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Tarnwesten, Draniki und Schürfwunden

Jeder zehnte Breslauer ist Ukrainer – Die Stadt ist eine Metropole der Hilfsbereitschaft

Chris W. Wagner
18.03.2022

Fährt man mit der Straßenbahn durch Breslau, bekommt man den Eindruck, dass ein Großteil der Fahrgäste ukrainisch spricht. Und das war schon lange vor Kriegsbeginn in der Ukraine so. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass im April 2021 knapp 40.000 Arbeitnehmer mit ukrainischem Pass allein in Breslau registriert waren. In der gesamten Woiwodschaft Niederschlesien gab es weitere 20.000 legal arbeitende Ukrainer. Hinzu kommen Studenten und nicht registrierte Schwarzarbeiter. Viele dieser Menschen stehen nun als Sprachmittler und Helfer den Kriegsflüchtlingen zur Seite, auch bei außergewöhnlichen Aktionen.

Tarnnetze und Kampfanzüge

An der Breslauer Kunstakademie haben sich nun Studenten und Dozenten zusammengetan, um Tarnnetzte für ukrainische Kämpfer zu knüpfen. Die Idee hatte Patrycja Letniowska. Sie stammt aus einer westukrainischen Kleinstadt und kam zum Studieren in die schlesische Metropole. „Vor acht Jahren, als die unschöne Geschichte mit Russland anfing, habe ich als Volontärin in meiner Heimat solche Netze geknüpft“, sagte die Kunststudentin im Morgenmagazin des staatlichen polnischen Fernsehsenders TVP. Mit diesen Tarnnetzen könne man Sprengstoff oder Autos abdecken, aber auch Menschen würden sich darunter verstecken können, meint sie. Die angehenden Künstler der Breslauer Akademie nähen auch Tarnanzüge für ukrainische Scharfschützen. Dafür bräuchten sie mehr scharfe Scheren und weitere helfende Hände, „weil ja nebenher noch studiert werden muss“, so Patrycja, die hofft, dass mit ihrer Aktion Leben gerettet werden können.

Zwei Tage nach Kriegsausbruch hatten sich griechisch-orthodoxe Frauen im Sitz ihrer Gemeinde zusammengefunden und ukrainische Piroggen gekocht. Gleich am ersten Tag wurden 40 Kilogramm Kartoffeln und 26 Kilogramm Teigtaschenfüllung verarbeitet. Die spontane Aktion war nur für einen Tag angelegt, doch daraus wurde ein Dauerbrenner. Bis zu 30 Freiwillige arbeiten nun in Schichten und ihr Menü beschränkt sich nicht mehr nur auf Piroggen. Es kamen weißrussische Draniki, die wir als Kartoffelpuffer kennen, dazu sowie ukrainische Pelmeni, also mit Fleisch gefüllte Teigtaschen oder polnische süße Naleśniki (dünne Pfannkuchen). Die Frauen verkaufen ihre Hausmannskost in einem Imbiss auf der Dominsel, und der Erlös wird in die Ukraine gespendet. Am Anfang waren es nur Ukrainerinnen, die kochten, doch schnell kamen polnische und weißrussische Frauen dazu. Die Weißrussinnen wollten zeigen, dass auch sie sich mit dem ukrainischen Volk solidarisieren, „egal wie Putin und Lukaschenko zueinander stehen“, so Halina Czekanowska im Onlineportal „Wroclaw.pl“.

Piroggen und Pelmeni

Am Sonntag, dem 13. März, haben sich auf dem Breslauer Ring polnische und ukrainische Jugendliche zusammengefunden und ukrainische Volkslieder gesungen. „Wir wollen damit nur etwas Freude machen und von den Sorgen ablenken“, sagte die Initiatorin Małgorzata Tutko. Sie berichtete in Radio Breslau, wie dankbar und gerührt die Zuhörer waren, und dass die Aktion auch zum Spenden anregte.

Im Radiosender Breslau selbst werden Sachspenden entgegengenommen. Die Reporter berichten nicht nur, sie engagieren sich auch selbst als Freiwillige bei Hilfsaktionen. Sie konnten innerhalb weniger Stunden zwei Rettungswagen samt Fahrer organisieren, die beladen mit medizinischen und Hygieneartikeln bereits in der Ukraine Hilfe leisten. Die Rettungsmannschaft sei kampferprobt, da sie davor in Afghanistan und der Ostukraine im Einsatz gewesen sei, heißt es in Radio Breslau.

Seit Kriegsbeginn haben sich Hunderte Freiwillige zur Hilfe gemeldet. Am meisten zu tun haben wohl die Helfer im Breslauer Bahnhof. „Wir sind erschöpft, haben die Woche kaum geschlafen. Wir brauchen dringend medizinische Fachkräfte, denn die Flüchtlinge kommen zunehmend in einem schlechteren Zustand an“, so der Freiwillige Paweł Sroka. Er berichtet von übermüdeten, dehydrierten Flüchtlingen, die oft fiebern, Schwellungen oder Schürfwunden aufweisen. Den Medizinern stehen Übersetzer zur Seite, versichert Sroka.


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