07.10.2024

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Im Februar 1990 in Halle an der Saale: Tausende nehmen an der Montagsdemonstration für die deutsche Wiedervereinigung teil
Foto: ullstein bild/ADN-BildarchivIm Februar 1990 in Halle an der Saale: Tausende nehmen an der Montagsdemonstration für die deutsche Wiedervereinigung teil

Totalitäre „Demokraten“

Die Deutsche Demokratische Republik war ein Unrechtsstaat, der 40 Jahre hinter einer Mauer mit Schießbefehl überlebte. Sie ist seit 35 Jahren Vergangenheit und wäre nun 75 Jahre alt geworden – Eine Bestandsaufnahme aus heutiger Sicht

Vera Lengsfeld
04.10.2024

Am 7. Oktober wäre die Deutsche Demokratische Republik 75 Jahre alt geworden. Stattdessen ist sie seit 35 Jahren Geschichte. Nach Beginn der Friedlichen Revolution, wenn man die erste Montagsdemonstration in Leipzig als solche bezeichnen will, hat es nur elf Monate gedauert, bis auch der Traum von der Demokratisierung der DDR ausgeträumt und die Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten vollzogen war.

Das Ende des sozialistischen deutschen Staates zog den Kollaps aller europäischen sozialistischen Staaten nach sich. Eine bis auf die Zähne atomar bewaffnete Macht brach fast widerstandslos in sich zusammen. Niemand hatte das vorausgesehen. Es war keine Revolution im klassischen Sinne. Keine Partei, keine Gruppe war der Treiber des Umsturzes, der das ganze sozialistische Lager erfasst hatte. Es gab keine Führer, die dem Volk sagten, was es tun solle. Es war das Volk selbst, das durchsetzte, was es wollte.

Blühende Landschaften
In der DDR war es eine schnelle Währungsunion und dann die schnelle Vereinigung. Enthusiasten, die begeistert waren, von dem, was sich vor aller Augen abspielte, riefen das Ende der Geschichte aus. Von nun an sollte es nur noch Demokratie geben. Die politische Klasse des Westens war weniger erbaut, dass ihre östlichen Pendants so schnell verschwanden. Meine These ist, dass es diese Leute waren, die sich geschworen haben, alles dafür zu tun, damit ihnen kein ähnliches Schicksal widerfahren kann. Das begann damit, dass die Bedeutung der Friedlichen Revolution heruntergespielt wurde. Den Demonstranten, so die Legende, die schnell gestrickt wurde, sei es nicht um Freiheit gegangen, sondern um Konsum. Unvergessen Otto Schily (SPD), der am Abend der Wahl der ersten freien Volkskammer, befragt, wie er den Sieg der Allianz für Deutschland kommentiere, eine Banane in die Kamera hielt.

Das Ossi-Bashing, das gegenwärtig eine neue Intensität erreicht, hat damals schon begonnen. Ja, es gab schon nach historisch kurzer Zeit die blühenden Landschaften, die Bundeskanzler Helmut Kohl versprochen hatte. Die heruntergewirtschaftete DDR auferstand buchstäblich aus Ruinen. Es ist, als hätte man ein Schatzkästlein geöffnet, den mit einer dicken Staubschicht bedeckten Inhalt gesäubert und ans Licht geholt. Nicht nur die Siedlungen, auch die Landschaft wirkt wie neu. Wo einst die verseuchteste Gegend der DDR war, im Raum Bitterfeld, ist heute eine gefragte Ausflugsgegend. Aus den Riesen-Tagebauen sind Seen geworden. Das einstmals schmutzigste Dorf Europas bietet heute begehrte Wassergrundstücke.

