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Tiefe gesellschaftliche Gräben: Corona-Proteste Ende 2021
Foto: imago images / ZUMA WireTiefe gesellschaftliche Gräben: Corona-Proteste Ende 2021

Gedanken zur Jahreswende

Staatsversagen, ein Regierungswechsel und unüberwindbar scheinende Gräben

Das zu Ende gehende Jahr 2021 brachte unserem Land gleich mehrere Ereignisse und Entwicklungen, die auch seine mittlere und längerfristige Zukunft beeinflussen werden

René Nehring
31.12.2021

Seit alters her schauen die Menschen zur Jahreswende zurück auf die vergangenen zwölf Monate und blicken auf dieser Grundlage voraus, was im neuen Jahr auf sie zukommen könnte. Das nun zu Ende gehende Jahr 2021 brachte unserem Land gleich mehrere Ereignisse und Erkenntnisse, die unsere mittlere und längerfristige Zukunft beeinflussen werden.

Im Juli offenbarte eine Hochwasserflut im Westen – vor allem an der Ahr – ein eklatantes Staatsversagen. Die Flut offenbarte gravierende Mängel im Katastrophenschutz, sie offenbarte die Unfähigkeit bei Entscheidern des politischen Lebens, im Krisenfall Führung zu zeigen, und sie offenbarte die Unfähigkeit des den Deutschen lieb und teuren öffentlich-rechtlichen Rundfunks, grundlegende Aufgaben zu erfüllen. Mindestens 184 Menschen kostete dieses multiple Versagen das Leben. Wohlgemerkt nicht in Lateinamerika oder in Afrika oder auf dem indischen Subkontinent, sondern in Deutschland. 

Ende einer Ära

Anders als die Flut selbst ist das Versagen wichtiger Institutionen kein Naturereignis, sondern das Ergebnis eines menschengemachten Prozesses. Nun rächt sich, dass immer öfter Führungspositionen und selbst Stellen im Mittelbau der Apparate nicht mehr nach Qualifikation, sondern nach der richtigen politischen Einstellung sowie nach äußeren Merkmalen wie Geschlecht oder Abstammung vergeben werden. In der Konsequenz sitzen nun vielfach Leute in der Verantwortung, die im Ernstfall nicht über die erforderlichen Fähigkeiten zur Leitung eines Ministeriums, einer Fachbehörde oder des Katastrophenschutzes verfügen. 

Ein großer Einschnitt ist auch der Regierungswechsel im Herbst. Unabhängig davon, wie man zu Kanzlerin Merkel steht, bedeutet ihr Abgang nach 16 Jahren das Ende einer Ära. Die neue Regierung wird von einem auf Bundesebene bislang nicht gekannten Parteienbündnis getragen, dessen Mitglieder bei vielen „harten“ Themen weit auseinanderliegen, bei den sogenannten weichen wie Gender, Zuwanderung oder Familie jedoch nicht. Was vermuten lässt, dass sich die Koalitionäre gerade hier schnell einigen dürften. 

Bei „harten Themen“ wie Außenpolitik, Energiewende und Landwirtschaft zeigen sich die Grünen, die hier jeweils die Ressortverantwortung tragen, nach 16 Jahren Regierungsabstinenz überaus ambitioniert. SPD und FDP hingegen geben sich bislang verhalten, wobei die Liberalen hauptsächlich damit ringen, wie sie ihre Wahlversprechen „keine Steuererhöhungen“ und „keine Impfpflicht“ einhalten können, beziehungsweise wie es für den Fall, dass diese doch kommen, es nicht nach einem Bruch der Wahlversprechen aussieht. 

Die dritte grundlegende Veränderung des Jahres sind die immer größer werdenden Gräben in unserer Gesellschaft. Zwei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie und ein Jahr nach dem Start der Impfungen ist das Land zutiefst gespalten. Während der Staat und die meisten Bürger darauf setzen, durch möglichst viele Impfungen die Pandemie endlich in den Griff zu bekommen, lehnt eine große Minderheit eine „Zwangsimmunisierung“ als unzulässigen Eingriff in die Unverletzlichkeit ihres Körpers ab. 

Eine tiefe gesellschaftliche Spaltung 

Besorgniserregend ist dabei die Zunahme der Gewaltbereitschaft. So werden vielerorts Polizisten mit Fäusten oder Reizgas attackiert und Politiker in Bund und Ländern durch Demonstrationen vor ihren privaten Wohnsitzen eingeschüchtert. Dass Gewalt – auch nur verbale – niemals ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist, scheint nicht mehr selbstverständlich zu sein. 

