26.04.2024

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Hitler-Tagebücher

Triumph der Sensationsgier

Vor vierzig Jahren blamierte sich der „Stern“ mit der Präsentation der vermeintlichen Tagebücher Adolf Hitlers. Was als Coup geplant war, wurde zu einem der größten Skandale der deutschen Pressegeschichte

Malte Herwig
22.04.2023

Es ist der 30. Juni 1935, und Adolf Hitler hat Probleme mit seiner Eva: „Mußte es E. wieder einmal sagen, sie ist eine junge Frau und wenn sie mich weiterhin so drängt, sie möchte mehr an meiner Seite sein und auch einmal eine Familie haben, muß ich mich von ihr trennen.“ Sorgen macht ihm am gleichen Tag auch das Stechen in seiner Brust, „da sich meine Ärzte bei einer Untersuchung immer so komisch ansehen.“

Wie menschlich, wie nachvollziehbar: Wer kennt solche Sorgen nicht? Und was tut der Führer des deutschen Volkes, der mit diktatorischer Hand über das Dritte Reich herrscht, um sich von der Last der Staatsgeschäfte zu erholen? „Habe mir etwas Entspannung durch Aktmalerei besorgt“, vertraut der verhinderte Kunstmaler einen Monat später seinem Tagebuch an. „Werde sooft es die Zeit erlaubt mit Zeichenblock und Stift arbeiten.“

So jedenfalls steht es in den angeblichen Tagebüchern des Adolf Hitler, mit deren Veröffentlichung das Magazin „Stern“ am 28. April 1983 einen der größten Presseskandale der Bundesrepublik auslöste. „Wie Sternreporter Gerd Heidemann die Tagebücher fand“, lautete der Titel der 14-seitigen Geschichte, die in Ausgabe 18 des Magazins erschien – jenem berühmt-berüchtigten Heft, auf dessen Titelseite ein blaues Tagebuch mit den goldenen Initialen „FH“ abgebildet war.

Rätselraten um die Initialen „FH“

Dann nahm die Tragikomödie ihren Lauf, und die Welt rätselte unter anderem über die Frage, was „FH“ denn zu bedeuten habe. „Führer Hitler“? „Führerhauptquartier“? „Führers Hund“? Für die Fans von Helmut Dietls großartiger Komödie „Schtonk“ (1992) sei klargestellt: Ähnliche Diskussionen hat es im Verlagshaus von Gruner + Jahr in Hamburg damals tatsächlich gegeben. Als sich ein Redakteur über die Fraktur-Initialen aus billigem Plastik auf den Tagebüchern wunderte, antwortete Heidemann, Hitlers Sekretär Martin Bormann persönlich habe ihm erzählt, dass sich schon „der Führer“ über die Buchstaben geärgert habe, da man sie leicht als „I H“ lesen könne: „Idiot Hitler“.

Auch die renommierte Fernsehjournalistin Barbara Dickmann war skeptisch, als der „Stern“ sie 1983 von den „Tagesthemen“ abwarb, um auf den letzten Metern für „stern-TV“ schnell noch einen Film über den sensationellen Fund zu produzieren. Publicity für die weltweite Vermarktung der Hitler-Story, hoffte der Verlag. Ich mache keinen Werbefilm, dachte sich Dickmann.

Am Tegernsee stellte ihr Gerd Heidemann Hitlers-Chefpilot Hans Baur, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS a.D., vor. Dieser sollte vor der Kamera erzählen, wie das war mit der abgestürzten Führermaschine des Piloten Gundelfinger, in der sich die Tagebücher angeblich befunden hatten.

Ein Werbefilm für die Weltsensation

Da man beim „Stern“ um jeden Preis vermeiden wollte, dass vor dem Erscheinen der Weltsensation irgendetwas bekannt wurde, drehte Dickmann unter höchster Geheimhaltung mit einem internationalen Team, zu dem auch ein israelischer Kameramann gehörte.

Erste Bedingung von Baur und seinem Aufpasser: Der jüdische Kameramann darf nicht ins Haus! Gerd Heidemann hatte eine Begründung für den unerhörten Vorgang, erinnert sich Dickmann: „Ein israelischer Kameramann könnte irgendwas erzählen, da kann man sich nicht drauf verlassen, schon gar nicht wenn der bei Baur und den ganzen großkopfigen Nazis dreht“. Heidemann selbst erinnert sich heute nicht mehr an den Kameramann. Er wisse nur, „dass das Filminterview mit General a.D. Hans Baur ohne Komplikationen durchgeführt wurde“, teilt er auf Anfrage mit.

