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Ulrich Müther, ein „Landbaumeister“, dessen Schalenbauwerke zur „Architektonischen Moderne“ gehören
Wer über ihn schreibt, hat es nicht leicht, denn es gibt die Ehrfurcht vor seinem Lebenswerk, das Klischee und die Person Ulrich Müther. Rundherum reihen sich Geschichten, Episoden und Anekdoten. Manche sind persönlich verklärt, andere von trockenem Humor. Die Eleganz seiner Bauten ist bestechend schön. Die Faszination, wie der Binzer mit seinen „pommerschen Bauernsöhnen“ und „russischem Karnickeldraht“ in den letzten 40 Jahren Ost und West verzauberte.
Entstanden sind dabei über 50 Hyparschalen. Noch heute überspannen sie Großgaststätten, Schwimmbäder, Planetarien, Kirchen oder Moscheen. Ulrich Müther wurde durch sie zur Legende und zur frühzeitigen Devisenquelle der DDR. Dem parteilosen „Aushängeschild“ für die Nachkriegs-Moderne machte es der Sozialismus nicht gerade leicht.
Meilenstein gesetzt
Nachdem Ulrich Müther das direkte Abitur und Studium versagt wurde, erlernte er den Beruf des Zimmermanns. Dann ging Ulrich Müther an die Ingenieurschule für Bauwesen in Alt-Strelitz. Hier begann er sein Studium zum Bauingenieur. Vier Jahre Praxis folgten im Kraftwerksbau in Berlin. Sein Fernstudium an der TU Dresden krönte Ulrich Müther 1963 mit einer Diplomarbeit, die gleichzeitig einen Meilenstein setzte. Es entstand Müthers erste Hyparschale, die einen Mehrzwecksaal in Binz überspannte, das war zugleich die Erste, die in der DDR gebaut wurde.
Junger Visionär
Zu diesem Zeitpunkt war der begnadete Konstrukteur 29 Jahre alt und führte bereits seinen eigenen Betrieb. Die Baufirma, die 1922 durch den Vater Willy Müther gegründet wurde, steuerte Ulrich Müther dabei geschickt durch den Sozialismus. 1953 bei der „Aktion Rose“ enteignet, wird sie nach dem 17. Juni wieder zurückgegeben und firmiert 1960 zur Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH), dann 1972 zum Volkseigenen Betrieb (VEB). 1990 entsteht aus ihr die Müther GmbH Spezialbetonbau. Bis 1999 sind bei ihr über 100 Mitarbeiter in Lohn und Brot.
International anerkannt
Doch zurück zum Ingenieur Ulrich Müther. Fachlich steht der Schalenbauer in der Tradition von Franz Dirschinger. Zu seinen ersten großen Bauten zählen der „Teepott“ in Warnemünde, das „Cosmos“ in Rostock und die „Ostseeperle“ in Glowe auf der Insel Rügen. Es folgt eine Berufung in den Arbeitsausschuss Schalentragwerke der Kammer der Technik der DDR und die nun mögliche Mitarbeit in der IASS (International Association for Shell and Spatial Structures). Damit verbunden sind erste Veröffentlichungen im IASS-Bullentin Madrid und die Teilnahme an Vorträgen im In- und Ausland.
Die internationale Zusammenarbeit und die gesammelten Erfahrungen führen zur Weiterentwicklung des Betonspritzverfahrens: 1972 wird in Oberhof der erste Bau einer künstlich gekühlten Rennschlitten- und Bobbahn möglich. Der Beton wird dabei direkt auf eine feinmaschige Drahtgewebe-Bewehrung aufgespritzt. Vorteil: Geometrisch schwierige Membranschalen können schalungslos hergestellt werden. Nach parallelen Bauvorhaben, wie dem „Ahornblatt“ in Berlin oder dem Ruderzentrum in Dresden, kam es nun auch zur Zusammenarbeit mit Jenoptik. So entstanden beispielsweise Planetarien in Tripolis, Wolfsburg, Kuwait und Helsinki.
Einzigartige Bautechnik
1997 stellte Ulrich Müther seine Bauwerke im Rahmen der Ausstellung über Ingenieurkunst des 20. Jahrhunderts im Pariser Centre Pompidou aus. Das britische Design-Magazin „Wallpaper“ kürte ihn zur „Persönlichkeit ´99“. Ulrich Müther wurde am 21. Juli 1934 in Binz geboren und verstarb dort am 21. August 2007. Mit ihm ist einer der letzten großen Rüganer aus dieser Welt getreten.
Auch caritativ tätig
Nachdem sein einziger Sohn Christian, der als Arzt an der Universität Greifswald tätig war, kurz nach dem Mauerfall verstarb, begann Ulrich Müther sich auch verstärkt sozial zu engagieren. Seit 1990 wird die „Christian-Müther-Gedächtnisfahrt“ mit bis zu 20 Traditionsseglern organisiert. Auf ihnen verleben jährlich etwa 200 Kinder erlebnisreiche Tage auf See. Seit 1995 gibt es die Christian-Müther-Stiftung „Segeln mit asthmakranken Kindern“.
Dazu passt sein persönliches Motto: „Pommersche Bauernsöhne arbeiten – und reden nicht viel“. Seine durch Fleiß und Kreativität erzielten Leistungen haben Maßstäbe gesetzt.
Im September 2024 wird im Ostseebad Binz eine Dauerausstellung mit dem Arbeitstitel „Müther Foyer“ eröffnet. Neben Modellen der Betonbauten, werden unter anderem Muster seiner Werke, Plakate, Werbeblätter, Fotos sowie Filme zu sehen sein.