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Vor 400 Jahren starb der Philosoph und christliche Theosoph Jakob Böhme. Das Schlesische Museum zu Görlitz widmet dem ersten Verfasser philosophischer Werke in deutscher Sprache eine Sonderausstellung
Was Immanuel Kant für Königsberg, ist Jacob Böhme für Görlitz. Der Philosoph und Vertreter des deutschen Idealismus Friedrich Wilhelm Joseph Schelling bezeichnete Böhme als „eine Wundererscheinung in der Geschichte des deutschen Geistes“, und für Schellings Kollegen und Zeitgenossen Georg Wilhelm Friedrich Hegel war Böhme „der erste deutsche Philosoph; der Inhalt seines Philosophierens ist echt deutsch“.
Geboren wurde der so Beschriebene 1575 in Alt Seidenberg in der Oberlausitz als einer von mehreren Söhnen einer Bauernfamilie. Wegen seiner schwächlichen Konstitution wurde er zum Schuhmacher bestimmt. In der ersten Hälfte der 1590er Jahre kam er nach Görlitz. Dort erwarb er 1599 das Bürgerrecht, kaufte ein Haus und heiratete die einheimische Handwerkertochter Catharina Kuntzschmann. Nach seiner eigenen Aussage hatte er im Jahr 1600 ein erstes mystisches Erlebnis. Im selben Jahr wurde sein erster Sohn geboren. Drei weitere folgten. Ab 1613 betrieb Böhme einen einträglichen Garnhandel. Er kam dadurch in andere Orte, auch nach Prag, und er war Gast bei verschiedenen niederschlesischen Adelsfamilien, die seinen Ansichten gegenüber aufgeschlossen waren.
Von ihm nicht beabsichtigt, wurde 1612 sein erstes Werk in Abschriften verbreitet: „Morgenröte im Aufgang (Aurora)“. Böhme selbst sprach von zwölf Jahren geistiger Schwangerschaft, um „Aurora“ niederzuschreiben. Alle Kerngedanken seiner späteren Aussagen über Gott und die Welt sind in diesem Werk bereits enthalten. Ein rundes Jahrzehnt später formulierte er in „Mysterium Magnum“: „Wenn ich betrachte, was Gott ist, so sage ich: Er ist das Eine gegenüber der Natur als ein ewig Nichts. Er hat weder Grund, Anfang noch Stätte und besitzt nichts als nur sich selber. Er ist der Wille des Urgrundes. Er ist in sich selber nur eines. Er bedarf keinen Raum noch Ort. Er gebäret von Ewigkeit in Ewigkeit sich selber in sich. Er ist keinem Dinge gleich oder ähnlich und hat keinen sonderlichen Ort, da er wohne. Die ewige Weisheit oder Verstand ist seine Wohnung. Er ist der Wille der Weisheit. Die Weisheit ist seine Offenbarung.“
Eine Wundererscheinung in der Geschichte des deutschen Geistes
In neun aufeinander aufbauenden Texten entwickelt Böhme die Grundzüge seiner Kosmologie – von der Selbstgebärung Gottes bis zur Erschaffung von Welt und Mensch. Eine Schlüsselstelle ist der Eingangssatz: „Der Urgrund ist ein ewig Nichts.“
Bis zum Jahr 1618 hielt er sich an ein ihm vom Rat der Stadt Görlitz auf Betreiben eines Pfarrers auferlegtes Schreibverbot. Kurioserweise waren es die Empörung seiner Kritiker aus den Reihen beider Kirchen und deren polemische Schriften gegen den Schuster, der nicht Theologie studiert hatte, die Böhme einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machten.
In seinem Todesjahr erschien mit „Der Weg zu Christus“ das einzige zu seinen Lebzeiten gedruckte Werk. Die über zwanzig anderen von ihm verfassten Werke zirkulierten ausschließlich als Abschriften. Erst 58 Jahre nach seinem Tod wurde in Amsterdam die erste Gesamtausgabe seiner Schriften gedruckt.