Dickmanns Eindruck von Baur: „Er war natürlich ein Nazi erster Güte, ist ja klar.“ Und an solchen Nazis hatte man im Verlag Gruner+Jahr gerade großen Bedarf. Bei Karl Wolff, dem ehemaligen General der Waffen-SS und Stabschef von Heinrich Himmler, wurde es der Filmemacherin langsam unheimlich. „Ich saß am Küchentisch, und der Herr Wolff erzählte dann aus der ganzen Zeit und die Tochter hat uns Tee gemacht und ich saß da und aß ihre selbstgebackenen Plätzchen. Und dann so zwischendrin habe ich mir gedacht: Was machst du da eigentlich? Du sitzt da ganz gemütlich mit einem der höchsten Offiziere von Hitler und lässt dir da Tee einschenken.“

Stoff für eine Illustrierte

Doch anders als Gerd Heidemann, der den SS-General „Wölffchen“ nannte und als Trauzeugen auf seine Hochzeit einlud, sollte Barbara Dickmann ihre professionelle Distanz nicht verlieren. Obwohl sie zu den wenigen gehörte, die in das Geheimprojekt eingeweiht waren, hielten Heidemann und Thomas Walde, der Ressortleiter Zeitgeschichte beim „Stern“, sie auf Distanz. Sie durfte filmen, wie Heidemann die Tagebücher aus dem Safe einer Züricher Bank holt. „Aber ich durfte sie nicht anfassen oder aufblättern“. Später bekam sie lediglich einige Zitate zum Abfilmen vorgelegt.

Schon die wenigen Ausschnitte, die Dickmann filmen durfte, machten sie misstrauisch. Sie fand die ausgewählten Passagen „ziemlich schwach“. Neue Erkenntnisse über das Dritte Reich, über Judenvernichtung und Kriegsgeschehen? Fehlanzeige. Stattdessen: Hitlers Privatmeinung zu den Novemberpogromen 1938 (pure Geldverschwendung) oder zum Holocaust (Himmler ist schuld) und ein Schlüssellochblick ins Führer-Schlafzimmer (Eva hat eine Scheinschwangerschaft). Eine braune Wundertüte – wie gemacht für eine Illustrierte. Das Hitler-Bild, das aus diesen Tagebüchern erscheint, ist ein anderes als das der Geschichtsbücher: Es zeigt den „Führer“ als ganz normalen Menschen.

Dickmann zweifelte, ob die „Stern“-Chefredakteure Peter Koch und Felix Schmidt sich überhaupt der Wirkung bewusst waren, die eine Veröffentlichung von Tagebüchern Adolf Hitlers in der rechtsxtremen Szene der Bundesrepublik Anfang der 80er Jahre haben würde. Aber ihr Co-Autor Klaus Harpprecht schien der einzige zu sein, der diese Zweifel teilte. Der renommierte Journalist und ehemalige Redenschreiber von Willy Brandt war mit einer Auschwitz-Überlebenden verheiratet und über jeden politischen Zweifel erhaben. Er führte für die „Stern“-Dokumentation Interviews und sprach einen Kommentar am Ende des Films.

Darin warnte Harpprecht vor der Gefahr, die von dem Einblick in das Seelenleben des Diktators Adolf Hitler ausgeht: „Der nette, der fürsorgliche, der menschliche Hitler. Das kann der Ansatz einer neuen Legendenbildung, die Ouvertüre einer Verklärung sein. Eine Stimmung, die danach drängt, scheint sich vorzubereiten, auch bei manchen Jungen.“

Der braune Herr Kujau

Es ist durchaus denkbar, dass die „Hitler-Tagebücher“ in den 1980er Jahren einen deutschen Geschichtsrevisionismus beflügelt hätten, wären sie nicht bald als Fälschung aufgeflogen und zurück in einen Safe im Keller des Verlagsgebäudes von Gruner+Jahr verfrachtet worden.

Tatsächlich haben umfangreiche Recherchen des NDR erst vor wenigen Wochen gezeigt, wie braun der Sumpf war, aus dem die Hitler-Tagebücher des „Stern“ quollen. Alt- und Neonazis, Waffenschieber und Kriminelle waren daran beteiligt, dass die Ausgeburt von Kujaus Phantasie in den „Stern“ und an die deutsche Öffentlichkeit gelangen konnte.

