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Preußisch Holland

Spuren der jüdischen Vergangenheit

Vor mehr als 200 Jahren wanderten Handwerker- und Kaufmannsfamilien ein – Die Ruinen des Friedhofs erzählen ihre Geschichte

Bettina Müller
24.04.2023

Menschen ohne ostpreußische Wurzeln wundern sich vielleicht über den Städtenamen „Preußisch Holland“. Was hatte Holländer in die Stadt verschlagen? Die Festschrift anlässlich des 600-jährigen Bestehens der Stadt – erschienen 1897 – gibt die Antwort. Darin wird ein Vers zitiert, der einst die längst zerstörte Rathausmauer zierte: „Flüchtlinge kamen hierher aus Holland, bauten die Mauern, bauten die Stadt sich zum Schutz, gaben den Namen ihr dann. Schau'n auf das fruchtbare Land, auf die Aussicht, schau'n auf das Andre, Wenige, wirst du gesteh'n, sind in dem Reiche ihr gleich.“ Tatsächlich waren es holländische Deichfachleute, die zu den ersten Siedlern im 1297 von Landmeister Meinhard von Querfurth mit dem Städteprivileg ausgestatteten Ort gehörten, weil man ihre Expertise bei der Eindeichung des Wechseldeltas dringend benötigte. Den Holländern folgten im Laufe der Zeit Franzosen, Schweizer und Schotten – Menschen, die auch unterschiedliche Konfessionen mitbrachten.

Als König Friedrich Wilhelm III. am 11. März 1812 das Edikt über „Die bürgerlichen Verhältnisse der Juden im Preußischen Staate“ erließ, durften jüdische Menschen dauerhaft an einem Ort sesshaft werden, was ihnen vorher verwehrt worden war. Man erklärte sie zu Inländern und preußischen Staatsbürgern, doch erwünscht waren sie dadurch noch lange nicht. Der Magistrat der Stadt hatte sich geschlossen gegen sie ausgesprochen, musste sich dann aber dem König beugen, der nun mal das Gesetz vertrat.

Waren davor vereinzelt jüdische Handwerker auf der Durchreise in der Stadt gewesen, wanderten nun ganze Familien vor allem aus Westpreußen ein, wo die Familienoberhäupter im Februar 1813 von der Regierung ihren Staatsbürgerbrief erhalten hatten – unter der Bedingung, einen festen Familiennamen anzunehmen, was vorher nicht der Fall war. Das wurde dokumentiert, sodass man noch heute die ersten Juden in Preußisch Holland, die zwischen 1813 und 1816 in die Stadt kamen, identifizieren kann: Unter anderem waren das Nathan Joseph Fürst und Levin Tobias Lindenheim, beide aus Krojanke. Dringend erforderlich war somit eine größere Begräbnisstätte, die schließlich 1817 entstand, als ein zuvor genutzter kleiner Friedhof nicht mehr genug Platz bot.

Ein „guter Ort“

Die Gemeinde entschied sich für einen damals etwas außerhalb gelegenen Platz an der Krossener Chaussee [Wojska Polskiego]. 1878 baute man eine neue repräsentative Synagoge an der Steintorstraße. Neben Königsberg war Preußisch Holland die einzige Stadt in Ostpreußen, in der die jüdische Gemeinde Eigentümerin ihrer Synagoge war.

Natürlich nagt die Zeit an diesem bemerkenswerten Relikt der Vergangenheit, an dem einst zirka 100 mal 50 Meter großen „guten Ort“, wie ein Friedhof im jüdischen Glauben heißt. Er ist in einem schlechten Zustand, Verfall und Zerstörung aufzuhalten beziehungsweise zu beseitigen ist eine Herausforderung. Helfende Hände gibt es immer mal wieder. In einer Aktion des „Bundes Junges Ostpreußen“ reisten bereits vor 20 Jahren Jugendliche unter der Devise „Denkmalschutz in Preußisch Holland – Arbeit gegen die Patina des Vergessens“ in die Republik Polen. Sie entfernten Wildwuchs, versuchten, umgestürzte Grabsteine wieder aufzurichten und fügten zerschlagene Steine zusammen. Das Entfernen von antisemitischen Graffitis gestaltete sich jedoch als schwierig und gelang nicht vollständig. Heute liest man bei einem Besuch die ersten deutschen Inschriften auf den insgesamt 23 noch erhaltenen Grabsteinen, den einzigen Zeugnissen der verlorenen deutsch-jüdischen Vergangenheit der Stadt. Sieht die Namen all derer, denen es, so wie ihren christlichen Nachbarn, nicht vergönnt war, in ihrer Heimat zu bleiben, darunter auch Mitglieder der Familie Laserstein, Agnes und Leopold, aus der die bekannte Malerin Lotte Laserstein stammt.

Namen, die man im Staatsarchiv Leipzig wiederfindet, wo das (nicht vollständige) jüdische Friedhofsverzeichnis der Stadt aufbewahrt wird: 14 Seiten mit den Namen der Sterbefälle, 139 eingetragene Begräbnisse. Die noch erhaltenen Grabsteine sind schlicht, manche werden von klassizistischen Elementen geziert. Sie sind zumeist von der Größe und Formensprache her gleich, so wie es die Menschen im Tod auch sein sollen. Die wenigen noch vorhandenen, für jüdische Friedhöfe typischen Inschriften beziehen sich etwa auf die Erlösung von Krankheit und Schmerzen. Da heißt es auf dem Grabstein von Rubin Ladendorf: „Deinen Schmerzen bist du nun entbunden, und ruhest froh von Himmelsglanz umwunden.“ Gelegentlich sind die hebräischen Inschriften auf der Vorderseite mit ihrem deutschen Äquivalent auf der Rückseite noch gut erkennbar.

Zunehmende Assimilation sichtbar

Etliche Kaufmannsfamilien hatten es in der Stadt zu einem gewissen Wohlstand gebracht, was eine zunehmende Assimilation mit sich brachte. Daher wird es auch opulentere Grabstätten gegeben haben, die jedoch nicht mehr erhalten sind. In Betracht kommt vor allem die Familie Aris, die kurz nach dem Edikt von 1812 in die Stadt kam und die noch bis 1937 im Telefonbuch verzeichnet war. Der Kaufmann Heinrich Aris galt als „der wohlhabendste Mann der Stadt mit einem geschätzten Vermögen von 1 Million Reichsmark“, heißt es in der Stadtchronik. Diese Familie hatte somit auch die meisten Gräber erworben. Und wie so oft bestanden familiäre Verbindungen in die Umgebung. 1818 war Aron Aris in Braunsberg eingewandert, ein Lederhändler, so wie die Aris' in Preußisch Holland auch. Sein Nachfahre Leopold Aris verfasste später die „Geschichte der jüdischen Gemeinde und der Chewra Kaddischa zu Braunsberg“, der Beerdigungsbruderschaft.

Vergessene Namen, Familien, die auch in der Bundesrepublik erloschen sind und allenfalls auf jüdischen Friedhöfen anzutreffen sind, wie zum Beispiel auf der Grabstätte Grumach auf dem Jüdischen Friedhof von Weißensee oder der der Lindenheims in Mannheim, wo sich ebenfalls Nachfahren niedergelassen hatten. Vergessene Namen, aber trotz seines schlechten Zustandes ist der Friedhof ein bemerkenswertes Relikt der jüdischen Vergangenheit von Preußisch Holland, eben ein „guter Ort“.


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