Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Vorpommersche Kleinstadtkirche beherbergt seltenen Mühlenaltar
Vom vorpommerschen Städtchen Tribsees wäre von der A 20 aus kaum etwas zu erkennen, lenkte ein Kirchenbau nicht schon von weitem den Blick auf den Ort. Wuchtiger Backsteinturm, rotes Ziegeldach – das ist sie, die Tribseeser Thomaskirche, wie sie sich über die kleinen Häuser der 2600 Einwohner zählenden Stadt erhebt. Tribsees, nur von Recknitz- und Trebeltal von Mecklenburg getrennt, war nicht nur ein Ackerbürger- und Handwerkerstädtchen, wie es etliche gab. Wegen ihrer geografischen Lage hatte sie auch als Grenz- und Zollstation Bedeutung. Aber das ist lange her. Neuere Bekanntheit erlangt Tribsees eher durch die Bauschäden an der unweit entlang führenden A 20 und den daraus resultierenden Staus.
In der schnellen Welt von heute rollt der Verkehr dennoch an der Stadt vorbei. Dabei ist die mittelalterliche Tribseeser Kirche wirklich einen Abstecher wert. Wer das Innere betritt, wird von einem wohlproportionierten, dreischiffigen Raum empfangen, dessen hellblau getünchte Gewölbereihen von weißroten Kreuzrippenbögen gegliedert sind. Baugeschichtsinteressierte dürften schnell interessante Details entdecken, denn immerhin stammen die ältesten Teile, wie an den romanischen Leibungen zu erkennen, aus der Zeit der Stadtgründung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Mönche des 1231 südwestlich von Stralsund gegründeten Zisterzienserklosters Neuenkamp, später Franzburg, sollen in der weiteren Folge Regie geführt haben.
Glaubenszeugnisse verschiedener Epochen
Deutliche Spuren haben freilich auch andere Stilrichtungen hinterlassen. Beim Rundgang lenken alsbald Glaubenszeugnisse verschiedener Epochen, so vor allem der Licht durchflutete Chor mit dem 5,50 Meter breiten und zwei Meter hohen Flügelaltar, die Aufmerksamkeit auf sich. Ein rechter Ort für den, der Einkehr und Erbauung sucht. Bei gründlicher Betrachtung des Altars wird es wirklich spannend: Das beeindruckende Stück zählt nämlich zu den wenigen Mühlenaltären, die in Deutschland bekannt sind. Warum Mühlenaltar, erzählt die Skulpturenszenerie des Mittelschreins mit dem hochmittelalterlichen Sakramentsmühlenmotiv. Das machte Gläubige mit dem Geheimnis der Transsubstantiation (geistliche Wesensverwandlung) vertraut. Zu erkennen sind die Evangelisten Markus, Matthäus, Johannes und Lukas in Gestalt ihrer Symbole (Löwe, Engel, Adler, Stier), wie sie im Beisein der zwölf Apostel Spruchbänder mit alttestamentlichen Prophetien in einen Mühlentrichter geben. Nach dem Mahlgang verlassen die Bänder die Mühle mit dem Ergebnis, dass ihre frohe Botschaft im Jesuskind Menschengestalt angenommen hat. Jesus selbst fängt die Evangelien in einem Abendmahlskelch auf. Die Kirchenlehrer Augustinus, Gregor der Große, Hieronymus und Ambrosius stehen dem Gottessohn segnend zur Seite. Gedeutet wird die Darstellung auch als sinnbildliche Verbindung von altem und neuem Testament. Man muss sich freilich etwas Zeit nehmen, um die biblischen Gestalten und die Glaubensbotschaft des Mühlenaltars zu verstehen. Dann aber gewinnt die Darstellung eine starke Kraft.
Der 1430/40 in einer Rostocker Holzschnitzerwerkstatt - also im nahen Mecklenburgischen - entstandene Schrein mit seinen 67 Figuren erzählt noch eine Reihe weiterer biblischer Geschichten. Die Szenarien sind von den Holzschnitzern mit einem für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts erstaunlichen Formensinn nachempfunden worden, zu erkennen an den ausdrucksstarken Gesichtern und dem Faltenwurf der Kleider. Bemerkenswert auch, dass der Altar sowohl den Bildersturm der Reformation als auch Kriege und Feuersbrünste nahezu unbeschadet überstand. 1996/97 ist das fast 600 Jahre alte Werk restauriert worden.
Die Zisterzienser verwandten das Motiv der Sakramentsmühle seinerzeit recht häufig. Wahrscheinlich haben sie auch in Tribsees ihren Einfluss geltend gemacht. Schreine wie der in der Tribseeser Kirche sind heute äußerst selten. Ähnliche Arbeiten können nur noch im Doberaner Münster, in der Dorfkirche von Retschow, unweit Doberan, und in der Kirche zum Hl. Kreuz in Rostock betrachtet werden. Bildhafte Darstellungen sind auch in Ulm, Göttingen und im Erfurter Dom bekannt. Auch das soll erwähnt bleiben: Der kleine vorpommersche Ort Tribsees liegt an einem Zweig des baltischen Jacobswegs, der von den baltischen Ländern und Polen über Usedom nach Osnabrück führt. Die Thomaskirche lädt von Mai bis Oktober täglich zwischen 10 bis 12 und 14 bis 16 Uhr zum Besuch ein.