Einer von Kujaus Helfern war der Rechtsanwalt Peter Stöckicht, der Mitglied der NPD war und auch den Neonazi Michael Kühnen vertrat. Ein anderer war der Stuttgarter Neonazi Lothar Zaulich, der als Kühnens Pressesprecher auftrat und Kujau in seiner Fälscherwerkstatt dabei half, sich Hitlers Handschrift anzueignen. Und der listige Hochstapler und Selbstvermarkter Konrad Kujau, den man aus lustigen TV-Auftritten bei Thomas Gottschalk kennt? Der bezeichnete sich selbst, bevor alles aufflog, als überzeugten Neonazi, besuchte seine Stammkneipe in SS-Uniform und hob die Schreibhand zum Hitlergruß.

Weder die Verlagsleitung von Gruner+Jahr noch die Chefredaktion schienen sich Gedanken gemacht zu haben, mit wem sie sich für diese Geschichte eigentlich an einen Tisch setzten. Im Gegenteil: Um die Tagebücher besser vermarkten zu können, ließ sich der „Stern“ sogar auf einen Deal mit der Familie von Rudolf Heß ein: Als Gegenleistung für Informationen über Hitlers noch immer in Spandau inhaftierten ehemaligen Stellvertreter verpflichteten sich Walde und Heidemann, ein Interview mit dessen Frau und Sohn im „Stern“ abzudrucken, in dem diese Hitler und Heß als Männer beschrieben, die nur den Weltfrieden im Sinn gehabt hätten.

Alle Zweifel ignoriert

Nur die beiden Filmemacher Dickmann und Harpprecht hakten nach, obwohl sie ja eigentlich bloß einen Marketingfilm für den größten Fund der „Stern“-Geschichte produzieren sollten. Harpprecht fragte Chefredakteur Felix Schmidt, ob denn mit den „Stern“-Honoraren nicht Aktivitäten finanziert werden könnten, „die weder Ihnen, noch mir, noch, wie ich hoffe, der Mehrzahl Ihrer Leser sehr sympathisch sein können“. Schmidts schmallippige Antwort: „Nach den uns vorliegenden Informationen ist das unwahrscheinlich.“

Der Motor hinter der Geschichte war laut Barbara Dickmann vor allem eins: „Die Sensationsgier des ,Stern', eine weltweit beachtete Story herauszubringen, nämlich die Schlagzeile: Wir haben die Hitler-Tagebücher gefunden.“ Dafür hatte der Verlag am Ende fast zehn Millionen Mark gezahlt. Was aus dem Geld wurde, konnte auch der anschließende Prozess gegen Konrad Kujau und Gerd Heidemann nicht klären. Fest steht nur: Die Verantwortlichen bei Gruner+Jahr schien es nicht zu interessieren, bei welchen dubiosen Typen der Lohn für ihren Knüller gelandet war.

„Die haben Glück gehabt, dass es ,Schtonk!' gegeben hat“, sagt Barbara Dickmann rückblickend. „Dadurch wurde das ganze vom ,Stern' weggenommen und ins Lächerliche gezogen“. Der Film aber, den Barbara Dickmann und Klaus Harpp-recht damals über den Fund gemacht haben, ist noch immer sehenswert.

Er zeigt, dass man sich als Journalistin nicht mit einer Sache gemein machen muss, auch nicht mit der eigenen. Dass man kritisch nachfragen kann, auch wenn alle wollen, dass man einen Werbefilm über Journalismus dreht. Dass die heute so vielbeschworene journalistische Haltung manchmal dann am mutigsten ist, wenn sie sich gegen die Chefredaktion und die Verlagsleitung im eigenen Haus richtet.

• Dr. Malte Herwig ist Publizist und Schriftsteller. Zu seinen Büchern gehört „Meister der Dämmerung. Peter Handke“ (DVA 2010) und „Der große Kalanag. Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte“ (Penguin Verlag 2021). 2018 entdeckte Herwig im Keller des ehemaligen „stern“-Reporters Gerd Heidemann hunderte Audiokassetten mit Gesprächen, die dieser zwischen 1980 und 1983 mit Konrad Kujau geführt hatte, und produzierte danach für Gruner+Jahr den preisgekrönten Podcast „Faking Hitler“.
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Kommentare

Gregor Scharf am 25.04.23, 15:01 Uhr

Selbst wenn sie echt gewesen wären, wer braucht den Dreck?

Bertram Graw am 25.04.23, 10:01 Uhr

"...antwortete Heidemann, Hitlers Sekretär Martin Bormann persönlich habe ihm erzählt ..."?
Heidemann, geb. 1931 - Bormann, gest. 1945. Da passt wohl etwas nicht.

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