Allerdings haben auch staatliche Institutionen und Repräsentanten im Laufe der Corona-Pandemie selten überzeugt. Allzu oft wurde zu spät oder halbherzig gehandelt. Und obwohl bis heute keine gesicherten Daten über die Verläufe des Pandemiegeschehens vorliegen, setzt der Staat immer wieder auf pauschale Lösungen: im vergangenen Jahr die Schließung von Bundesländergrenzen, von Schulen oder von Restaurants, in diesem Jahr der weitgehende Ausschluss aller Ungeimpften vom öffentlichen Leben. Und dies, obwohl Länder wie Bayern oder Hamburg gerade erst zugeben mussten, den Impfstatus der Patienten auf den Intensivstationen bislang gar nicht erfasst zu haben. 

Geradezu plump sind die Versuche, Kritiker der Corona-Politik pauschal in die „rechte Ecke“ stellen zu wollen. Dabei geht die Zahl der Demonstranten längst in die Hunderttausende, die Zahl der Ungeimpften sogar in die Millionen. Dies sollte klugen Staatslenkern zeigen, dass die Skeptiker nicht alles nur „Rechte“ sein können – und dass ihre Zahl längst so groß ist, dass man sie weder zur Impfung zwingen noch sie dauerhaft aus dem öffentlichen Leben ausschließen kann. 

Gute Aussichten für 2022 sind all das nicht. Ein Hoffnungsschimmer war kurz vor Weihnachten die Aussage von Olaf Scholz, dass er auch „Kanzler der Ungeimpften“ sei. Wie wahr. Die Möglichkeiten der Bürger, auf die Geschicke des Landes Einfluss zu nehmen, sind begrenzt. Und doch kann jeder bei sich selbst anfangen. Wenn jeder Geimpfte in seinem Umfeld die Argumente der Ungeimpften wenigstens anhören würde und umgekehrt, wären die Gräben in unserer Gesellschaft weit weniger tief als derzeit. Das wäre doch ein guter Anfang für das neue Jahr.

 


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Kommentare

Harald Schröder am 07.01.22, 09:49 Uhr

Herr Nehring, sie schreiben von Demonstrationen bei denen Polizisten mit Reizgas und Faustschlägen traktiert worden wären. Dem entnehme ich, dass sie an keiner Demo von C-Maßnahmen-Kritikern teilgenommen haben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Bewusst herbeigeführte Provokationen der Polizei, unverhältnismäßige Drohgebärden und nicht nur Gebärden, große Polizeipräsenz für friedlich protestierende Bürger, Einsatz von Wasserwerfern, gewaltsame Übergriffe, vorübergehende Festnahmen, nachdem zunächst sinnfreie kleinliche Regeln festgesetzt werden ... mit deren Überschreitung dann die aggressive Vorgehensweise legitimiert wird. Ansonsten stimme ich Ihnen in Vielem zu.

Kurt Kolvenbach am 03.01.22, 19:39 Uhr

Ich bitte, bei meinem Kommentar den letzten Satz wie folgt abzuändern:
Insofern hätte dieser Teil zumindest in seiner Einseitigkeit in ein linkes Schmutzblatt wie die "taz" gepaßt, aber nicht in die von mir sehr geschätzte PAZ.

Cornelius Angermann am 02.01.22, 11:08 Uhr

Kanzler der Ungeimpften? Eher Abkanzler der Ungeimpften! Auch Herrscher über die Ungeimpften wäre richtiger als seine Aussage.

Peter Müller am 01.01.22, 08:55 Uhr

Lieber Herr Nehrig,
bitte um Entschuldigung, aber Sie haben offenbar überhört bzw. überlesen, daß es für den "Scholzomaten" keine roten Linien mehr gibt!! Wie können Sie also da in puncto Scholz auch nur irgendeine Hoffnung haben??? Die Lügerei geht weiter!
Alles Gute im neuen Jahr an alle Leser!

s. Braun am 01.01.22, 08:21 Uhr

Politker mit einem Format eines Ludwig Erhardt, Willy Brandt oder Helmut Schmidt sucht man in der Parteienlandschaft vergebens !
Was uns heute regiert, würde auf dem Arbeitsmarkt durchfallen und größtenteils von Hartz4 leben, da sie völlig ungeeignet für egalwas sind !

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