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Labours noch lebende Premiers: Keir Starmer, Tony Blair und Gordon Brown (von links)
Bild: Splash by ShutterstockLabours noch lebende Premiers: Keir Starmer, Tony Blair und Gordon Brown (von links)

Labour Party

Triumph und Tragödie der britischen Linken

Einmal Verstaatlichung und zurück: Die 125-jährige Geschichte der aktuellen Regierungspartei des Vereinigten Königreiches ist reich an Windungen

Claudia Hansen
21.02.2025

An den nass-kalten Februartagen des Jahres 1900 versammelte sich in der Congregational Memorial Hall in der Londoner Farringdon Road, wo einst das berüchtigte Fleet-Gefängnis gestanden hatte, eine Gruppe von Gewerkschaftern, Sozialisten und anderen linken politischen Aktivisten. Ihr Ziel war es, ihre Kräfte zu bündeln und eine neue Partei aus der Taufe zu heben. Massiv gefördert wurde dies vom Gewerkschaftsbund Trade Union Congress (TUC). Am 27. Februar 1900 gründeten sie das Labour Representation Committee, das ein paar Jahre später in Labour Party umbenannt wurde. Angeführt wurde die Partei von Keir Hardie, erster Parteisekretär wurde Ramsay MacDonald.

So begann die Geschichte der neben den Konservativen einflussreichsten Partei des Vereinigten Königreichs, die zeitweilig auf ganz Europa ausstrahlte. Die Labour Party betrat die politische Bühne später als die deutschen Sozialdemokraten, wurde aber ebenso wirkmächtig. Obwohl ihre bis heute sieben Premierminister im 20. und 21. Jahrhundert Großbritannien weit weniger Jahre als die Tory-Premiers regierten, hat die Partei das Land tief geprägt – stets hin- und hergerissen zwischen sozialistischen und gemäßigt-sozialdemokratischen Flügeln.

In den Anfangsjahren stand Labour im Schatten der Liberal Party, der sozialreformerischen Kraft der Zeit. Doch seit dem Ersten Weltkrieg baute sie rasch eine Massenbasis auf und konnte dank ausgeweitetem Wahlrecht mehr und mehr Parlamentssitze erringen. 1918 nahm Labour die „Clause IV“ in ihr Grundsatzprogramm auf. Diese Klausel unterstrich die Forderung nach breiter Verstaatlichung der Produktionsmittel, sprich der wirtschaftlichen Basis des Landes. Auch wenn das Wort „Sozialismus“ vermieden wurde, war es effektiv ein sozialistisches Programm.

Als erster Labour-Premierminister kam der Schotte MacDonald 1924 mit einer von den Liberalen unterstützten Minderheitsregierung in die Downing Street No. 10. Innenpolitisch startete er ein staatliches Häuserbauprogramm. Sehr umstritten war seine außenpolitische Entscheidung, die Sowjetunion anzuerkennen. Schon nach zehn Monaten stürzte die Regierung. 1929 kehrte MacDonald zurück an die Macht. In der Weltwirtschaftskrise 1931 ging er eine Koalition mit den Konservativen ein und wurde deshalb aus seiner Partei ausgeschlossen. Während des Zweiten Weltkriegs war Labour Juniorpartner in Churchills Koalitionsregierungen.

Atlee und der Nachkriegskonsens
Der große Moment, das Land in ihrem Sinne umzugestalten, kam direkt nach dem Ende des Weltkriegs. Labours Anführer Clement Attlee besiegte Winston Churchill in einem Erdrutschsieg im Juli 1945 und begann mit der Verwirklichung des sozialistischen Wahlprogramms: Ein Großteil der Schwerindustrie, vom Kohlebergbau bis zu den Stahlwerken, die Eisenbahnen, der Straßenfernverkehr, die Strom- und Gaswerke sowie die Bank of England wurden verstaatlicht. Die Gewerkschaften bekamen sehr viel mehr Macht, der Staat begann stärker als je zuvor die Wirtschaft zu steuern. 1948 gründete der Labour-Politiker Aneurin Bevan (siehe PAZ vom 11. November 2022) den staatlichen, steuerfinanzierten Gesundheitsdienst National Health Service (NHS). Labours Ziel war die Schaffung eines Wohlfahrtsstaats, der die Bürger „von der Wiege bis zur Bahre“ versorgen sollte. Damit legte Labour das Fundament eines Nachkriegskonsenses. Bei Churchills Rückkehr an die Regierung 1951 wagten die Tories keine grundsätzliche wirtschaftspolitische Wende.

