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Östlich von Oder und Neiße

Süßigkeiten am Ort der Niederkunft

Schlesische Nachbarn pilgern gemeinsam im Grenzgebiet

Chris W. Wagner
26.09.2022

Immer, wenn Dora Gebhardt ihre Heimat besucht, steht eine Pilgerfahrt nach Mariahilf in Zuckmantel [Zlaté Hory] im kleinen tschechischen Teil Schlesiens auf dem Programm. Die in Franken lebende Malerin ist in der Nähe Zuckmantels geboren, musste aber 1946 ihre Heimat Niklasdorf [Mikulovice] im Kreis Ziegenhals verlassen. Doch Verbindung mit dem – wie sie sagt – schönsten Teil Schlesiens, dem Zuckmantler Bergland, hat sie sich über die Jahre erhalten. Den Pilgerort Mariahilf kenne sie, seit sie denken kann: „Meine Großmutter aus Hermannstadt [Heřmanovice] erzählte immer, dass sie schon als Kind zu Fuß nach Mariahilf gelaufen sind und sich hier Leute angeschaut haben, weil hier immer etwas los war.“ Dora Gebhardt lacht und berichtet, dass sie selbst seit den 1990er Jahren regelmäßig herkomme. Selbst bei der Einweihung der heutigen Pilgerstätte 1995 war sie dabei.

Mariahilf wird Pilgerstätte

Doch die Geschichte des Pilgerorts ist viel älter, berichtet Markéta Kovačová. Sie gehört der Deutschen Minderheit in Hermannstadt an und war von 1999 bis zur Pensionierung Sekretärin des damaligen Paters Stanislav Lekavy (1930–2020). Er erzählte stets gerne die Entstehungslegende von Mariahilf: „Während des Dreißigjährigen Krieges, als die Leute in den Zuckmantler Wäldern Zuflucht fanden, hatte eine Mutter einen Sohn geboren. Sie gab ihm den Namen Martin. Und als Dank für ihren Sohn versprach sie der Jungfrau Maria, ein Bild für sie malen zu lassen.“

Laut Legende handelt es sich bei der jungen Mutter um die Schlachterstochter Anna Tannheiser, die 1674 hochschwanger auf dem Berg mit dem Namen Gottesgabe, im Schutze eines Felsens unter einer großen Tanne niederkam. Anna Tannheiser konnte ihr Versprechen, als Dank ein Bild der Jungfrau Maria malen zu lassen, nicht erfüllen, erst ihre Enkelin hat das Gelübde eingelöst. Das Bild wurde an den Baum gehängt, unter dem das Kind geboren wurde. Und zu diesem Ort sollen bereits 1718 Gläubige gepilgert sein, sodass dort eine Holzkirche erbaut wurde. Anstelle des Holzkirchleins entstand ein gemauertes Gotteshaus, das am Festtag Mariä Geburt, am 8. September 1841, eingeweiht wurde. Die Berühmtheit dieses Pilgerortes wuchs, und noch vor dem Zweiten Weltkrieg sollen bis zu 100.000 Wallfahrer im Jahr nach Zuckmantel-Mariahilf gepilgert sein.

Pilgerzahl nimmt deutlich ab

Zu diesen Wallfahrern gehörten auch die Eltern von Markéta Kovačová, die aus dem nur sechs Kilometer entfernten Ort zu Fuß nach Zuckmantel kamen. „Meine Mama wurde schon als Kind nach Mariahilf mitgenommen und freute sich jedes Mal darauf, weil es dort immer Süßigkeiten gab“, lacht sie. „Ich habe mir als Kind diesen Ort immer als etwas Tolles vorgestellt, denn als ich klein war, gab es Mariahilf nicht mehr“, so Kovačová. 1955 haben die tschechoslowakischen Kommunisten diese Kirche schließen und 1973 abreißen lassen. Erst mit der politischen Wende konnten die Gläubigen in Zuckmantel wieder Hoffnung schöpfen, dass ihr Wallfahrtsort zu neuem Leben erweckt wird. Geholfen hat dabei Papst Johannes Paul II., der bei seinem Besuch in Mähren-Schlesien am 22. April 1989 den Grundstein für den Bau der neuen Mariahilf-Kirche in Zuckmantel legte.

Am 23. September 1995 war es dann soweit, die Einweihung konnte erfolgen. An der Eröffnungsmesse nahmen 12.000 Pilger aus Schlesien, Mähren, Böhmen und der Bundesrepublik teil. Darunter auch Dora Gebhardt, die den Auftrag erhielt, ein Porträt von Johannes Paul II. zu malen.

Zu Hause in der Fränkischen Schweiz machte sie sich an die Arbeit; aber: „Es hat nicht so ganz geklappt, wie ich wollte. Entnervt sagte ich dann: ‚Karol, wenn du mir jetzt nicht hilfst, dann wird das nichts!' Und er hat geholfen, plötzlich hat es gefluppt. Auf diese Weise hat er Mariahilf zum wiederholten Mal unterstützt“, lacht sie. Und seit genau zehn Jahren hängt ihr Bild nun über den Reliquien des Papstes in dieser Pilgerkirche. „Es ist für mich eine große Ehre in diesem Wallfahrtsort ein Bild zu haben“, sagt sie stolz. Etwas betrübt ist Dora Gebhardt trotzdem, denn noch vor zehn Jahren versammelten sich 2300 Schlesier in Zuckmantel. Dieses Jahr waren es nur noch 750 Gläubige aus der Republik Polen, der Tschechischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, die zur Wallfahrt kamen. Geschuldet sei dies auch der Coronazwangspause, sagt sie.

Deutsch als Katalysator

„Ich bin trotzdem glücklich, weil ich zu meinem kleinen zehnjährigen Jubiläum hier sein kann und auch wieder alte Bekannte treffe.“ Zu diesen gehören Markéta Kovačová und ihre Schwester Gabriela Kotasová, die froh sind, wieder Deutsch sprechen zu können. In ihrem heute tschechischen Hermannstadt gibt es nicht mehr viele Deutsche, die ihre Muttersprache bewahrt haben. „Wir haben Deutsch von unseren Eltern gelernt und beide an unsere Kinder weitergegeben. Sie sprechen heute besser Deutsch als wir und sind dankbar, weil sie dadurch gute Jobs in der Heimat fanden“, freut sich Kotasová. Die Hermannstädterinnen halten auch an der Familientradition fest und bringen ihren Kindern und Enkelkindern von der Wallfahrt Süßigkeiten mit.


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