Dennoch liegt eine Missstimmung wie Mehltau über dem Land. Warum ist es nach über dreißig Jahren immer noch geteilt? Was ist schiefgelaufen? Für die ehemaligen DDR-Insassen (Joachim Gauck) war die Zeit nach der Vereinigung eine, die das bisherige Leben auf den Kopf stellte. Alles musste neu gelernt werden. Es gab nicht mehr eine, sondern viele Krankenversicherungen, auf Autos musste man nicht mehr jahrelang warten, sondern konnte sofort eins mitnehmen, auch wenn man nicht das nötige Geld hatte. Es gab ja Kredite. Der sicher geglaubte Arbeitsplatz konnte fast über Nacht verschwinden. Es gab keine Studienlenkung mehr, man musste sich selbst kümmern. Dem könnten zahlreiche Beispiele hinzugefügt werden. Vor allem haben die Ostdeutschen gelernt, dass Demokratie nicht etwas ein für allemal Gegebenes, sondern anstrengend ist, weil sie aktiv verteidigt werden muss. Das lernten sie schnell, denn sie hatten sich im Gegensatz zu den Westdeutschen, die Demokratie erkämpft. Wenn man sich fragt, wie es zu den unterschiedlichen Beurteilungen der demokratischen Lage unseres Landes kommen konnte, würde ich diesen Grund nennen.

Von allen Fehlern, die gemacht wurden, ist der größte, dass die herrschende Partei der DDR, die SED, mit ins vereinte Deutschland genommen wurde. Im Herbst und Frühwinter 1989/90 war der Autoritätsverfall der SED dann aber so groß, dass sie nicht mehr in der Lage war, das Land zu regieren. Diese Rolle, die nötigen politischen Entscheidungen zu treffen, wurde dem Runden Tisch nach polnischem Vorbild zugewiesen, an dem Alt- und Neuparteien je zur Hälfte saßen. Damit hatte sich die SED eine Startposition gesichert. Aber als im Dezember 1989 der letzte SED-Parteitag stattfand und Gregor Gysi die von der Mehrheit der Parteitagsdelegierten gewollte Auflösung der SED mit dem Argument verhinderte, dann wäre das Vermögen futsch, hätte die Partei verboten werden müssen. Das Zeitfenster, in dem das möglich gewesen wäre, war da, aber nur kurz. Es endete am 30. Januar 1990, als der Runde Tisch den Termin für die erste freie Volkskammerwahl beschloss.

Die SED spielt weiter mit
Ungleicher hätte ein Wahlkampf nicht sein können. Die SED mit ihrem Milliardenvermögen gegen die mittellosen Neugründungen. Zwar gewann die Allianz für Deutschland, der mehrere Blockparteien angehörten, aber die SED, die sich in PDS umbenannt hatte, zog mit 16,4 Prozent in die Volkskammer ein, während Bündnis 90/Grüne zusammen gerade mal auf
fünf Prozent kamen. In den folgenden zweieinhalb Jahrzehnten beherrschte die PDS die Medienberichterstattung aus den neuen Bundesländern. Die früheren Propagandisten der Arbeiterklasse, wie die SED-Ideologen sich genannt hatten, wurden erfahrene Demagogen, die den Aufbau der neuen Bundesländer mit allen Mitteln sabotierten. Sie hatten zu viel Erfolg damit, Negativ-Bezeichnungen in Umlauf zu bringen. „Abbau Ost“, „Kolonialisierung“, „Bürger zweiter Klasse“ vergifteten die Atmosphäre.

Gysi klebt am Talkshowsitz
Willige Helfer fand die PDS, die „Nachfolgepartei“ genannt wurde, obwohl sie die Fortsetzung der SED war, in den Medien und den westdeutschen Linken, die sich nach einer „richtigen“ Linkspartei sehnten. Der Parteivorsitzende Gysi war fest mit den Talkshow-Sitzen verbunden, dank seiner geschickten Rhetorik. Zwar erreichte die PDS bei Wahlen nie wieder so viele absolute Stimmen wie bei der Volkskammerwahl, dennoch wurde sie zur „Volkspartei“ erklärt, zur Vertreterin der „Ostinteressen“. Erst im Jahr 2002 zog sie nicht mehr in Fraktionsstärke in den Deutschen Bundestag ein. Sie war nur noch durch zwei Abgeordnete vertreten, die ein Direktmandat gewonnen hatten. Ein Revival und die Ausdehnung in den Westen wurde der Linkspartei, wie sie mit wieder neuem Etikett inzwischen hieß, durch die Vereinigung mit der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) des Oskar Lafontaine geschenkt.

