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Wie transatlantische Stimmen daran erinnern, dass Europas Stabilität auch in Zukunft nur mit und nicht gegen Russland möglich ist
Am Donnerstag vergangener Woche sorgte ein Leitartikel der „New York Times“ für Furore, in dem die renommierte Zeitung ein paar Fragen an die US-Politik in Sachen Ukrainekrieg richtete. Zwar verdiene, so die „Times“, die Ukraine nach wie vor „Unterstützung gegen die unprovozierte Aggression Russlands“, andererseits sei es jedoch „nicht in Amerikas bestem Interesse, sich in einen totalen Krieg mit Russland zu stürzen“.
Konkret will die „Times“ unter anderem von ihrer Regierung wissen, ob die Vereinigten Staaten versuchten, zur Beendigung dieses Konflikts beizutragen – oder ob die USA nunmehr versuchten, Russland dauerhaft zu schwächen. Weitere Fragen der Redaktion betreffen die US-Ziele in Bezug auf Wladimir Putin sowie Meldungen, die USA hätten nachrichtendienstliche Informationen geliefert, um Russen zu töten und eines ihrer Schiffe zu versenken. „Ohne Klarheit in diesen Fragen“, so die „Times“, „riskiert das Weiße Haus nicht nur, das Interesse der Amerikaner an der Unterstützung der Ukrainer zu verlieren, (...) sondern es gefährdet auch den langfristigen Frieden und die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent.“
Just am gleichen Tag erschien ein Debattenbeitrag von „Welt“-Chefkommentator Jacques Schuster, den die derzeitige Gemütslage an den August 1914 erinnert. Schuster ist darüber erstaunt, wie sich eine Gesellschaft „arrivierter Frühreifer“, die sich „in heiligem Ernst über das Für und Wider von Gendersternen ereiferten“, so schnell verwandeln konnte, dass sich nun „so mancher frühere Wehrdienstverweigerer in einen glühenden Reißbrett-Kavalleristen“ verwandelt und „wahnhaft die Trommel der geistigen Mobilmachung“ schlage. Vor allem ist Schuster darüber erstaunt, wie jahrzehntelange Grundkonstanten deutscher Außenpolitik – etwa die „Erkenntnis, sich mit dem Kreml verständigen zu müssen“ – über Bord geworfen werden. Zu dieser Erkenntnis, so Schuster, werde man jedoch „über kurz oder lang“ zurückkehren müssen, „denn der Schlüssel für den Zugang zur europäischen Stabilität liegt nicht in Kiew, Warschau, Prag oder Berlin, er liegt in Moskau.“
Zwänge der Realpolitik
Seit Ausbruch des Krieges wurde viel von einer Rückkehr der Realpolitik gesprochen. Tatsächlich schwenkten jedoch viele Stimmen nur von einem Extrem (dem bedingungslosen Pazifismus) zum anderen (eine ungezügelte Kriegsrhetorik). Rückkehr zur Realpolitik bedeutet jedoch vielmehr den Abschied von Ideologien – und die Ausrichtung des eigenen Handelns an ganz pragmatischen Fragen.
Der erste Schritt dazu ist eine nüchterne Analyse der Lage. Ein anderes Kriterium ist die Definition eigener Interessen. Es ist legitim zu fragen, was dem eigenen Land nutzt, und es ist auch klug zu fragen, was anderen – in diesem Falle den am Kriege beteiligten Nationen – nutzt.
Drei Monate nach Kriegsausbruch – wo es so aussieht, als ob das Leiden im Osten keinesfalls schnell vorbei ist – ist es Zeit zu fragen, was ein längerer Krieg bedeuten würde – und ob wir darauf vorbereitet sind. Dazu gehört auch, was wir riskieren, wenn wir bei einem solchen Szenario Russland als Partner verlieren.
Niemand von denen, die jetzt den Boykott aller russischen Energielieferungen fordern, weiß, womit die dadurch entstehenden Lücken gefüllt werden können. Wenn es in einem halben Jahr wieder kalt und dunkel ist, wird Deutschland nach Lage der Dinge keinen einzigen neuen Flüssiggasterminal fertiggestellt haben. Und selbst wenn kurzfristig Lieferungen hochgefahren werden können, wären weder die US-Amerikaner noch die Scheichs in der Lage, das Volumen der russischen Lieferungen zu kompensieren.
Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2021 in Deutschland Waren aus Russland im Wert von 33,1 Milliarden Euro importiert, in die Gegenrichtung gingen Exporte im Wert von gut 26,6 Milliarden Euro. Insofern führt – bei aller gebotenen Solidarität mit der Ukraine – auch in Zukunft kein Weg an einer nüchternen Russlandpolitik vorbei.