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Nach der Wahl steht Polen vor einem Regierungswechsel. Die Deutsche Minderheit erhält kein Sejm-Mandat
Am 15. Oktober wählten die Polen ihr neues Parlament. Und wie im Vorfeld oft betont, sollte es eine Schicksalswahl werden zwischen einem westlich orientierten Kurs unter der Bürgerkoalition Donald Tusks und anderen Oppositionsparteien sowie einem nationalistischen Kurs hin zu einem autoritär anmutenden Staat, wie ihn die bisherige Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawied-liwość, PiS) unter Jarosław Kaczyński in den letzten Jahren verfolgte.
Es war eine Wahl, bei der sich die Bürger zwischen zwei Welten entscheiden sollten. Kein Wunder also, dass die Wahlbeteiligung auf einem Rekordhoch von 74,38 Prozent lag. Die PiS ging zwar mit einem Stimmenanteil von 35,38 Prozent als Sieger aus dem Rennen. Eine dritte Regierungszeit wird es jedoch für sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben.
Doch noch gibt sich die PiS nicht geschlagen. Sie betont ihren Wahlsieg und sieht darin für sich den klaren Auftrag zur Regierungsbildung, auch wenn mögliche Koalitionspartner rar sind, denn außer der populistisch-liberalen „Konfederacja“ bleiben keine Optionen. Und auch mit dieser Partei zusammen kommt sie nur auf 212 Mandate im 460-Sitze-Sejm.
Schwierige Koalitionsbildung
Den Regierungsauftrag könnte die PiS zunächst trotzdem bekommen, stammte doch Staatspräsident Andrzej Duda, der die Entscheidung fällt, aus diesem Lager. Ein solcher Schritt würde aber nur das Unabdingbare in die Länge ziehen, nämlich die Machtübergabe, für die die Polen schließlich gestimmt haben. Denn die Opposition aus Bürgerkoalition, „Drittem Weg“, der sich aus den Parteien „Polska 2050“ und Bauernpartei PSL zusammensetzt, sowie die sozialdemokratische „Lewica“, kommen gemeinsam auf eine komfortable Mandatsmehrheit von 248.
Doch noch diskutieren auch die zukünftigen Regierungsparteien über den Inhalt ihres Koalitionsvertrages und die personelle Zusammensetzung der Regierung. Dabei sind sie sich in einigen weltanschaulichen Dingen keineswegs einig. So sind mehr Rechte für Homosexuelle oder das Thema Abtreibung potenzielle Streitpunkte. Bauernparteichef Władysław Kosiniak-Kamysz meinte zum Beispiel bei „Radio Zet“, man solle diese Dinge erst gar nicht in den Koalitionsvertrag aufnehmen, die „Lewica“ dagegen, die sich gerade für die teilweise kontrovers diskutierten Themen stark macht, sieht das anders. Doch auch in diesem Lager weiß man, dass man das Land nur in eine andere Richtung lenken kann, wenn man aufeinander zugeht.
Bis der Machtwechsel vollzogen wird. dürfte es also noch etwas dauern. Dies gibt der bisherigen Regierung Zeit, sich auf die neue Zukunft vorzubereiten und – wie manche behaupten – Beweise für eigenes schuldhaftes Verhalten zu beseitigen. Doch auch die bisherige Opposition braucht Zeit, um nach der Wahl im Alltag anzukommen und gemeinsam einen Weg für die kommenden Jahre einzuschlagen.
In jedem Fall aber dürfte Polen kurz vor einem Richtungswechsel hin zum Westen stehen, auf den sich vor allem die jungen Polen mehrheitlich freuen – vor dem es den PiS-Wählern dagegen graut.
Debakel für deutsche Minderheit
Nach der Wahl muss sich auch die deutsche Minderheit in der Oppelner Region auf eine neue Zeit einstellen – nämlich eine ohne einen eigenen Abgeordneten. Über dreißig Jahre lang gab es immer zunächst sieben, dann fünf, zwei und schließlich die letzten 16 Jahre einen Abgeordneten der Minderheit. Rund 6.000 Stimmen fehlten dieses Mal dem einzigen minderheitlichen Wahlkomitee in Polen, um bei der Mandatsvergabe im Wahlkreis Oppeln berücksichtigt zu werden.
Ryszard Galla, der 18 Jahre lang Abgeordneter der Minderheit und bei dieser Wahl wieder ihr Spitzenkandidat war, sowie Rafał Bartek, Chef des Dachverbandes der Deutschen in Polen, sehen für die Wahlniederlage drei Gründe. Zum einen sei eine hohe Wahlbeteiligung immer ein Problem für die Minderheit, die eben nur regional auftritt und damit eine begrenzte Wählerschaft hat. „Wir sind uns aber auch bewusst, dass in dieser Situation, in der das Schicksal des demokratischen Polens und sein Platz in Europa auf dem Spiel standen, viele Wähler vor einem Dilemma standen, die großen Parteien zu wählen, die in den Medien als diejenigen dargestellt wurden, die Einfluss auf die Richtung der Entwicklung des Landes haben, oder ein regionales Komitee, das nur auf der Ebene einer Woiwodschaft agiert“, so Bartek. Und Galla verweist auf den Trugschluss, der Sitz für die Minderheit sei gesetzlich garantiert. „Obwohl wir das immer wieder dementiert haben und sagten, wir müssten ebenfalls zumindest in der Region über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, blieben viele wohl bei dem Irrglauben, uns sei der Sitz sicher, und haben sich deshalb für ein anderes Komitee entschieden“, sagt der Noch-Abgeordnete.
Was tut die Minderheit nun? Wie es aus der Oppelner Organisation der Minderheit heißt, wolle man den Wahlkampf und die Wahlergebnisse intern aufarbeiten und Schlüsse für die kommende Wahl ziehen. Und diese gibt es nicht erst in vier Jahren, sondern in rund sechs Monaten. Dann werden in Polen die Selbstverwaltungen, also Gemeinderäte, Bürgermeister, Kreisräte und Woiwodschaftsparlamente (Sejmiks), gewählt. Hier konnte sich die Minderheit mit ihrer regionalen Ausrichtung den Wählern bisher besser präsentieren. Eine Wahlschlappe wie am 15. Oktober will man deshalb tunlichst vermeiden und im besten Fall wieder in der Woiwodschaft und den Kreisen mitregieren sowie eigene Bürgermeister stellen.
Dr. Rudolf Urban ist Chefredakteur der Zeitung „Wochenblatt.pl – Zeitung der Deutschen in Polen“.
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