30.04.2025

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Trotz Mega-Prozess: Die Rätsel um NSU bleiben

Hagen Ritter
14.04.2025

Wie kann es nach diesen umfangreichen Ermittlungen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) eigentlich sein, dass noch immer Hinweise auftauchen, die vieles Sichergeglaubte infrage stellen? Der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München war der größte Strafrechtsprozess in der Bundesrepublik. Beate Zschäpe wurde 2018 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Mordes und versuchten Mordes, Raubes, räuberischer Erpressung und Brandstiftung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Vorangegangen war ein Prozess, der fünf Jahre dauerte. Das Gericht hatte in dieser Zeit 541 Zeugen und 56 Sachverständige angehört.

Obendrein gab es in acht Landesparlamenten und dreimal im Bundestag parlamentarische Untersuchungsausschüsse zum NSU. Kaum ein Vorgang wurde bisher in der Bundesrepublik intensiver unter die Lupe genommen, so möchte man jedenfalls meinen. Doch trotz aller Bemühungen kommen weiter brisante Informationen ans Tageslicht.

Die „Bild“-Zeitung berichtete etwa am 31. März, Beate Zschäpe habe nach dem Auffliegen des NSU zwölfmal eine Telefonnummer der Verfassungsschutzabteilung des Thüringer Innenministeriums angerufen. Nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt befand sich Zschäpe über vier Tage auf der Flucht, bevor sie sich am 8. November 2011 der Polizei in Jena stellte.

40 V-Leute identifiziert
Bei ihrem Bericht über die Kontaktversuche mit dem Verfassungsschutz (VS)stützt sich „Bild“ auf mit dem Fall betraue Personen. Namentlich genannt wird die Ex-Vorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx (SPD). Sie bestätigte, Beate Zschäpe habe „zehnmal oder mehr“ beim Verfassungsschutz angerufen.

Spekulationen über informelle Kontakte von Zschäpe zu Sicherheitsbehörden sind nicht gänzlich neu. Bereits bevor das NSU-Trio im Januar 1998 in die Illegalität abtauchte, soll der Thüringer Verfassungsschutz erwogen haben, Zschäpe als Vertrauensperson, also als Informantin, anzuwerben. Nach offizieller Darstellung hat der VS diese Überlegung wieder verworfen.

Bereits einige Zeit vor dem Abtauchen des Trios soll Zschäpe nach einer Verhaftung durch die Polizei sehr bereitwillig Auskünfte gegeben haben, als ihr Observationsfotos der Thüringer Neonaziszene vorgelegt wurden. Generell scheint es, dass die Bereitschaft innerhalb der Szene, sich als Informant des VS anwerben zu lassen, zur damaligen Zeit überraschend groß war.

Allein mit Bezug zum NSU wurden mittlerweile über vierzig V-Leute identifiziert, die zu Spitzeldiensten bereit waren. Im Raum steht der Verdacht, dass es einen V-Mann im nahen Umfeld von Zschäpe gegeben hat. Diese Vermutung stützt sich auf ein Vernehmungsprotokoll, in das „Bild“ Einsicht hatte. Demnach soll ein Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) versucht haben, Telefondaten von Zschäpes sichergestellten Mobiltelefonen zu löschen. Ein Abteilungsleiter mit Einblick in den Vorgang äußerte den Verdacht, dass mit der versuchten Datenlöschung eine Person in Umfeld Zschäpes geschützt werden sollte. Wie „Bild“ berichtete, sollen zwei Informanten der Zeitung verraten haben, dass beim Bundesamt für Verfassungsschutz nach dem Auffliegen des NSU-Trios deutlich mehr Akten vernichtet worden sein sollen, als dies bislang bekannt war.

Wenige Tage nach dem Auffliegen des Trios im November 2011 hatte ein hochrangiger Mitarbeiter des Bundesamtes Akten von sieben V-Leuten (Decknamen „Tarif“, „Tonfarbe“, „Treppe“, „Tusche“, „Tinte“, „Tacho“ und „Tobago/Investor“) aus der Neonazi-Szene vernichten lassen. Ermittlungen gegen den Referatsleiter wegen der Schredder-Aktion wollte die Kölner Staatsanwaltschaft einstellen. Am Ende musste der Beamte 3000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen, dafür wurde das Verfahren eingestellt.

Dass nun der Vorwurf im Raum steht, es seien 2011 noch mehr Akten geschreddert worden, wirft insbesondere auf die Arbeit der drei Untersuchungsausschüsse des Bundestages kein gutes Licht. Dort war die Aktenvernichtung nämlich Thema gewesen.


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