Es handelte sich aber nur um ein Zwischenhoch. In den 16 Jahren der Merkel-Regierung begann der Einfluss der Linken immer mehr abzunehmen. Der Zeitgeist hatte sich dem Klimaschutz zugewandt, zu dem die SED-Linke nichts Originäres zu sagen hatte. Außerdem hatten sich die Medien hinter Merkel versammelt, weil sie von ihr als inoffizielle Mitregierende behandelt wurden.

Unter Merkel bildete sich ein mächtiges politisch-mediales Kartell heraus, das immer weniger Widerspruch duldete. Die Meinungsfreiheit wurde Stück für Stück abgeschafft. Eine offene Debatte fand immer weniger statt, bis sie ganz aufhörte. Um das zu erreichen, wurde der Begriff „Hassrede“ erfunden. Wer die Regierungspolitik kritisierte, war ein „Hater“ und damit ganz rechts. Wenn jemand als rechts stigmatisiert wurde, war damit rechtsextrem gemeint, denn das Bewusstsein, dass zu einer Demokratie neben einer Linken auch eine demokratische Rechte gehört, war längst nicht mehr vorhanden. Demonstrationen wurden nicht mehr als legitimes Recht freier Bürger angesehen, sondern als antidemokratischer Störfaktor. Dass besonders in den neuen Bundesländern vom Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht wird, irritiert bis heute viele Westdeutsche. Warum sind die Ossis so undankbar?

Wofür sollen sie dankbar sein? Sie haben sich die Freiheit und die Vereinigung gegen den Willen der politischen Eliten erkämpft. Im Gegensatz zur Mehrheit der heutigen Bürgergeldempfänger wurden aus den meisten Ostdeutschen nach einer Durststrecke wieder Steuerzahler. Die Neugier der Ostdeutschen auf die Westdeutschen war groß, umgekehrt war das seltener der Fall. Wie groß das Unwissen über den Osten noch immer ist, wurde mir neulich vor Augen geführt, als ich bei einem Konzert des Loh-Orchesters Sondershausen, das älteste Berufsorchester Deutschlands, zwei ältere Herren aus Bonn traf, die gekommen waren, um Igor Levit im Zusammenspiel mit diesem Klangkörper zu erleben. Sie waren nicht nur erstaunt über die Schönheit des Schlosses und der Stadt, sondern vor allem darüber, wie international besetzt das Orchester ist. Die Musiker kommen aus China, Korea, Italien, Russland, der Ukraine, Israel, Polen. Die beiden Herren waren keine verbohrten Ideologen, sondern durch die Medienberichterstattung über die neuen Länder desinformiert. Sie waren von dem, was sie im Osten erlebt hatten, begeistert.

Die neue Renaissance des alten Denunzierens
Zu den Desinformationen gehört, dass es sich bei der gegenwärtigen Entwicklung in Deutschland um eine DDR 2.0 handele. Diese Kategorisierung erschwert die Analyse. Nur ein Beispiel: Die SED brauchte zu ihrer Machtsicherung „Schild und Schwert der Partei“, wie die Staatssicherheit in der SED-Propaganda genannt wurde. Die Führungsoffiziere mussten sich im Geheimen mit ihren Informanten treffen, mussten ihre Beziehung zu ihnen pflegen, auch mit Geld. Die Inoffiziellen Mitarbeiter mussten ihre Tätigkeit vor allen verstecken. Es galt: Der Denunziant ist der größte Schuft im Land.

Heute gibt es Denunziationsportale in Ministerien und bei Institutionen wie der Amadeu-Antonio-Stiftung. Es wird öffentlich zur Denunziation von Mitmenschen aufgerufen und gefordert, auch Äußerungen zu melden, die unter der Strafbarkeitsgrenze liegen. Personen mit unliebsamen Meinungen werden öffentlich angeprangert, und es kann ihnen passieren, dass ihnen das Konto oder der Job gekündigt wird.

Wir leben nicht in einer Diktatur, erfahren aber, dass sich totalitäre Verhaltensmuster auch in einer Demokratie entwickeln können. Die Demokratie wird von ihren selbst ernannten Verteidigern zersetzt, die sich totalitärer Methoden bedienen. Das geschieht, weil die wichtigste Lehre aus den beiden deutschen Diktaturen des letzten Jahrhunderts nicht gezogen wurde: Man muss die Methoden der Totalitären ächten.


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