Böhme starb am 17. November 1624 in Görlitz. Seine Grabstätte ist noch heute auf dem Historischen Friedhof der Stadt zu finden. Zu deren Besuchern gehörte im Jahr 1813 auch Max von Schenkendorf. Dessen Gedicht „An Jacob Böhmes Grab“ zeugt von der Bewunderung des in Tilsit geborenen und aufgewachsenen Dichters für den fast zwei Jahrhunderte zuvor Verstorbenen.
Aus Anlass von Böhmes 400. Todestag in diesem und seinem 450. Geburtstag im kommenden Jahr zeigt das Schlesische Museum zu Görlitz die Ausstellung „Lilienzeit. Der mystische Philosoph Jacob Böhme und die Erneuerung der Welt“. Wenn der Besucher große Aufnahmefähigkeit und viel Zeit mitbringt, so kann er mit Hilfe einer Hörstation versuchen, in die Gedankenwelt Böhmes einzudringen. Die gelesenen Textpassagen fordern zu Selbsterforschung und Selbsterkenntnis auf.
Erstmals wird der Gedanke der Freiheit, des freien Willens des Menschen formuliert. In jedem Menschen, unabhängig von dessen Glaube, wohnt der göttliche Funke. In Böhmes Werk steckt geistiges Dynamit. Der sprachmächtige Autodidakt ist der bedeutendste Autor der christlichen Theosophie und der deutschen Mystik.
Über den geheimnisvollen Mann aus Görlitz sind allein in den zurückliegenden drei Jahrzehnten mehr als 400 geisteswissenschaftliche Arbeiten verfasst worden. Der Pflege und Verbreitung seines Werks hat sich die Internationale Jacob-Böhme-Gesellschaft angenommen.
Er ist überhaupt nicht zu lesen, wenn die Einstellung fehlt
Der Schriftsteller, Dichter und Maler Hermann Hesse formulierte zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts: „Er ist nicht nur schwer zu lesen, so wie Kant in vielen Kapiteln schwer zu lesen ist. Er ist überhaupt nicht zu lesen, wenn die Einstellung fehlt.“
Das zur Ausstellung im Schlesischen Museum in den drei Sprachen Deutsch, Polnisch und Englisch vorliegende Begleitheft bietet mit seinen übersichtlichen Texten einen hilfreichen Einstieg, um sich Böhmes Zeit, seinem Werk und seiner Gedankenwelt zu nähern. Spannend ist auch, über das Schicksal von Böhmes Schriften im Zweiten Weltkrieg zu lesen.
Böhmes Appell „Suchet die Lilie“ ist seit mehr als 400 Jahren eine hoffnungsvolle Botschaft in von Kriegen, Seuchen und Naturkatastrophen durchsetzten Zeiten. Mit der Lilie, einem Symbol für die Wiedergeburt, weist Böhme auf die Möglichkeit der Erneuerung der Welt hin. So heißt es abschließend im Begleitheft zur aktuellen Ausstellung: „Vor allem seine ethischen Positionen überraschen durch ihre Aktualität. Böhme betont die Würde aller Völker und Religionen, plädiert für einen respektvollen Umgang mit der Natur und prangert Machtmissbrauch an. Auf diese Weise ruft Böhme jede und jeden von uns auf, sich an der Erneuerung der Welt zu beteiligen, angefangen bei einem selbst. Er ist überzeugt, dass es an uns ist, die Lilienzeit einzuläuten.“
Die Sonderausstellung „Lilienzeit. Der mystische Philosoph Jacob Böhme und die Erneuerung der Welt“ ist noch bis zum 2. Februar im Schlesischen Museum zu Görlitz, Brüderstraße 8, Untermarkt 4, 02826 Görlitz, zu sehen, Telefon (03581) 8791-0, Fax (03581) 8791-200, E-Mail: kontakt@schlesisches-museum.de, Internet: www.schlesisches-museum.de.