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Ohne Krimi ging der Kanzler (fast) nie ins Bett – Konrad Adenauer und seine Schwäche für den angelsächsischen Kriminalroman

Ansgar Lange
13.10.2024

Konrad Adenauer hatte neben der Politik auch ein Privatleben mit vielen Hobbies. So konnte er bei der Gartenarbeit oder beim Bocciaspielen – nur verlieren konnte er als „politisches Alphatier“ nicht so gut – prima entspannen. Der Gründungskanzler der Bundesrepublik versuchte sich Zeit seines Lebens als Erfinder und Tüftler. Auch klassische Musik und Kunst fanden sein Interesse.

Wen es nach Rhöndorf, einem Stadtteil von Bad Honnef bei Bonn, verschlägt, sollte sich unbedingt das frühere Wohnhaus des 1967 verstorbenen Bundeskanzlers anschauen. Hier fühlt sich der Besucher dem ansonsten sehr reservierten Adenauer sehr nahe, denn die sehr wohnliche und gemütliche Atmosphäre liefert einen schönen Eindruck davon, was dem Privatmann Adenauer wichtig war.

Auch in Büchern fand der vormalige Kölner Oberbürgermeister immer wieder Trost und Entspannung. Er interessierte sich besonders für Lyrik und konnte bis ins hohe Alter viele Gedichte auswendig. Eichendorff, Goethe, Heine und Mörike zählten zu seinen Lieblingsdichtern. Während seiner Verfolgung durch das NS-Regime fand der Verfemte Trost in der Erzählung „Taifun“ des polnisch-britischen Schriftstellers Joseph Conrad.

Was manche nicht wissen ist die Tatsache, dass Adenauer auch ein großer Krimi-Liebhaber war. Diese Leidenschaft teilte der „Alte“ mit Millionen krimibegeisterter Deutscher, denn nicht nur die sprichwörtliche Mimi ging ohne Krimi nie ins Bett. Der Kanzler ließ sich abends oder auch im Urlaub am Comer See gern vorlesen und nickte dann auch schon mal bei Agatha Christie, Edgar Wallace oder Dorothy L. Sayers – seinen bevorzugten Kriminalautoren – ein.

Der hochbetagte Rhöndorfer Hausherr war ein bürgerlich-sparsamer Mensch. Und so befand sich an seinem Bett eine Leselampe mit einer selbstgebauten Zeitschaltuhr. Wenn der „Konni“ über den roten Einbänden der Münchener Goldmann-Krimis (hier erschien vor allem sein geliebter Edgar Wallace) oder den schwarz-weiß gestreiften Buchrücken der Kriminalromane aus dem Schweizer Scherz Verlag einnickte, ging das Licht automatisch aus.

Adenauers Krimibibliothek ist in den Bücherregalen des Kanzlers in einem Raum im ersten Stock seines Wohnhauses zu finden. Die Originale machen einen abgegriffenen Eindruck, denn sie wurden benutzt und nicht nur ins Regal gestellt. Während der lesende Kanzler keinen Bezug zur zeitgenössischen Literatur der frühen Bundesrepublik – wie etwa Heinrich Böll und Günter Grass – finden konnte, so interessierten ihn die „moderneren“, „härteren“ Krimiautoren aus Amerika auch nicht besonders. Ohne Zweifel steht ein Raymond Chandler literarisch deutlich höher als beispielsweise die „Queen of Crime“, doch Adenauer zog Agatha Christie einem Chandler-Nachfolger wie Ross MacDonald vor. Im Buch „Gänsehaut“ des kalifornischen Autors findet sich ein vernichtendes handschriftliches Urteil: „Schlecht“.

Begeisterung für Edgar Wallace
Von der Literaturkritik wurde der Vielschreiber Edgar Wallace, dessen Werk über 175 Bücher umfasst, eher mit spitzen Fingern angefasst. Adenauer stand offensichtlich zu seiner Leidenschaft. Ende der 1950er und vor allem in den 60er und abgeschwächt noch in den 70er Jahren setzte durch die zahlreichen Verfilmungen ein regelrechter Edgar-Wallace-Boom ein. Als Kriminaler ermittelten Joachim Fuchs berger oder Heinz Drache, Eddi Arent gab den Trottel vom Dienst und Klaus Kinski den wahnsinnigen Bösewicht. Ähnlich verworren wie die Filme waren auch die Romane, für die sich neben Adenauer aber auch andere prominente Leser wie Adolf Hitler, Graham Greene, Gregor Gysi, Otto Waalkes, Bertolt Brecht oder Heinrich Mann begeisterten.

Während der maßgebliche Adenauer-Biograph Hans-Peter Schwarz eine Vorliebe für Politthriller hatte und über diese „Schwäche“ sogar ein schönes Buch geschrieben hat, ist von Adenauer nichts dergleichen bekannt. Seine außerdienstliche Lektürevorliebe galt der klassischen Detektivgeschichte angelsächsischer Prägung. Als Staatsmann war er mit dieser Neigung nicht allein auf weiter Flur. Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand schätzte den Belgier Georges Simenon und dessen Kommissar-Maigret-Romane. Die „eiserne Lady“ Margaret Thatcher schätzte ihren Landsmann Frederick Forsyth („Der Schakal“) und US-Präsident John F. Kennedy fand nicht nur Gefallen an üppigen Blondinen wie Marilyn Monroe, sondern auch an den Spionageabenteuern von James Bond in den Büchern Ian Flemings.

Inzwischen taucht Adenauer auch immer mal wieder als historische Figur in Krimis und Thrillern von unterschiedlicher Qualität auf. Titel wie „Das Adenauer-Komplott“ oder „Die Akte Adenauer“ tragen den Namen des Kanzlers bereits im Titel. In der von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen Zeitschrift „Die politische Meinung“ hat der Autor Christopher Beckmann Adenauers Rolle in der Kriminalliteratur näher untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass dem Bestsellerautor Volker Kutscher das Verdienst zukommt, in seinen Gereon-Rath-Romanen die Figur Adenauers deutlich nuancierter und differenzierter darzustellen, als dies die Erfolgs-Verfilmung „Babylon Berlin“ tut.

So tritt Adenauer bei Kutscher zunächst als Oberbürgermeister von Köln und dann als Verfolgter des NS-Regimes in „Der stumme Tod“ auf. Im fünften Band der Rath-Serie („Märzgefallene“) „trifft Gereon Rath im Haus seiner Eltern den Oberbürgermeister, der sich sehr pessimistisch über seine politische Zukunft und die Möglichkeiten äußert, die Nationalsozialisten wieder aus der Regierung zu vertreiben“ (Christopher Beckmann).

Wie „heilig“ Adenauer seine persönliche Krimilektüre war, illustriert folgende Episode, die der frühere Biberacher Oberbürgermeister Claus-Wilhelm Hoffmann erzählt hat. Als junger Rundfunkerfasser beim Bundespresseamt überbrachte er im März 1953 persönlich die Nachricht vom Tod Josef Stalins an den Bundeskanzler. Dieser empfing ihn im Morgenmantel und entgegnete nach Empfang der Nachricht: „Sie haben mich gerade beim Lesen eines Krimis gestört.“


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