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Von seiner Zusammensetzung hängt die ermittelte Inflationsrate ab: der „Warenkorb“
Foto: imago/McPHOTOVon seiner Zusammensetzung hängt die ermittelte Inflationsrate ab: der „Warenkorb“

Destatis

Tricksen bei der Inflationsrate

Wie das Statistische Bundesamt mit einem neuen „Warenkorb“ die Preissteigerung abgemildert zu haben scheint

Hermann Müller
14.03.2023

Ende vergangenen Jahres überraschten einige Volkswirte mit der Prognose, die Inflation werde für die deutschen Verbraucher spürbar zurückgehen, die Zeit zweistelliger Inflationsraten sei bereits vorbei. Die Ökonomen verbanden dies oftmals mit dem Hinweis, die staatlichen Entlastungspakete, etwa die Übernahme der Abschlagszahlungen für Erdgas durch den Staat, werde sich deutlich in einem Rückgang der Inflationsraten niederschlagen. Revidierte Daten, die das Statistische Bundesamt (Destatis) inzwischen vorgelegt hat, scheinen diese Prognose zu belegen.

Für den vergangenen Dezember meldete Destatis nachträglich eine Preisteuerung von 8,1 Prozent im Vergleich zum vorausgegangenen Dezember. Für den November 2022 ermittelte die Statistikbehörde 8,8 Prozent. Zum Vergleich: Im Oktober hatte das Bundesamt mit 10,4 Prozent die höchste Inflationsrate seit 1951 ermittelt.

Bei der Abschwächung der Teuerungsdaten zum Jahresende spielt allerdings nicht nur das mittlerweile dritte Entlastungspaket der Bundesregierung eine Rolle. Wie schon in der Vergangenheit, hat Destatis eine Revision des Verbraucherpreisindex vorgenommen. Dieser sogenannte Warenkorb zur Ermittlung der Inflationsrate wird üblicherweise alle fünf Jahre überarbeitet und auf ein neues Basisjahr umgestellt. Bei der jüngsten Revision zog Destatis für den Januar 2023 nun als Basisjahr 2020 heran. Vor der Umstellung war 2015 das Basisjahr gewesen.

Heizkosten weniger relevant?

Erstaunlich wenig öffentliche Aufmerksamkeit erregte die neue Zusammenstellung des statistischen Warenkorbs durch Destatis. Er umfasst rund 700 Produkte und Dienstleistungen. Neu aufgenommen hat Destatis in den Warenkorb Produkte wie Smartwatches und Fitnesstracker, aber auch Alltagshilfen für ältere Menschen, etwa Gehhilfen. Stärker berücksichtigt werden nun auch Preise im Onlinehandel. Höher gewichtet wurden von Destatis Ausgaben für Verkehr, Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke oder auch für Gesundheit.

Hingegen mit einer geringeren Gewichtung fließen in den Warenkorb nun Ausgaben für Wohnung, Wasser, Strom und Brennstoffe ein. Gerade in diesen Bereichen sind die Preise im vergangenen Jahr allerdings besonders stark gestiegen, teilweise explodiert. Der Vermutung, dass bei der Revision des Warenkorbes politische Gründe mitgespielt haben, tritt Destatis entgegen. Die Entscheidungen zur Revision seien auf Fachebene getroffen worden, so das Amt.

Zieht man den neuen Warenkorb als Berechnungsgrundlage heran, dann hat die Inflationsrate im gesamten Jahr 2022 durchschnittlich nur 6,9 Prozent betragen. Bei der alten Berechnung hatten die Statistiker 7,9 Prozent ermittelt. Für den bisherigen Rekordmonat Oktober berechnete das Bundesamt revidiert nur noch 8,8 Prozent statt 10,4 Prozent.

Mittlerweile scheint der dämpfende Effekt der neuen Warenkorbzusammenstellung allerdings schon wieder nachzulassen. Auf der Grundlage der revidierten Berechnungsgrundlage kletterten die Verbraucherpreise im Januar um durchschnittlich 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Auch für den Februar meldete Destatis als vorläufige Schätzung einen Inflationswert von 8,7 Prozent.

Existenzielle Probleme nehmen zu

Ein noch anderes Bild liefern die Inflationsberechnungen des Statistischen Amts der Europäischen Union (Eurostat) in Luxemburg. Dieses greift bei seiner Inflationsberechnung für die Eurozone auf einen „harmonisierten Verbraucherpreisindex“ zurück. Auf dessen Grundlage hat Eurostat für den Februar als Vorabschätzung für den gesamten Euroraum eine Inflationsrate von 8,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gemeldet. Für Deutschland berechnet Eurostat auf Basis der europäischen Berechnungsweise für den Februar eine Inflationsrate von 9,3 Prozent. Die höchste Inflationsrate im Euroraum hat laut Eurostat derzeit Lettland mit 21,4 Prozent, die niedrigste Luxemburg mit 5,8 Prozent.

Ungeachtet der verschiedenen Berechnungsmethoden bringen die steigenden Preise im Alltag inzwischen immer mehr Deutsche in Schwierigkeiten. Bei einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Postbank gab jeder sechste Befragte an, er sehe sich durch die anhaltende Teuerung bereits vor existentiellen Problemen. Jeder Dritte greift mittlerweile auf Rücklagen zurück, um die täglich anfallenden Ausgaben bezahlen zu können. Knapp 17 Prozent gaben an, dass sie aufgrund der gestiegenen Preise kaum noch ihre Lebenshaltungskosten bezahlen können. Unter den Beziehern von Nettoeinkommen unter 2500 Euro pro Monat befindet sich inzwischen sogar jeder Vierte in existentieller Not.


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Kommentare

Adam Schmidt am 26.03.23, 12:18 Uhr

Daß durch die Zusammenstellung des betrachteten Warenkorbes das was man landläufig unter Inflation versteht (in Wahrheit ist es aber nur die Preissteigerung) manipuliert werden kann und wird, ist nichts neues. Der eigentliche Skandal ist aber daß man dadurch vom Blick auf die Geldpolitik der EZB ablenkt, die dadurch, daß in einem nur selten in der Geschichte dagewesenen Ausmaß Geld gedruckt wird, unsere Ersparnisse enteignet!

Bernhard Meier am 15.03.23, 09:02 Uhr

Zitat Wikipedia: "EUROSTAT berechnet regelmäßig die Kerninflationsrate als einen um die Energie- und Lebensmittelkomponenten bereinigten HVPI. Dieser wird von der EZB als ein Indikator bei der Festlegung geldpolitischer Maßnahmen genutzt."

Damit wird deutlich, dass politische Organe das Überleben der Bürger nicht interessiert. Es gibt schlichtweg kein statistisches Medium, das die Inflation des Lebensnotwendigen in einer Statistikgröße erfasst. Man hat den Eindruck, dass zu genaue Informationen politisch nicht gewollt sind.

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