Fast drei Jahrzehnte hielt der Nachkriegskonsens, die Betonung von Wohlfahrtsstaat, Gewerkschaftsmacht, keynesianischer schuldenfinanzierter Finanzpolitik – das war der Triumph der Labour-Zeit, die aber in einer Tragödie endete. In den sechziger Jahren konnte Labour-Premier Harold Wilson eine Zeit des Wohlstands verwalten, jedoch kam in den späten siebziger Jahren, als James Callaghan übernahm, das keynesianisch-wohlfahrtsstaatliche Modell immer mehr in Bedrängnis: Die britische Industrie, mit den sehr starken Gewerkschaften im Nacken, verlor an Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum wurde immer schwächer, hohe staatliche Defizite und steigende Inflation beunruhigten die Bürger. Schließlich brachten radikale Gewerkschaften im Winter 1978/79 das Land mit einer Streikwelle zum Stillstand.

Das war der Krisenpunkt, in dem die radikale konservative Reformerin Margaret Thatcher mit ihrem Erdrutschsieg in der Parlamentswahl Labour zerschmetterte. Thatcher brach den sozialistisch-wohlfahrtsstaatlichen Konsens, drängte die Gewerkschaftsmacht zurück und setzte auf Privatisierung und Deregulierung. 18 Jahre musste Labour nun auf den Oppositionsbänken ausharren, wobei innerparteiliche Konflikte zwischen radikalen Linken und gemäßigten Linken tobten. Letztlich siegten die Modernisierer um Tony Blair. 1997 brachte er Labour mit der größten parlamentarischen Mehrheit der Geschichte zurück an die Macht.

Tony Blair und New Labour
Blair war beeinflusst von der Idee eines „Dritten Weges“ des Soziologen Anthony Giddens, tatsächlich hat er einen Großteil des marktwirtschaftlichen Kurses der „Eisernen Lady“ fortgeführt. Auf die Frage, was ihre größte Leistung gewesen sei, antwortete die Ex-Premierministerin ganz trocken: Blair und New Labour. Die Labour Party verabschiedete sich von der „Clause IV“, der Forderung nach Verstaatlichungen. Blair verfolgte eine linksliberale Modernisierungsagenda. Sein Bild als Premier wird allerdings auf immer durch die höchst zweifelhafte Entscheidung 2003 zur Teilnahme am Irakkrieg überschattet bleiben. Linke Gruppen organisierten Massendemos gegen ihn.

Seit Tony Blair und Gordon Brown, der nach dem Finanzcrash ein Krisenpremier wurde, war die Partei eine andere. Zwar gab es sozialistische Rückfälle unter dem erfolglosen linksradikalen Parteiführer Jeremy Corbyn, der gegen Brexit-Premier Boris Johnson verlor. Doch der heutige Labour-Premier Keir Starmer rückte die Partei wieder in die linke Mitte.

Labour ist heute, 125 Jahre nach der Gründung, in Europa eine der wenigen verbliebenen Regierungsparteien der linken Mitte. Besonders gut läuft es indes nicht. Das versprochene Wirtschaftswachstum will nicht kommen, die Probleme des ineffizienten Gesundheitsdienstes NHS kriegt die Starmer-Regierung nicht in den Griff. Viele Briten sind unzufrieden. Nach aktuellen Umfragen ist Labour mit weniger als 25 Prozent Zustimmung hinter die rechtspopulistische Reform UK, die ehemalige Brexit Party, zurückgefallen. Man kann die Nervosität in der Partei mit Händen greifen. Wie die Konservativen, die bei der Parlamentswahl 2024 auf das schlechteste Ergebnis ihrer 190-jährigen Geschichte fielen, bezeugen können, garantiert eine große Vergangenheit nicht unbedingt eine große Zukunft.


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