu einem weiß gekalkten Haus, das einst einem Schäfer gehörte und nun für kostbare Urlaubstage Gäste aufnehmen wird. Unversehens nimmt der große Koffer viel Fahrt auf und knallt schmerzhaft in die Hacken, wer jetzt nicht beherzt den Griff festhält, könnte ein Geschoss ins Tal donnern lassen. Die Eingangstür ist verzogen und klemmt, hinter den dicken Mauern nistet tatsächliche wohltuende Kühle, die tief in Wolldecken und Bettzeug gekrochen ist. Heizen ist Luxus, aber ein wenig Luxus muss nachts einfach mal sein.
Es wird palavert und gekauft
Wie bei vielen Ausländern, die hier vor Jahrzehnten günstig ein Haus erstanden haben, wurde im Laufe der Jahre angebaut und aufgestockt. Zwei luftige Studios gibt es nun, zu erreichen über steile Treppen. Zahlreiche Stufen führen auch hinunter zur Küche, zum grün überrankten Innenhof und ins Bad.
Über Nacht hatte es geregnet. Der Patio glänzt regensatt unter seinem Dach aus Feigenbäumen, ein unvorsichtiger Schritt, und der Gast glitscht über die feuchten Fliesen, findet in letzter Sekunde Halt an einem hängenden Ast. Quadratisch, praktisch, gut mag ein Appartement in Marbella oder Torremolinos sein, hier in den Bergen aber zeigt sich Europas Süden voller Ecken und Kanten, Stiegen und Stufen. Immerhin, beim steilen Anstieg hinauf zum Marktplatz hat der Bürgermeister für die schnaufenden Residentes ein Geländer anbringen lassen.
Das Leben, das durch die Pandemie so brachial ausgebremst wurde, ist längst wieder zurückgekehrt. In den beiden Supermärkten des Ortes wird gekauft und palavert. Angst vor Nähe hat hier keiner mehr. Zwei ältere Frauen stehen an der Kasse und erzählen, vielleicht vom letzten Wochenende, womöglich von den Enkeln oder auch vom Lieferwagen des Bäckers, der jeden Morgen die engen Gassen versperrt, wer weiß.
Selbst wer leidlich gut spanisch spricht, muss passen bei diesem Idiom, das klingt, als würden sich raue Kiesel in der Mundhöhle krachend aneinander reiben. Niemand drängelt. Niemand ist genervt. Wie wohl das tut! Und bevor der blasse Kunde aus Deutschlands Norden endlich an der Reihe ist, wird einer weißhaarigen Dame noch der Einkauf hinterhergetragen. Spanien kennt keine Eile.
Ganz oben auf dem Reiseplan steht Andalusiens Hauptstadt Sevilla. Aber vorher geht es noch nach Ronda, dem ehemaligen Schmugglernest, gelegen auf einem massigen Felsplateau, gespalten von einer tiefen Schlucht. Ein Naturschauspiel, schon Rilke und Hemingway waren fasziniert.
Die Stierkampfarena mit der benachbarten Reitschule ist für Besucher geöffnet, in einem Saal mit prächtigem Kronleuchter trabt gerade ein Pferd am kurzen Zügel, Sägespäne flirren in der Sonne. Ronda ist mehrere Besuche wert – der Blick in die Schlucht und zur Puente Nuevo (Neue Brücke) ist immer wieder atemberaubend, die Tapas auf dem Platz der Herzogin von Parcent schmecken köstlich, nur in der Cafeteria im Garten der Casa del Rey Moro (dem Palast des Maurenkönigs) dröhnt laute Popmusik, die zum Zauber des Ortes nicht passen will.
Anderntags taucht nach einer Fahrt durch bergige Landschaften endlich Sevilla auf, das pulsierende Herz Andalusiens. Wie einer Filmkulisse entstiegen wartet an einer Ampel eine junge Frau im blutroten Flamenco-Kleid, im hochgesteckten Haar eine Rose. Es ist Feria, die halbe Stadt macht sich auf zum Festplatz. Bunten Blüten gleich werden die geschmückten Spanierinnen fortan im Stadtbild auftauchen, mal gelb und grün gepunktet, oft rotgerüscht. An der Paseo Cristobal Colon steht imposant eine der größten Stierkampf-Arenen Spaniens, um 18 Uhr beginnt ein Kampf. Die Besucher strömen zur Kasse, einige Touristen mit verlegenem Blick. Es ist ein fragwürdiges Spektakel, das hier nach festgelegtem Ritual ablaufen wird, aber es ist Tradition.
Verloren in Sevilla
Touristen sammeln sich auch auf den Plätzen, staunen über die pilzartige riesige Dachkonstruktion „Metropol Parasol“ an der Plaza de la Encarnation. Zum Abschluss gönnt man sich noch zwei Glas trockenen Sherrys in einer Bar. Und bevor die Beine endgültig schlappmachen geht es zurück zum Auto, das in einer Tiefgarage abgestellt ist.
Aber halt: Wo lag die bloß? Ausgerechnet jetzt verliert die Navigations-App Strom, der Durchzug der Spanierinnen in ihren Flamenco-Kleidern dünnt zusehends aus. Es lässt sich nicht länger schönreden, ab sofort gilt das Motto „Lost in Sevilla“. Immerhin: die Adresse des Parkhauses steht auf dem Parkticket, das zwei junge Männer hilfsbereit studieren. Und dann geschieht eines dieser kleinen Wunder, wie man sie wohl nur unterwegs erlebt. „Ich muss in dieselbe Richtung“, sagt spontan der eine und steckt sein Handy lässig in die Hosentasche. „Ich nehme Sie mit.“ Zwei kleinlaute deutsche Touristen klemmen sich in den Fond eines spanischen Kleinwagens und lassen sich sehr dankbar zur weit entfernten Tiefgarage bringen. Gracias!
Jetzt schnell noch bei Tageslicht zurück ins weiße Dorf, das längst so vertraut ist. Mit brennenden Waden und erhöhtem Puls die steile Hauptstraße hochgelaufen und in der Bodega „La Terrazza“ eingekehrt, wo ständig der Fernseher läuft, das Schweineschnitzel in reichlich Sahne schwimmt und das Glas Rotwein tatsächlich nur zwei Euro kostet.
Wie lebendig sich das Leben anfühlen kann, so fern von zu Hause. Fast hätte man das in den langen Monaten unter der Corona-Glocke schon vergessen.